Auszüge aus dem Tagebuch der Einsatzärztin Barbara Haider aus Nairobi, Kenia
Morgens auf dem Weg zur Arbeit begegnet mir eine Frau im OBAMA-T-Shirt, gestern Abend beim Einkaufen im Slum mehrere amerikanische Flaggenträger und Obama-Verehrer. Hier ist er einer von Ihnen. Ich erfahre gegen 9.00 Uhr aus dem Fernseher im Warteraum, dass er es noch einmal geschafft hat. Hier ist die Freude groß. Anscheinend ja weltweit, und besonders in Westkenia am Victoriasee im Dorf seiner Stiefoma.
Die Arbeit war heute abwechslungsreich. Der Morgen beginnt mit einer jungen, verwirrten Frau, die seit heute nicht mehr sprechen kann. Seit drei Tagen hat sie Kopfschmerzen. Sie hatte eine Malaria-Selbsttherapie aus irgendeinem Quaksalber- Laden betrieben. Ein steifer Nackenund die typisch unregelmäßig-fleckige, schlechte Haut lassen wieder an eine Kryptokokkenmeningitis bei HIV denken, Fieber fehlt. Der Ehemann der Frau weiß nichts über ihren HIV-Status. Das Laborpersonal kommt in die Notaufnahme. Bald ist klar, dass auch diese Patientin HIV-positiv ist. Der Ehemann weist den Test zurück, er werde schon lange medikamentös behandelt – also ist er positiv und weiß es… Das Kryptokokkenantigen ist allerdings negativ, Blutbild unauffällig, so dass die endgültige Diagnose im Dunkeln bleibt. Die Patientin wird ins Mbagathi District Hospital eingewiesen.
Vorgestern kam eine Mutter mit einem schmerzhaften Ausschlag an Arm und Brust. Inzwischen weiß ich die Zeichen zu lesen. Herpes Zoster (Gürtelrose) hängt hier fast immer mit HIV zusammen. Nach der Mutter kam dann die Tochter zur Sprechstunde, ein völlig abgemagertes zwölfjähriges Mädchen, kurzatmig mit einer Lunge voller Husten, einem schnellen Puls, so dass man das kleine Herz von außen sich mühen sehen konnte und voller schuppiger Hautausschläge. Seit einem Jahr kann sie kaum mehr laufen, hat 5 kg Gewicht verloren – und da kommt die Mutter erst, wenn sie selber Schmerzen hat. Tochter und Mutter sind HIV-positiv, die Tochter hat zusätzlich Tuberkulose. Sie hat noch eine achtjährige Schwester, die wir noch nicht kennen und die wir für nächste Woche einbestellt haben. Bleibt spannend, in welchem Zustand dieses Kind ist. Ich verkneife mir noch, die Leute für doof zu erklären, aber diese Mutter könnte ich schütteln. Das ist eine Brutalität, mit der ich schlecht zurecht komme.
Gestern kam ein zwölfjähriger Junge, letzte Woche mit akutem Durchfall und einer Somali- Mutter, die klagend von den ewigen Bauchschmerzen des Jungen berichtete. Bei der Kontrolle und Befragung des gut Englisch sprechenden Jungen selbst kam heraus, dass er vorerst wieder gesund ist, aber dass er hungert – was eben Bauchschmerzen verursacht, die ich mit Medizin nicht behandeln kann. Sie sind acht Kinder zu Hause. Zum Glück gibt es das Ernährungsprogramm, wohin ich die Familie geschickt habe… Die beiden Ältesten der Familie gehen immerhin auf die weiterführende Schule und haben auf Grund ihrer Begabung ein Stipendium erhalten, das wenigstens ein Mittagessen einschließt.
Dazwischen sehe ich immer wieder Patienten mit unglaublich niedrigen Protein (Hb)-Werten. Heute war eine junge Frau da, die wir vor einer Woche mit einem Hb von 3,7 auf Eisen- und Folattherapie gesetzt hatten. Heute hatten wir schon 4,6, was für den Erfolg der Therapie spricht. Damit würde bei uns das Blaulicht anspringen, hier schicken wir die Patienten heim.
Mittags war ich dann mit Valerien, dem Sozialarbeiter und einer der freiwilligen Gesundheitsarbeiterinnen, bei Franziska Adengero, das ist eine Mutter mit drei Kindern. Mutter und Baby sind HIV-infiziert. Während die Mutter mit den Kindern im Krankenhaus war, hat der Vater das Inventar verkauft. Mein Freund Johannes hatte sich diese Familie ausgesucht, um sie zu unterstützen und wird, wenn alles klappt, die Schulausbildung des neunjährigen Steve Austine bezahlen. Deshalb hatte ich den Wunsch geäußert, diese Familie zu Hause zu besuchen, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Sie wohnen zumindest trocken, das ist schon viel bei den Regenfällen der vergangenen Tage. Es ist ein Steinhaus, das einem Vermieter gehört, der damit Geld macht, es an die Bedürftigen unfertig, verdreckt und überteuert zu vermieten.
Mit Hilfe von Johannes Spende wird sie ihren großen Sohn im Januar wieder einschulen, einen Frisörladen eröffnen und für drei Monate die Miete zahlen können. Außerdem kann sie ihre Krankenhausschuld bezahlen, das Geld hierfür musste sie sich leihen (es handelt sich um eine Summe von ca. fünf Euro…).
Nachdem die Sozialarbeiter alles geprüft haben, kann das Geld für die laufenden Schulkosten an die Frankfurter Zentrale überwiesen werden und wird hier verwaltet.
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