Der Fernsehbeitrag über das Schultergelenk in der Sendung Visite vom 9. Oktober 2012 hat erwartungsgemäß für einigen Trubel in meinem E-Mail-Postkasten und in meiner Sprechstunde gesorgt. Das war einerseits eine gewisse Zusatzbelastung für mich, andererseits aber auch hochinteressant und teilweise erschütternd.
Und noch etwas: Was einem bei so einer Vorauswahl von Patienten immer entgegenströmt ist Dankbarkeit. Die Kranken sind dankbar, dass sich endlich jemand kümmert. Man kann sich vorstellen, dass nahezu alle Fälle, die sich bei mir gemeldet haben, bereits eine längere Leidensgeschichte hinter sich haben und dabei mit dem, was bisher gelaufen ist, nicht zufrieden sind. Dankbarkeit ist etwas, was ich auch in diesen modernen Zeiten noch immer als ein schönes „Zusatzhonorar“ empfinde, das die Arbeit erleichtert und auf das wir Ärzte viel zu häufig verzichten. (Manch einer mag das als Gesülze bezeichnen, aber ich empfinde einen harten Arbeitstag mit allerlei Querelen als wesentlich anstrengender als einen harten Arbeitstag mit viel Herzlichkeit)
Etliche Patienten wollten von mir einen Rat bzw. eine Entscheidung per elektronischer Post, was natürlich genau meiner Aussage in dem Fernsehbeitrag widerspricht. Meine Forderung lautete ja gerade:
Die Ärzte sollen ihre Patienten ansehen und vor allem anfassen – also untersuchen.
Erstaunlich viele dieser Patienten, denen ich aus der Ferne nur bedingt helfen konnte, vereinbarten, trotz teils weiter Anreise, einen Termin in meiner Sprechstunde. Noch habe ich nicht alle gesehen.
Aber das Fazit aus ärztlicher Sicht bis hierher ist erschütternd:
1. Häufig war ich der erste Arzt, der sich die Beschwerden der Patienten, deren Beginn und Verlauf, richtig angehört hat (Anamnese ist, wenn einem die Patienten in ihren Worten ihre Krankheit schildern und man als Arzt als diagnostisches Mittel nur zuhören muss!!!)
2. fast immer war ich der erste Arzt, der die Patienten untersucht hat
3. immer war ich der erste Arzt, der genau erklärt hat, was genau überhaupt mit der Schulter los ist
4. fast alle Patienten kamen mit einer absoluten oder relativen OP-Indikation, das heißt sie hatten entweder schon definitiv einen OP-Termin oder Ihnen war eine Operation in Aussicht gestellt oder angeboten worden
(ich mag altmodisch sein, aber ein „Angebot“, das eine Operation oder heutzutage auch eine Chemotherapie betrifft, empfinde ich als unärztlich. Entweder braucht der Patient solch schwerwiegenden therapeutischen Maßnahmen oder er braucht sie nicht. Ist die Frage nicht eindeutig klärbar, bleibe ich dabei, die Wortwahl „Angebot“ ist scheußlich und bringt den Patienten in die Klemme)
5. zwei Fälle mit bereits im Kalender eingetragenem Termin für eine Schulter-Operation hatten gar keine Beschwerden in ihrer Schulter und damit auch keinen Schaden in ihrem Gelenk.
Wie 5. sein kann, schildere ich Ihnen in einem gesonderten Artikel!
An dieser Stelle noch ein persönliches Wort:
Ich bin weit davon entfernt ein perfekter Arzt zu sein. Ganz sicher reagiere ich nicht auf jeden meiner Patienten zu jeder Zeit richtig oder mit genügend Zeit und ganz bestimmt kann ich nicht jedem helfen, ja, bin nicht einmal der richtige Arzt für jeden. Aber spätestens wenn mir der Patient zum zweiten Mal wegen ein und derselben Beschwerde im Sprechzimmer gegenüber sitzt, gehen bei mir die Lampen an und signalisieren mir, die Sache ist zumindest für den Patienten wichtig. Und eines hat uns Ärzten unser Kollege Samuel Shem, den vielleicht nicht alle Ärzte schätzen, aber doch fast alle kennen, ganz richtig eingebleut:
DER PATIENT IST DERJENIGE, DER KRANK IST*,
in Klammern heißt das: Und nicht der Arzt mit seinen Zeitsorgen und Verarmungsängsten.
*Regeln des House of God, Samuel Shem, 1978