Mara Wiebe von der Aids-Hilfe Hamburg musste schon einige Male ein positives HIV-Testergebnis mitteilen. Im Interview mit Philip Eicker erzählt sie, wie die Menschen auf diese Nachricht reagieren.
Mara, was empfinden Menschen heute, wenn sie erfahren, dass sie positiv sind?
Bei den meisten ist das der totale Schock. Obwohl sie ja wegen einer Risikosituation den Test machen lassen, kommen doch alle in der Hoffnung, dass es gut gegangen ist. Auch wenn man vorher mit ihnen über die guten Behandlungsmöglichkeiten spricht, bleibt nach wie vor das Stigma, die Angst, von jetzt auf gleich nicht mehr dazuzugehören.
Wie reagieren die Menschen unmittelbar auf die Mitteilung?
Die meisten sind zunächst sprachlos. Dann sagen viele: „Ich muss jetzt erst mal spazieren gehen.“ Überwiegend herrscht Fassungslosigkeit.
Was war für dich die bisher schwierigste Situation?
Einer hat gesagt: Ich gehe hier nicht raus. Er blieb über eine Stunde. Das war auch für mich eine richtige Stresssituation. Dann habe ich unsere Ärztin dazu geholt, die ihm dann alles erläutert hat, was ich ihm schon gesagt hatte. Damals ist mir klar geworden: Das eine ist das Wissen, das andere das Gefühl. An das Gefühl kommst du in den Gesprächen vor dem Test nur schwer heran. Die Leute sind natürlich aufgeregt. Aber wie sich das Ergebnis anfühlt, können sich die meisten nicht vorstellen.
Wie sich das Ergebnis anfühlt, können die meisten sich nicht vorstellen
Worüber sprichst du immer mit den Ratsuchenden?
Bestimmte Sachen klären wir schon vor dem Test. Die Aidshilfe Hamburg bietet ja den Schnelltest an. Deshalb ist es wichtig, den Leuten genau zu erklären, dass ein positives Testergebnis gewissermaßen nur ein Zwischenergebnis ist, dass noch einmal bestätigt werden muss. Dann versuchen wir herauszufinden, ob die Leute mit einem positiven Testergebnis hier rausgehen können oder ob sie sich etwas antun könnten. Deshalb fragen wir immer, ob die Testwilligen jemanden haben, den sie anrufen oder treffen können, falls der Test positiv ausfällt. Das sind die drei wichtigsten Sachen.
Haben sich die Reaktionen im Laufe der Jahre verändert?
Nein. Wir im Beratungsteam wissen sehr viel über das Thema. Über die guten Behandlungsmöglichkeiten, über die annähernd normale Lebenserwartung durch die Therapie. Wir wissen, dass Positive Kinder zeugen und gesund auf die Welt bringen können. Aber das wissen die meisten Menschen nicht. Viele denken: Ich habe nun eine Krankheit, von der ich niemandem erzählen darf, weil mich sonst keiner mehr akzeptiert. Nicht einmal die einfachsten Safer-Sex-Botschaften sind präsent. Wir werden oft gefragt, ob man HIV durch Küsse oder durch das Anfassen einer Türklinke bekommen könne.
Welche Fragen stellen dir die positiv Getesteten häufig?
„Wie lange habe ich noch zu leben?“ – „Muss ich meinen Arbeitgeber und meine Familie informieren?“ Diese Fragen kommen eher beim zweiten Termin, also wenn zwei bis drei Tage später der Bestätigungstest vorliegt.
Wie gehst du mit der schwierigen Situation um?
Wir Berater machen natürlich Supervision. Ein wichtiges Thema ist dabei der Umgang mit psychischen Zusammenbrüchen. Ich nehme das schon mit nach Hause, wenn jemand zusammenbricht, weil ich ihm das positive Testergebnis mitteilen musste. Für mich ist das keine Routine und wird es wohl auch nicht.
Lassen sich die meisten Leute nicht längst beim Hausarzt testen?
Ich denke nicht. Und wenn, dann hoffe ich sehr, dass sie einen guten Hausarzt haben. Wir erfahren durch die Telefonberatung manchmal haarsträubende Sachen. Eine schwangere Frau hat zum Beispiel berichtet, dass ihr Frauenarzt nach einem HIV-Test ihre Unterlagen kopiert und ihr übergeben hat mit der Bitte, den Arzt zu wechseln. Viele Hausärzte sind unsicher und können schon aus Zeitgründen keine ausführliche Beratung leisten.
Welche Themen spielen in deinen Beratungsgesprächen noch eine Rolle?
Was wir häufig erleben: Ratsuchende entschuldigen sich bei uns, weil sie mal keinen Gummi genommen haben. Sie haben das Gefühl, sie müssten bei der Aidshilfe Abbitte leisten, weil sie ungeschützt Sex hatten. Die Leute sind dann immer sehr erleichtert, dass sie hier nicht ausgeschimpft werden, sondern dass wir ihnen sagen: Ja, kann passieren. So ist das Leben.
Interview: Philip Eicker
Mara Wiebe arbeitete schon in verschiedenen AIDS-Hilfen, seit 2003 ist die Diplompädagogin in der AIDS-Hilfe Hamburg zuständig für Beratung und Präventionsberatung und leitet die Teams Infoline und Online-Beratung. Außerdem entwickelt und vernetzt sie die Präventionsarbeit mit Einwanderern.
Telefon: 040 235199-28, E-Mail: mara.wiebe@aidshilfe-hamburg.de