Für die Medien taugt die Pflege oft nur zum Skandal. Das mag manch einer bedauern – ändern lässt sich das nicht. Wir wollen damit nicht unsere Resignation zum Ausdruck bringen. Aber schauen wir den Fakten ins Gesicht: es sind vor allem die schlechten Nachrichten, die die Menschen interessieren. Das gilt ja nicht nur für unsere Branche. Schlagworte, die das im Moment repräsentieren sind “Fachkräftemangel”, “Euro-Krise” oder “VFL Wolfsburg”. Es gibt sogar eine Formel, die in der Medienbranche für die Bewertung der Relevanz einer Nachricht angewendet werden kann: je mehr Menschen von einem Ereignis überrascht werden und je größer der Grad der Betroffenheit ist, um so relevanter ist dieses Ereignis.
Für die Pflege gilt, dass sich der Grad der Betroffenheit der Menschen vor allem an einem Szenario abarbeitet: es entsteht Pflegebedarf und es ist niemand da, der ihn befriedigt. Der Gedankengang ist naheliegend, immerhin ist Fachkräftemangel und zugleich stellt der demografische Wandel seinen Fuß schon mal in die Tür. Da braucht es nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass das in dieser Kombination nicht gut gehen kann. Es ist halt mittlerweile keine Überraschung mehr – daher taugt es nur bedingt zur Nachricht. Und seien wir ehrlich: eine ständig wiederkehrende Berichterstattung von der drohenden Katastrophe nimmt dieser die Bedrohung.
Wir wollen aber mal nicht vergessen, dass der Fachkräftemangel in der Pflege kein Ergebnis der demografischen Entwicklung ist – vielmehr ist er Ausdruck einer aufzehrenden Pflegepersonalpolitik der Unternehmen, einer fortgesetzten Ignoranz der Politik gegenüber den demografischen Herausforderungen und einer überraschenden Naivität der Gesellschaft. Letztere bezieht sich im Übrigen auf die Frage, was wir medizinisch und pflegerisch leisten könnten und was wir bereit sind, dafür zu bezahlen. Wir leisten uns in den Krankenhäusern z.B. eine Spitzen-Medizin und gefährden deren Ergebnisse durch eine Low-Budget-Pflege. In der Pflege nach SGB XI bleiben wir auch unter unseren Möglichkeiten – da ist erheblich mehr Aktivierung, Rehabilitation und Prävention möglich, als derzeit bezahlt wird.
Die Pflegewissenschaft hat zur Entwicklung der therapeutischen Potenziale der Pflege in den letzten Jahren ganz maßgeblich beigetragen. Und dennoch: wir geben uns hier mit einer Pflege zufrieden, die in der täglichen Arbeit kaum dazu kommt, ihre Möglichkeiten zu entfalten. Bei der Suche nach den Verantwortlichen an diesen Verhältnissen kommen wir nicht umhin, auch in die eigenen Reihen zu schauen. Es geht jetzt hier nämlich nicht darum, die üblichen Verdächtigen einmal mehr an den Pranger zu stellen.
Verdeutlichen lässt sich das an einem aktuellen Beispiel: gerade beginnen die Debatten, wie viel Schulbildung es braucht, damit eine Pflegeausbildung angetreten werden kann. In der EU gilt als Standard, zwölf Schuljahre verpflichtend vorzuschreiben – Deutschland soll nun nachziehen. Schwupps schwingen sich alle auf die Barrikaden und wettern dagegen, was das Zeug hält: der Gesundheitsminister wirft sich in die Brust und plärrt, dass es das Pflege-Abi nicht geben wird, die Krankenhausgesellschaft sieht eine massive Verschärfung des Fachkräftemangels (haben Sie schon mal versucht, aus Nichts noch mehr Nichts zu machen?) und die Politik behauptet, die Deutsche Pflege-Ausbildung sei mit der Qualität der Ausbildung in anderen Ländern vergleichbar.
Ein Bild taucht in der Auseinandersetzung dabei immer wieder auf: in der Pflege braucht man vor allem Herz und das kann man nicht studieren. Erzählen Sie das mal einem Sozialarbeiter. Und was heißt das überhaupt für die Pflege? Dass man dort ohne Hirn auskommt? Das mag für die Aufgaben zutreffen, die von der Öffentlichkeit der Pflege zugesprochen werden: Betten beziehen, Nachtschränke reinigen oder Infusionen wechseln. Warum nur wird eine so hochkomplexe Tätigkeit wie Pflege von der öffentlichen Wahrnehmung auf solche Hilfstätigkeiten reduziert? Weil es bedauerlicherweise einen nicht unerheblichen Anteil von Pflegenden gibt, der dieses Bild stützt und so den Gegnern einer höheren Zugangs-Qualifikation brav den den Rücken stärkt.
Wer das Beziehen von Betten nur als das Beziehen von Betten versteht, wird eine höhere Qualifikation nicht brauchen – wer darin eine Möglichkeit sieht, mit dem Patienten zu interagieren, wünscht sich diese vielleicht. Wer Pflegehandeln als die Abfolge erlernter Handgriffe versteht, mag mit bestehenden Qualifikationen zufrieden sein – wer für sich die Kompetenz beansprucht, Pflegehandeln jederzeit auch wissenschaftlich begründen zu können, ist es vielleicht nicht.
Wir haben uns als Berufsgruppe aus der Hand nehmen lassen, welchen Pflegeanspruch die Gesellschaft an uns stellen darf. Nun ist es so, dass die Medien als Sprachrohr der Gesellschaft mitteilen, was Pflege ist. Um was es sich dabei handelt, definieren also andere – wir lassen es an den Orten zu, wo Pflege erbracht wird. Daran orientieren sich nun junge Menschen bei ihrer Berufswahl und richten sich in einem Umfeld ein, dass eigentlich mehr zur Versorgung beizutragen hätte, als es im Moment in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
Im Übrigen: die Vertreter der beruflichen Pflege haben ein sehr detailliertes und durchdachtes Bildungskonzept für die Pflegeberufe erarbeitet, dass allen jungen Menschen unabhängig von ihrer Zugangsqualifikation eine Karriere in der Pflege ermöglicht. Das ist auch jetzt schon möglich – und auch bei der von der EU bevorzugten Zugangsqualifikation. Es ist nämlich nicht das Abitur gemeint, sondern ist von 12 Schuljahren die Rede. Den Unterschied sollten sich auch die Pflegenden noch mal vergegenwärtigen, die sich derzeit so leichtfertig der Argumentation der Gegner der höheren Qualifikation bedienen.
Und hier gibt es noch weitere Hintergrundinformationen zur Pflegebildung.