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Innovationsklemme in der Pharmaindustrie
Für den Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), der hier mitliest, gibt es gute Nachrichten. Wenn die Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer mal wieder die hohen Entwicklungskosten von Medikamenten beklagen will, ist sie nicht mehr auf die vage Angabe “800 Millionen Dollar mit steigender Tendenz” angewiesen. Es waren 2008 genau 3,911 Milliarden Dollar. Bei der durchschnittlichen jährlichen Erhöhung von 12,3% darf man ruhig von 4 Milliarden Dollar sprechen oder, weil es eine runde Summe ist, von 3 Milliarden Euro. Denn damit sind nur die Entwicklungskosten eines herkömmlichen Arzneimittels (“small molecules”) abgedeckt; die Entwicklung von gentechnisch hergestellten Biologika (“large molecules”) ist 50% teurer.
Diese abenteuerliche Rechnung, in der zu der immer verwendeten Summe von 800 Millionen Dollar für 2000, die aus einem Papaer von DiMasi aus dem Jahr 2003 stanmt, noch zusätzliche regulatorische Aufwendungen, die Kosten für die Zulassung ausserhalb der USA, eine verminderte Erfolgsrate, die Inflation und die Steigerung bei “anderen Kosten” zugeschlagen werden, stellt Benard Munos, der Chefstratege der Pharmakonzerns Lilly in einem Artikel in der Zeitschrift “Nature Reviews” vor.
Die skurile Kalkulation ist jedoch nur ein Teil der sonst interessanten Betrachtung der pharmazeutischen Innovation in den vergangenen sechs Jahrzehnten, dem derzeitigen Lieblingsthema in der Pharmaindustrie. Wegbrechende Einnahmen durch auslaufende Patente, eine wachsende Konkurrenz beispielsweise aus Indien und China und Massnahmen zur Senkung der enormen Medikamentenausgaben zwingen die Industrie dazu, ihr Geschäftsmodell zu überdenken.
Gerne wird die gesunkene Zahl der Neuzulassungen als Ursache für die Misere ausgemacht. In Deutschland wurden 2009 immerhin 37 Wirkstoffe neu zugelassen, die höchste Anzahl seit 1997.
Munos hat sich in einer Fleissarbeit alle 1.222 von der US-Aufsichtsbehörde FDA zwischen 1950 und 2008 neu zugelassenen Wirkstoffe angesehen und bestätigt, was schon aus der Grafik für Deutschland ersichtlich ist. Die Zahl der Neuzulassungen ist bemerkenswert konstant und lag auch in den USA seit 1950 meist bei knapp 30. Ausreisser nach oben zwischen 1994 und 1998 erklären sich damit, dass die FDA durch die Gebührenfinanzierung ab 1992 mehr Ressourcen zur Verfügung hatte und einen aufgestauten Antragsberg abbauen konnte.
Obwohl tausende Unternehmen in der Medizin forschen und entwickeln, waren nur 261 Organisationen für die 1.222 Neuzulassungen verantwortlich. 21 Unternehmen bestritten die Hälfte der Zulassungen, alleine drei Unternehmen, Merck & Co., Lilly und Roche fast 15%. Die Dominanz von “Big Pharma” bei der Neuentwicklung schwindet. Deren Anteil sank von 75% seit Anfang der 80er Jahre auf nun 35%. Trotz fehlender exakter Daten kann man feststellen, dass kleinere Unternehmen mehr Produkte für weniger Geld erfinden.
Trotz gestiegener Ausgaben für Forschung und Entwicklung, massiven Förderprogrammen, besser ausgebildeten Wissenschaftlern, ausgefeilten diagnostischen und analytischen Möglichkeiten und dem Internet bringen die Pharmaunternehmen Jahr für Jahr eine gleichbleibende Anzahl von Innovationen heraus. Bei steigenden Kosten und sinkenden Einnahmen ist dies der Weg in die wirtschaftliche Sackgasse.
Der Kurswechsel, der vom Lilly-Strategen empfohlen wird, klingt utopisch für jeden, der grosse Pharmakonzerne näher kennt. Er verweist auf neue Anreize und Strukturen, um Forschung zu fördern. Public-private-partnerships, opensource r&d und andere Initiativen, die von Munos schon vor drei Jahren gepredigt wurden. Immer noch Fiktion, auch weil die Unternehmen kurzfristige Umsatzziele verfolgen und weiterhin der Erfolg von immer seltener werdenden und eher zufälligen und nicht systematisch vorhersagbaren Umsatzbringern abhängt.
Daher sollte der exklusive Club der forschenden Arzneimittelhersteller kein gesteigertes Interesse haben, die Forschungsausgaben über die legendären 800 Millionen Dollar hinaus zu extrapolieren und dies als Argument für hohe Medikamentenpreise zu verwenden. Die Ineffizienz der Forschung würde offenkundig werden und der Ruf nach steuerlicher Forschungsförderung käme einem staatlichem Bail-out gleich.