Der Turmspringer Greg Louganis hat nicht allein wegen seiner vier Goldmedaillen Olympiageschichte geschrieben. Als er sich beim olympischen Finale 1988 im südkoreanischen Seoul verletzte, geriet der HIV-positive US-Sportler in einen schweren Gewissenskonflikt. Ein Kalenderblatt von Axel Schock
Neun Sprünge hat er schon hinter sich; der zehnte und letzte dieses Durchgangs wird für Greg Louganis zum Verhängnis: Beim Sprung zum zweieinhalbfachen Auerbachsalto prallt er mit dem Hinterkopf gegen das Drei-Meter-Brett. Als der damals 28-jährige US-Amerikaner wieder aus dem Wasser steigt, rinnt ihm Blut über den Rücken. Der Kunst- und Turmspringer, seit der Weltmeisterschaft 1982 ungeschlagen, hatte bei der Olympiade 1984 bereits zwei Goldmedaillen errungen. Mit entsprechend hohen Erwartungen war er in Seoul angetreten. Wider Erwarten schied Louganis nach dem Unfall jedoch nicht aus dem Wettbewerb aus. Vielmehr entschloss er sich, die Wunde nähen zu lassen und den Wettkampf fortzusetzen. Er entschied sich allerdings auch dazu, den behandelnden Arzt, der ohne Handschuhe arbeitete, nicht über seinen positiven Serostatus zu informieren. Keine halbe Stunde nach dem Vorfall stand Louganis wieder auf dem Brett – holte sich seine vierte Goldmedaille und wurde zum zweiten Mal Doppelolympiasieger.
Kurz vor der Olympiade erfuhr er sein positives Testergebnis
Wie groß der Druck gewesen sein muss, unter dem Louganis stand, lässt sich kaum ermessen. Nur ein knappes halbes Jahr vor den Olympischen Spielen war Louganis’ Ex-Freund an Aids verstorben. Wenige Wochen vor der Abreise nach Seoul hatte er selbst sein positives Testergebnis bekommen.
Für Louganis, der als Schüler aufgrund seiner polynesischen Abstammung und dunklen Hautfarbe rassistische Beleidigungen ertragen musste und wegen seiner Legasthenie als geisteskrank beschimpft wurde, stand alles auf dem Spiel. Noch war er der Vorzeige-Amateur-Sportler und sympathischer Olympia-Star. Ein Ausnahme-Talent, das fünf WM-Titel und 47 US-Meisterschaften gewonnen hatte. Aber würde Amerika ihn auch als schwulen, positiven Sportler bejubeln?
Erst 1994 bestätigte er in einem Fernsehinterview die schon länger schwelenden Gerüchte um seine Aids-Erkrankung. Er erzählte dabei auch von den Depressionen, unter denen er als Jugendlicher wegen seiner verdrängten Homosexualität litt, wie auch von der Ausgrenzung, die er ertragen musste, und seinen Versuchen, sich als Teenager deshalb das Leben zu nehmen.
Er thematisierte in dem TV-Interview auch seinen Gewissenskonflikt unmittelbar nach dem Unfall, als er auf der Krankenstation seinen HIV-Status verschwieg. „Ich war so geschockt. Ich wusste, welche Verantwortung ich habe, aber nicht, wie ich mich in dieser Situation verhalten sollte.“ Der HIV-Test, dem sich der behandelnde Arzt später unterzogen hat, war negativ ausgefallen.
„Ich war mir sicher, dass ich meinen 34. Geburtstag nicht erleben werde“
Ein Jahr allenfalls, so glaubte Louganis bei diesem spektakulären Fernsehauftritt 1994, würde ihm noch bleiben. Das zumindest hatten ihm die Ärzte gesagt. Aber er kämpfte gegen die Krankheit und überstand so manche Krise.
„Um lange mit dem Virus leben zu können, ist es wichtig, aktiv zu bleiben und Sport zu betreiben. Ich mache Fitnesstraining, Yoga und vieles mehr. Das ist für mich genauso wichtig wie die Medikamente, die ich nehmen muss“, schilderte Louganis im vergangenen Jahr seinen Umgang mit der Krankheit. „Davon abgesehen verlasse ich mich nicht nur auf Schulmedizin, sondern gehe auch zur Akupunktur und lasse mir Vitamine geben. Denn viele Medikamente gehen stark auf die Leber.“
Seine Sportkarriere hatte er nach Seoul beendet. Seither arbeitet Louganis vor allem als Schauspieler, etwa in dem Aidsrama „It’s My Party“, aber auch als Hundetrainer. Nach seinem Coming-out als schwuler und positiver Mann reiste er zudem als Redner durchs Land und veröffentlichte seine Autobiografie „Breaking the Surface“, die 1997 verfilmt wurde. Vor einem Jahr stand Louganis allerdings vor der Insolvenz. Dann sorgte die Olympiade in London für neuen Auftrieb: Louganis wurde zum Mentor des US-Springer-Teams ernannt.
Und während er nun mit seinen Schützlingen in London mitfiebert, versucht die New Yorker Filmemacherin Cheryl Furjanic, Sponsoren für einen geplanten Dokumentarfilm über Louganis zu finden – gebraucht werden 50.000 Dollar. Noch bis 22. August läuft ihre Fundrainsingaktion auf der Croundfunding-Plattform kickstarter.com. Wer 10.000 Dollar in das Projekt investiert, bekommt als Bonus ein Abendessen mit Louganis obendrauf.
Weiterführende Links:
youtube-Video des fatalen Sprungs von Greg Louganis bei den Olympischen Spielen 1988
CNN-Interview mit Greg Louganis u.a. über sein Leben mit HIV vom 1. August 2012. Das Interview inspirierte den australischen Olympiasportler Jil Wallace wenige Tage danach zu seinem Coming-out als HIV-Positiver
Homepage von Greg Louganis