Substitutionsärzte in Bayern unter Beschuss

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Bayrische Gerichte setzen Substitutionsärzte unter Druck (Foto: Oliver Weber/pixelio.de)

Elf Substitutionsärzte in Niederbayern drohen, zum Jahresende die Betreuung Drogenabhängiger zu beenden. Sie reagieren damit auf die Verurteilung zweier Kollegen, die aufgrund von Widersprüchen zwischen Gesetz und Therapieempfehlungen in die Mühlen der Justiz geraten sind. Von Axel Schock

Für schwer Drogenabhängige ist die Substitutionstherapie oft die einzige Chance, aus dem Teufelskreises von Sucht und sozialer Isolierung auszusteigen und sich in de Gesellschaft zu resozialisieren. Was Ärzte wie Gorm Grimm vor wenigen Jahrzehnten noch mit hohem persönlichen Einsatz auf den Weg brachten, ist heute längst medizinischer Standard.

Menschen wie der diesjährigen Welt-Aids-Tags-Botschafterin Marika ist es durch die Substitution gelungen, von der Straße wieder in ein bürgerliches Leben und in einen Beruf zurückzufinden. Die in einer Kleinstadt lebende Marika hat das Glück, dass sie ihre Medikation allmorgendlich durch einen Hannöverschen ambulanten Dienst erhalten kann.

Für 350 Patienten steht die Weiterversorgung auf der Kippe

Auch in Niederbayern kümmern sich in vielen kleineren Städten engagierte Substitutionsärzte darum, dass Suchtpatienten im ländlichen Raum an der Drogenersatztherapie teilhaben können. Für über 350 Patienten in München und Umland steht jedoch zum Jahresende die Weiterversorgung auf der Kippe, nachdem elf Ärzte angedroht haben, die Substitution zum 31. Dezember zu beenden.

Sie reagieren damit auf die Verurteilung einer Kollegin wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Das Urteil des Amtsgerichtes Viechtach – 150 Tagessätze á 100 Euro – war ohne Verhandlung erfolgt. Ihr war vorgeworfen worden, bei drei Patienten den Beikonsum akzeptiert und die Substitution fortgesetzt zu haben.

„Die staatsanwaltlichen Ermittlungen, das Urteil (…) der nachfolgende Approbationsentzug widersprechen in ihrer Begründung in eklatanter Weise sowohl den Richtlinien der Bundesärztekammer von 2010, dem Leitfaden der Bayerischen Akademie für Suchtmedizin (2010) sowie sämtlichen Standards in der Suchtmedizin“, heißt es in einer kürzlich veröffentlichen gemeinschaftlichen Erklärung bayrischer Substitutionsärzte.

Die jüngsten Urteile sind keine  Einzelfälle

Die Verurteilung der Kollegin aus Ruhmannsfelden ist allerdings kein Einzelfall. Auch in anderen Bundesländern hatten Substitutionsärzte bereits juristische Probleme bekommen. Festzustellen ist allerdings, dass in Bayern das Betäubungsmittelgesetz rigoroser und häufig auch entgegen den aktuellen medizinischen Leitlinien angewandt wird.

So war im April ein Kaufbeurer Hausarzt vor Gericht gelandet, der seit zwei Jahrzehnten drogenabhängige Patienten mit Substitutionsmitteln versorgt. Ihm wird vorgeworfen, das Methadon mit nach Hause mitgegeben und in anderen Fällen die Therapie auch dann fortgesetzt zu haben, wenn die Patienten zusätzlich noch andere Medikamente einnahmen.

Die Staatsanwaltschaft fordert Haft

Das Gericht sah darin einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und verurteilte den Arzt zu zwei Jahren Haft auf Bewährung sowie zu einer Geldstrafe von 40.000 Euro. Die Staatsanwaltschaft war mit dem Strafmaß allerdings nicht einverstanden und legte Berufung ein. Sie fordert für den 59-Jährigen eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren und den Entzug der Approbation. Am 3. Dezember soll darüber verhandelt werden.

Auch wenn es beim ersten Urteil bleiben sollte, ist der Kaufbeurer Arzt wirtschaftlich und beruflich zerstört. Dabei hatte er allein zum Wohle seiner Patienten gehandelt – und im Einklang mit den Richtlinien der Bundesärztekammer.

Diese sehen unter anderem vor, dass eine Take-Home-Vergabe von Ersatzmitteln angebracht sein kann, wenn es dem Patienten dadurch beispielsweise möglich wird, einer geregelten Arbeit nachzugehen.

Viechtach

Viechtach – beschauliche Stadt mit einem rigiden Amtsgericht (Foto: Mike aus dem Bayernwald)

Gerade in ländlichen Gebieten, in denen nur wenige Apotheken auf die Bereitstellung von Substitutionsmitteln eingestellt sind, bleibt den Ärzten meist gar nichts anderes übrig, als den Patienten das Methadon aus der Praxis fürs Wochenende herauszugeben.

