Es erfordert immer noch großen Mut, sich als Beschäftigter im Gesundheitswesen als HIV-positiv zu outen. Der Krankenpfleger Sven Hanselmann ist diesen Weg selbstbewusst gegangen – und hat dabei unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Von Axel Schock
Sven Hanselmann hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dieser Reaktion. Erst wenige Tage zuvor hatte der angehende Krankenpfleger sein positives Testergebnis bekommen und es selbst kaum verarbeiten können. Wie aber würde seine Ausbildungsleiterin diese Nachricht aufnehmen: Ihm raten, sich einen anderen Beruf zu suchen? Vorwürfe machen? Ihn vor den Klinikkollegen bloßstellen? Nichts davon traf ein. Sie nahm den damals 24-Jährigen einfach in den Arm. „Wir werden das gemeinsam schaffen“, versicherte sie ihm – und hielt Wort. „Ich war völlig gerührt“, erinnert sich Sven Hanselmann an diese bewegende Situation vor acht Jahren.
Unterstützung von allen Seiten
An seinem Münchner Krankenhaus wurde kurzerhand ein Hygieneausschuss zusammengerufen, zu dem auch er selbst gehörte, und nach kaum einer Stunde Beratungszeit war man zu einem klaren Ergebnis gekommen: „Mir wurde von allen Seiten Unterstützung zugesagt. Ich sollte auf alle Fälle weiter am Krankenhaus arbeiten und meine Ausbildung fortsetzen können. Vereinbart worden war allerdings auch, dass ab sofort meine Blutwerte regelmäßig überprüft werden sollen.“
Eine reine Vorsichtsmaßnahme, wie Hanselmann erklärt. Doch nicht, wie man denken könnte, um Patienten vor einer Ansteckung durch den Pfleger zu schützen. Vielmehr sollte Sven Hanselmann, falls sein Immunsystem geschwächt und deshalb besonders anfällig sein würde, vor Infektionen durch Patienten bewahrt werden.
Dass sich nicht nur die Pflegedienstleitung und Krankenhausverwaltung, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen vorbildlich verhielten, dafür hat Sven Hanselmann eine schlichte, aber entscheidende Erklärung: „Was HIV angeht, waren an diesem Krankenhaus alle sehr gut geschult. Daher war auch allen bewusst, dass von mir als Pflegekraft keinerlei Infektionsgefahr ausgeht.“
Soviel Offenheit, Akzeptanz und Sachverstand ist an deutschen Kliniken und Gesundheitseinrichtungen allerdings nicht die Regel. Wie groß die Unterschiede sein können, musste Hanselmann bei einem anderen Arbeitgeber erleben. Dieser hatte erst nach der Einstellung erfahren, dass der neue Mitarbeiter positiv ist, sich bei der Münchner AIDS-Hilfe engagiert und dort eine Jungpositivengruppe gegründet hatte. Diesen ehrenamtlichen Einsatz konnte ihm die Klinikleitung freilich nicht verbieten. Sie untersagte ihm allerdings, in diesem Zusammenhang den Namen des Krankenhauses zu nennen.
Die Angst der Klinik vor Imageschäden
„Sie hatten schlicht Angst vor einem Imageschaden. Die Verwaltung befürchtete, dass sie Patienten verlieren könnten, sollte publik werden, dass die Klinik HIV-Positive beschäftigt.“ Hanselmanns Angebot, die Auszubildenden des Klinikums unentgeltlich und in seiner Freizeit zu HIV weiterzubilden, wurde dankend abgelehnt. Stattdessen musste er sich mit Mobbingattacken auseinandersetzen. „Eine Kollegin hat mir regelmäßig Stellenanzeigen hingelegt, auf die ich mich ihrer Ansicht nach bewerben sollte.“ Diese Jobs wären doch viel besser, weil weniger anstrengend für ihn, so ihr vermeintlich nur gut gemeinter Rat.
