Perspektivwechsel

Kürzlich traf ich einen lieben Menschen aus meinem früheren Berufsleben. Früher arbeitete ich als Krankenpfleger im Krankenhaus und der liebe Mensch war damals mein Abteilungsleiter. Wir haben unsere Rollen gewechselt, ich arbeite nun beim Berufsverband und er wollte die Strukturveränderungen auf unserer damaligen Abteilung so nicht mehr mitmachen und hat sich von der Administration zurückgezogen und der Pflege am Patienten wieder stärker zugewendet.

Der liebe Mensch hat mich sehr geprägt und früh beeindruckt – die freundliche Gelassenheit, die analytische Kompetenz, die Fähigkeit, sich abzugrenzen und die eigene Persönlichkeit zu schützen, das Vertrauen in andere Menschen und eine Fehlertoleranz anderen gegenüber, die es erst ermöglichte, aus den eigenen Fehlern und der anderer zu lernen – ohne sich dabei tagelang schlecht zu fühlen. Diese Fähigkeiten galten und gelten mir immer noch als essentielle Anforderungen  an Leitungspersonen.

Kürzlich also traf ich diesen lieben Menschen und wir kamen ins Reden über unseren gemeinsamen Lebensweg und was sich so verändert hat und mir fiel auf, wie wenig die Zeit an ihm nagte. Natürlich ist der liebe Mensch älter geworden und man sieht es ihm auch an – aber die freundliche Gelassenheit ist ihm nicht abhanden gekommen. So unterhielten wir uns also über die Arbeit, die wir früher gemeinsam machten und er merkte an, er können das Klagen der Kollegen und Kolleginnen nicht verstehen.

Sein Arbeitstag umfasse acht Stunden, sagte er mir, und dann ginge er nach Hause – das habe er früher auch schon so gemacht: es gibt Arbeit für diese Zeit, und wenn er geht, macht jemand anders an dieser Stelle für die kommenden acht Stunden weiter. Und auch mit der Wertschätzung, die im Moment in aller Munde sei: er könne sich nicht erinnern, dass in seinem Arbeitsvertrag Wertschätzung überhaupt erwähnt sei. Am Ende des Monats bekomme er sein Gehalt überwiesen und dafür ginge er zur Arbeit, schließlich müsse er sein Leben bestreiten.

Am Ende gilt wohl auch hier, dass die Perspektive eine große Rolle spielt.

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