In den Mühlen der Justiz

„Suchterkrankungen haben in der Ausbildung der Juristen wie auch der Ärzteschaft leider keinen großen Stellenwert“, beklagt Dirk Schäffer, Drogenreferent der Deutschen AIDS-Hilfe. Die Folge: Suchtkranke stoßen im Gesundheits- und Justizwesen auf durch Unwissenheit geprägte Vorurteile und Diskriminierung;  auch Therapien wie der Substitution wird mit Skepsis und Ablehnung begegnet.

Doch dies allein erklärt nicht, wie Substitutionsärzte ihrer Ansicht nach unverschuldet in die Mühlen der Justiz geraten und zu solch drastischen Strafen verurteilt werden konnten. Entscheidender sind längst überholte, zum Teil sich widersprechende Richtlinien. Nicht nur dass Krankenkassen und Ärztekammern auf Basis unterschiedlicher Leitlinien bei der Suchtmittelvergabe operieren, auch das Betäubungsmittelgesetz schafft statt Klarheit zusätzliche Verwirrung.

So untersagt beispielsweise der Gesetzgeber klar und deutlich eine Fortführung der Substitution, wenn der Patient „Stoffe gebraucht, deren Konsum nach Art und Menge den Zweck der Substitution gefährdet“. Zugleich aber sei für die Bewertung des Verlaufes der Behandlung durch den substituierenden Arzt der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft maßgebend – und der bewertet den Beikonsum völlig anders.

Die rechtliche Unsicherheit für behandelnde Ärzte ist größer geworden

„Der gemeinsame Bundesausschuss muss dringend aktiv werden, um Schaden von den Ärzten wie auch den Patienten abzuwenden“, fordert daher Dirk Schäffer.

Durch die aktuellen Urteile sei die rechtliche Unsicherheit für behandelnde Ärzte noch größer geworden, beklagt Markus Backmund, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) und Initiator des Initiativkreises Substitutionstherapie, einem neugegründeten Zusammenschluss ärztlicher Fachgesellschaften, der Bundesärztekammer und der Drogenbeauftragten der Bundesregierung mit Fachverbänden der Drogen- und Aids-Arbeit.

„Der Altersdurchschnitt substituierender Ärzte ist hoch, ein Großteil wird in absehbarer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen“, befürchtet Christoph von Ascheraden, Vorstandsmitglied der baden-württembergischen Ärztekammer und Vorsitzender des Ausschusses „Suchtmedizin“ gegenüber dem „Deutschen Ärzte-Blatt“.

Mit einem Bein im Knast

Engagierte Ärzte, die sich für das Wohl ihrer suchtkranken Patienten einsetzten und die schwierig handhabbaren Maßgaben in den Praxisalltag umsetzten, stünden bei ihrer Arbeit fast immer mit einem Bein im Gefängnis, kritisierte von Ascheraden.

Dass Ärzte, die sich in diesem ohnehin bereits stigmatisierten Arbeitsfeld engagieren, nun auch noch kriminalisiert werden, ist für die Initiative Substitutionstherapie ein fatales Zeichen. Nachwuchskräfte dürften dadurch kaum für Substitutionstherapien zu begeistern sein. Dabei bestehe schon ein Versorgungsengpass für rund 80.000 Patienten.

Die bayrische Justizministerin Beate Merk freilich steht hinter ihren Richtern und deren Urteilen. Die Substitutionsmedizin sei mit gesundheitlichen Risiken verbunden und deshalb auch an strenge Voraussetzungen geknüpft. „Wenn gegen die verstoßen wird, brauchen wir konsequente, bei Vorsatz auch strafrechtliche Sanktionen“, betonte sie gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“.

„Wir wissen, wie unsere Kollegen in Niederbayern, dass Aufwand der Behandlung Drogenabhängiger, gesellschaftliche Anerkennung und wirtschaftlicher Ertrag in einem grotesken Missverhältnis stehen“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der bayerischen Substitutionsärzte, „und wir verstehen es nicht als Zeichen der Schwäche, sondern als Unfähigkeit des Systems, wenn sie nicht mehr weiter die Verantwortung für diese Arbeit übernehmen können.“

Das Substitutionsrecht muss auf den Prüfstand

Nun gilt es dringend, das System, also die gesetzliche Grundlage, zu ändern. Darüber sind sich die Experten einig. Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin fordert die Politiker auf, das Substitutionsrecht insgesamt auf den Prüfstand zu stellen und dem aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen. Zu revidieren seien insbesondere das Abstinenzparadigma sowie die Strafandrohungen für Ärzte, die ihren Patienten Substitutionsmittel direkt überlassen.

Die SPD-Fraktion im bayrischen Landtag hat zudem mit einer Kleinen Anfrage von der Staatsregierung Aufklärung über die Situation der Methadonversorgung in Bayern gefordert. Die Antworten dazu sollen zum Monatsende vorliegen.

 

 

 

 

 


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