“Ja, hallo, ich wollte mal meine Tochter anschauen lassen, weil, die hat jetzt seit zehn Tagen eine Bindehautentzündung.”
“Aaahja…”, ich wende mich Joelle-Mary zu, die mich aus strahlend blauen – und völlig gesunden – Augen anstrahlt, “aber im Moment ist alles gut?”
“Jaja”, die Mutter hält mir ein Fläschchen der LieblingsFirma aller Mütter W*el*eda unter die Nase. “Das habe ich ihr jeden Tag in die Augen gemacht.”
“Euphrasia…”, lese ich. “D3. OK, dann ist ja noch ein Tausendstel Wirkstoff drin enthalten. Augentrost ist ein gutes Pflanzenmittel. Haben schon die Altvorderen angepflanzt.”
“Sehen Sie, hat was gebracht.”
“Wie sah denn die Bindehautentzündung aus?”
“Das war richtig dick und rot und eitrig, beide Augen, fett verklebt, ich habe es mit Wasser gesäubert und nach ein paar Tagen hat mir der Apotheker das da verkauft.”
“Und dann war es besser.”
“Genau.”
“Und was kann ich jetzt noch tun?”, ich frage ganz unschuldig.
“Zum einen kriege ich ein Rezept dafür”, sie schwenkt das W*el*eda-Fläschchen, “zum anderen will der Kindergarten eine Bescheinigung, dass sie weiter in den Kindergarten darf.”
Ich nicke. “Verstehe. Das Problem ist, nachträglich dürfen wir keine Rezepte aufschreiben, schon gar nicht für Medikamente, die nur zweifelhafte Wirkung haben.”
Sie zeigt auf Joelle-Mary: “Hat doch gewirkt.”
“Sagen Sie. Immerhin haben Sie auch die Augen regelmäßig gesäubert. Die meisten Bindehautentzündungen sind durch einen Virus ausgelöst, die braucht man nicht zu behandeln. Auch nicht mit Augentrost in tausendfacher Verdünnung.”
“Aber fett eitrig war es ja auch, der Apotheker hat gesagt, es war bestimmt baktarial.”
“Wenn es bakteriell war, dann wäre es ohne antibiotikahaltige Augentropfen nicht besser geworden.”
“Aha. Und der Kindergarten?”
“Eine virale Bindehautentzündung ist nicht ansteckender als ein Schnupfen. Damit darf man schon in den Kindergarten.” (auch wenn das die Erzieherinnen oft anders sehen) “Bei einer bakteriellen wartet man ein oder zwei Tage nach Behandlung ab.”
“Haben wir auch, solange ich nur gesäubert habe, dann ist sie wieder in den Kindi und die Erzieherinnen haben sie wieder heimgeschickt, ich solle mir das da”, wieder schwenkt sie das Fläschchen, “in der Apotheke holen, dann darf sie wieder in den Kindergarten. Aber nur mit Bescheinigung.”
Die ich trotzdem nicht schreibe. Dann muss ich irgendwann alle Kindergartenkinder nach Schnupfen “gesundschreiben”, viel Spaß auch. Nochmal zum Mitschreiben: Die meisten Bindehautentzündungen sind viralen oder mechanischen (“Zug”) Ursprungs und brauchen außer Säubern keine spezielle Therapie und sind auch nicht ansteckender als die viralen Schnupfens (Ausnahme: Adenoviren, anderes Thema). Bestes Vorgehen: Zuhause bleiben, säubern, wenn´s nach zwei Tagen nicht besser wird, eher von einer bakteriellen Konjunktivitis ausgehen, Arzt aufsuchen, topisches Antibiotikum für die Augen verordnen lassen.
Realität oft: Wie oben, wo alles durcheinander geht, oder: das Kind muss schnell schnell wieder funktionsfähig sein, bekommt bereits ab dem ersten Tag (auf Druck der Erzieherinnen) Antibiotika-Augentropfen, “weil man das so macht”. Da werden 80% überflüssigerweise behandelt.