Ira Sachs seziert in seinem Spielfilm „Keep The Lights On“ eine durch die Sucht zum Scheitern verurteilte Liebesbeziehung. Von Axel Schock
Menschen wie den New Yorker Literaturagenten Bill Clegg kennt man gewöhnlich nur aus TV-Serien und Kinofilmen: Sie sind jung und erfolgreich, machen irgendwas mit Medien, kassieren dafür dicke Schecks und wohnen in luxuriösen Lofts.
Bill Clegg allerdings ist keine Erfindung von Drehbuchautoren, sondern eine real existierende Person. Lange Zeit war er einer der Erfolgreichsten seiner Branche. Seinen Autoren besorgte er Millionenhonorare, sich und seinem Lebensgefährten gönnte er ein Apartment in der Fifth Avenue.
Ein scheinbar rundum perfektes Leben
Bill Clegg, so könnte man denken, genoss ein rundum perfektes Leben samt inniger Beziehung, beglückendem Beruf und den Annehmlichkeiten eines gut gefüllten Bankkontos. Und doch gelang es ihm, dies alles innerhalb weniger Monate zu zerstören. Denn insgeheim war Clegg ein zutiefst unsicherer Mensch, der seine Selbstzweifel und Komplexe mit Crack zu betäuben versuchte.
Den Absturz, die Krise, den aussichtslosen Kampf seines Partners um ihre Beziehung – all das hat Clegg in seinem eindrucksvollen Buch „Porträt eines Süchtigen als junger Mann“ geschildert, das im vergangenen Jahr auch in deutscher Übersetzung erschien.
Aber nicht nur Clegg hat die Ereignisse für sich aufgearbeitet, sondern auch sein langjähriger Lebensgefährte, der New Yorker Filmemacher Ira Sachs. Im Spielfilm „Keep The Lights On“ lässt Sachs diese intensive Liebesbeziehung mit all ihren Höhen und Abgründen nun aus seiner Warte Revue passieren.
Am Anfang steht ein x-beliebiges Sexdate zweier Männer, die sich über eine Telefon-Datingline zu einem One-Night-Stand verabredet haben. Viel geredet wird nicht. Dass diese Zufallsbegegnung für Paul (Zachary Booth) und Erik (Thure Lindhardt) nicht ohne Folgen bleiben wird, ist allerdings beiden auf Anhieb klar. Dass Paul noch mitten in einer Heterobeziehung steckt, scheint kaum ein Problem zu sein. Unprätentiös, in warm ausgeleuchteten Bildern und skizzenhaften Szenen lässt Ira Sachs die Zuschauer an diesem Liebesrausch teilhaben.
Ein Liebesrausch
Über ein Jahrzehnt hinweg begleitet „Keep The Lights On“ das wechselhafte Miteinander des Dokumentarfilmers und Lebenskünstlers Erik – Ira Sachs’ Leinwand-Alter-Ego – und Paul, der sein Berufsleben als Angestellter eines großen Verlagshauses straff durchorganisiert hat. Zehn Jahre, in denen Pauls Sucht zunächst nur ein Randproblem ist, schließlich aber lebens- wie existenzbedrohlich wird. Jahre, in denen Momente der Zärtlichkeit und Intimität mit jenen völliger Entfremdung und Erschütterung wechseln, sich die Drogensucht durch Sexsucht potenziert und Erik wiederum verzweifelt bemüht ist, seine sexuelle wie emotionale Abhängigkeit von Paul in den Griff zu bekommen.
Er will seinen Geliebten, der sich durch die Sucht bis zur Unkenntlichkeit verändert hat, beschützen und nicht verlieren. Er fürchtet das Ergebnis des HIV-Tests und erträgt, was eigentlich nicht zu ertragen ist. Als Erik panisch, eifersüchtig und besorgt zugleich Paul in einem Hotelzimmer aufspürt, trifft er ihn dort zugedröhnt beim Sex mit einem anderen an – und hält ihm währenddessen zärtlich die Hand.
Wie Ira Sachs die Zuschauer zwei Kinostunden lang mal distanziert, mal beinahe voyeuristisch zu Augenzeugen dieses Lebensdramas und Beziehungskampfes werden lässt, hat auch die Jury des diesjährigen Teddy Awards überzeugt. Bei den Berliner Filmfestspielen wurde „Keep The Lights on“ als bester queerer Spielfilm ausgezeichnet – wie übrigens auch Erik. Im Film bekommt er die Auszeichnung für seinen Dokumentarfilm über einen vergessenen schwulen Regisseur, „In Search of Avery Willard“. Diese Doku gibt es tatsächlich, gedreht hat sie Ira Sachs parallel zu seinem Spielfilm. Selten gingen Fiktion und Dokumentation so wild durcheinander.
„Keep The Lights On“. USA 2012. Regie: Ira Sachs. Darsteller: Paprika Steen, Thure Lindhardt, Souleymane Sy Savane, Zachary Booth, Julianne Nicholson. OmU. Kinostart: 25. Oktober
Bill Clegg: „Porträt eines Süchtigen als junger Mann“. Aus dem Amerikanischen von Malte Krutsch. 272 Seiten, S. Fischer Verlag, 19.95 Euro
Trailer zu „Keep The Lights On“