Nein, dies wird keine Jubelschrift anlässlich des siebzigsten Geburtstags von Rosa von Praunheim. Aber auch keine Abrechnung oder ein Nachtreten nach jahrzehntelanger Fehde zwischen „unfreiwilligen“ Gegenspielern.
Die Ansichten des Filmemachers und Schwulenaktivisten zur deutschen HIV-Prävention sind bis zum heutigen Tag umstritten, und die Wunden der heftigen Auseinandersetzungen der 90er Jahre scheinen bis heute nicht geheilt zu sein.
Auf beiden Seiten. Anders scheint es kaum erklärbar, warum die Gegner von einst, auch zwanzig Jahre später kein Statement anlässlich des Geburtstags abgeben wollen. Auch der Jubilar selbst stand der Deutschen AIDS-Hilfe für ein Interview nicht zur Verfügung.
Die Mörder unter uns
AIDS – und in diesem Fall muss das Wort in seiner alten Schreibweise mit großen Lettern geschrieben werden – die Metapher also, wie Susan Sontag in ihrem Buch so vortrefflich herausgearbeitet hat, die uns alle zu verschlingen drohte, hat heftigste Gefühle wie Zorn, Wut und Hass in uns allen ausgelöst.
Warum wir? Warum trifft AIDS ausgerechnet die schwulen Männer, die gerade an Selbstbewusstsein gewonnen hatten und deren Kampf um Anerkennung ihrer Sexualität in der Gesellschaft noch lange nicht zu Ende war?
In dieser verzweifelten Situation, in der Tausende Männer ihre Männer, Lover, One-Night-Stands verloren und mit Kriegsmetaphern gegen die Krankheit selbst, aber auch gegen Politik und Gesellschaft wie auch gegen die Gay-Community gefeuert wurde, schlug auch Rosa von Praunheims Vorwurf an die Adresse der HIV-Präventionisten in Deutschland ein wie ein Bombe: „Ihr seid alle Mörder!“.
Der Vorwurf Praunheims richtete sich vornehmlich gegen das deutsche Präventionsverständnis, das sich von dem unterschied, dass er während seines langjährigen Aufenthaltes in den USA kennengelernt hatte.
Gingen dort die Schwulen gewissermassen selbst mit dem Schlüssel in der Hand los, um Saunen und Darkrooms zu schließen, so stritten die damaligen Top-Präventionisten in Deutschland wie Hans Peter Hauschild, Rainer Schilling und Guido Vael für den Erhalt dieser Räume als „Lernorte von Safer Sex“.
Ihr Credo lautete: Schwule Männer können lernen sich zu schützen. Saunen und Darkrooms sind soziale Orte schwulen Lebens, die genutzt werden müssen, um der Ohnmacht, die AIDS auslöste und schwule Sexualität erneut ins Abseits stellte, Gemeinschaft entgegen zu setzen.
Nicht weniger, sondern mehr Nähe sollte helfen, den trennenden Kräften von AIDS Einhalt zu bieten. Kein trotziges „Jetzt erst Recht“, sondern vielmehr ein Zusammenrücken trotz AIDS sollte das Trauma überwinden helfen.
Seuchenstrategische Maßnahmen richten sich immer gegen Menschen
AIDS drohte mehr als Anderes, das gewonnene Selbstbewusstsein zu zerstören. Dieses Selbstbewusstsein mag sich mancherorts in einem hemmungslosen hedonistischen Ausleben von Sexualität gezeigt haben. Und es ist sicherlich richtig, dass an diesen Orten HIV-Infektionen stattgefunden haben. Doch seuchenstrategische Maßnahmen, wie das Schließen solcher Orte, richten sich auch immer gegen die Menschen, die sie aufsuchen.
Die Paternalisten von einst so wie die von heute, argumentieren natürlich mit dem Wohl für die schwulen Männer, die sich diesen Gefahren dann nicht mehr aussetzen können. Und es stimmt traurig wie wenig Selbstbewusstsein, wie wenig Zutrauen und wie wenig emanzipatorische Reife in diesem Ansinnen liegen.
Aus deutscher Präventionssicht muss gesagt werden: Wir hatten Glück, dass die, die es für uns besser zu wissen glaubten, nicht die Oberhand gewonnen haben.
Sexualität wurde nicht zurückgedrängt, die Lernorte schwuler Sexualität durften in Deutschland weiter existieren. Wer sie nutzen wollte, konnte und wer nicht, musste nicht hingehen. Es ist in Deutschland nicht gelungen durch Schließung von Saunen und Darkrooms, ein Exempel gegen schwule Sexualität als vermeintliche Ursache für AIDS zu statuieren! Und das ist gut so!
Wie gut die hiesige gegenüber der nordamerikanischen Präventionsstrategie geglückt ist, zeigt seit Jahrzehnten der unterschiedliche Verlauf der HIV-Infektionen, die in internationalem Vergleich in Deutschland besonders niedrig ausfällt. Das ist und bleibt das Verdienst der Verunglimpften von damals, „den Mördern“ der „Wir-wissen-was-gut-für-euch-ist-Strategie“.
Herzlichen Dank und Glückwunsch Rosa von Praunheim!
Genauso wie Praunheims großartige Kampfansage aus den 70er – „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“ – noch heute gilt, hat auch sein Schlagwort aus den 80er Jahren Gültigkeit bewahrt; „Ein Virus kennt keine Moral.“
Warum in alles in der Welt hat man jedoch bis heute das Gefühl, dass viele Äußerungen Praunheims zum Thema HIV mehr von moralinsaurer Bevormundung als von respektvoller Zugewandtheit geprägt sind?
Natürlich muss man Rosa von Praunheim für all seine Bemühungen danken, die er dem Thema Aids in Deutschland geschenkt hat. Ob Fernsehauftritte, eigene Filme oder Benefizveranstaltungen – all das wird mit seinem Namen verbunden bleiben.
Doch vielleicht sein größter Verdienst liegt in seiner Kampfansage an die deutsche Präventionsstrategie selbst. In einem „Spiegel“-interview von 2009 sagt er: „Ohne Reibung, ohne Tabubrüche gibt es keinen Fortschritt.“ Und eines ist gewiss: An Praunheims harten Worten wurde sich gerieben, ja, wundgerieben.
Die Präventionsstrategen der 80er und 90er Jahre haben den Fehdehandschuh aufgehoben und ihre eigene Position daran gestärkt. So kräftezehrend und kränkend für beide Seiten die Auseinandersetzung war, sinnlos war sie nicht. Sie hat den „deutschen Präventionsweg“ in Abgrenzung zu Praunheims Anwürfen unterstützt und vorangetrieben.
Ganz gleich, ob man der Auffassung ist, dass Praunheim seinen eigenen Erkenntnissen hinterherhinkt, wollen wir dem Sturkopf, Provokateur und „Nestbeschmutzer“ Rosa von Praunheim für seine Angriffsfläche danken und ihm zu seinem Siebzigsten gratulieren. Mag es auch manchem noch so wehtun.
Dirk Hetzel