„In Wahrheit wollte man mich einfach nur loswerden. Da wurde mir erst richtig bewusst, wie schlecht die Aufklärung unter den Mitarbeitern dieses Hauses war und welche Ängste und Vorurteile dadurch bekräftigt wurden.“
Mit Grausen erinnert sich Sven Hanselmann an die Zeit, als er Auszubildender in einer Belegklinik war, an der regelmäßig auch HIV-positive Patienten zu versorgen waren. „Ich war damals Anfang 20 und ging als schwuler Mann wesentlich offener mit dem Thema um, als viele meiner Kolleginnen, die schon viele Jahre dort gearbeitet hatten und eigentlich über entsprechende Berufserfahrung verfügten. Aber was musste ich dort erleben: Die zogen sich sogar Handschuhe an, wenn sie den Patienten das Essen brachten, das Bett bezogen oder wenn sie sich von ihnen mit Händeschütteln verabschiedeten. Ich habe mich damals richtig fremdgeschämt.“
Über ein Jahrzehnt später haben sich zwar die Möglichkeiten der HIV-Therapie enorm verbessert, aber offensichtlich nicht immer der Wissensstand der Beschäftigen im Gesundheitswesen. „Es gibt natürlich auch Ärzte, die aus Angst vor einer Infektion Positiven die Behandlung verweigern. Meine Erfahrung aber ist, dass vorwiegend die Pflegekräfte bisweilen irrational reagieren. Beim Verbandswechsel vergessen sie die Handschuhe anzuziehen, sobald aber ein HIV-Patient auftaucht, kommt es zu Überreaktionen. Dabei müssten eigentlich alle wissen: Wenn man sich konsequent an die allgemeinen Hygienerichtlinien hält, geht von keinem Patienten eine Gefahr aus.“
Fehlende Weiterbildung und Aufklärung
Sein Fazit: „Ein offener und diskriminierungsfreier Umgang geht nur über Aufklärung und Weiterbildung. Ein einmaliger 90-Minuten-Block in der Hygienefortbildung zum Thema HIV scheint offenkundig nicht auszureichen.“ Das Wissensdefizit zeigte sich Sven Hanselmann sogar im kollegialen Miteinander. „Jedes Mal, wenn ich mich auf den verschiedenen Stationen gegenüber meinen Kolleginnen und Kollegen geoutet hatte, nahm mich der eine oder die andere zur Seite: ‚Am Wochenende ist mir Folgendes passiert. War das jetzt ein Risikokontakt? Muss ich mich jetzt testen lassen?’ Während die Jüngeren eher Beratung zum Risikomanagement suchen, sorgen sich Ältere eher mütterlich um mein Befinden. Da merkt man, dass die ihre Ausbildung zu einer Zeit gemacht haben, als Aids noch ein größeres Drama und die Sterberate viel höher war.“ Was soviel heißt wie: Ihr Bild von der Krankheit und ihr Kenntnisstand zu den Behandlungsmöglichkeiten ist offensichtlich von vorgestern.
HIV beendet Karrieren
Würde Sven Hanselmann positiven Kollegen raten, genauso offen mit ihrem Positivsein umzugehen, wie er es bislang getan hat? Seine Antwort kommt ohne Zögern: „Nein, dafür habe ich leider schon von zu vielen negativen Erlebnissen anderer Beschäftigter erfahren müssen. Geschichten, wie die des Rettungssanitäters, der nicht mehr im Notarztwagen mitfahren darf, sondern in die Telefonzentrale abgeschoben wurde. Oder die des OP-Pflegers, dem man eine Woche, nachdem er über seine Infektion gesprochen hatte, gekündigt hatte.“
Diese Erfahrungen von Kollegen haben auch Hanselmanns bisherige Offenheit ins Wanken gebracht. „Sollte ich meinen Arbeitsplatz einmal wechseln, würde ich dort nicht von mir aus über meine Infektion sprechen, außer, wenn ich konkret darauf angesprochen würde.“