Hajo der Stationsarzt – der verhinderte Balkonsprung

Gerade eben von einer irren Expedition zurückgekehrt (selbstredend die Welt mal eben gerettet – ein Kommentar dazu von Federkiel), werde ich euch heute Abend gleich wieder von den guten alten Zeiten berichten. Damals als Hajo, noch jung, dynamisch und Stationsarzt war …

( … was bisher geschah … )

Und ein weiterer Notarzdienst wird Hajo aufs Auge gedrückt. Der Piepser schlägt an … Tute anmachen, ab gehts, Diagnose “Tablettenintoxikation”. Was das wieder alles sein kann: Die Einnahme von einer Tablette ASS in suizi­daler Absicht oder aber auch das ganze Sortiment des Hauses runter­geschluckt … Auf jeden Fall ist hier kontrollierte Hektik angesagt, denkt sich Hajo.

Heute kommt mal wieder die große Schleife zum Einsatz, das heißt: (Damals noch) Grünweiße und Rote (keine Würste) mit am Start. Telefonisch wurde wohl vom Freund der jungen Frau, die im Mittelpunkt des Geschehens steht, mit­geteilt, sie habe Unmengen an Tabletten reingefuttert und wolle sich damit umbringen. Alle versammelt, sprinten also etwa 30 Mann aus 6-7 Einsatzfahrzeugen (Der Oberbrandmeister ist noch nicht vor Ort) in das Treppenhaus bis in den 9. Stock hinauf. Hajo klingelt. Die Türkette wird von innen aufgelegt, eine junge Dame öffnet. Erschrocken von dem Anblick (ein vom Nachtdienst käsig aussehender Notarzt und die lange Schlange dahinter) schlägt sie die Tür gleich wieder zu. Noch­mal vorsichtig geklingelt. Wieder öffnet sie. Hajo möchte mit ihr vorsichtig ins Ge­spräch kommen.

“Also gut, Sie dürfen reinkommen, aber alle anderen sollen abhauen!” entgegnet sie.

Die Kameraden weichen ein paar Schritte zurück. Mit Sicherheitsab­stand wird Hajo nun also in die Höhle der Löwin eingeschleust. Rasch schließt sie die Tür wieder. Und nun? Etwas Small-Talk. Krampfhaft versucht Hajo herauszufinden, welche und wie viel Tabletten sie intus hat. Zunächst weicht sie immer wieder aus, sie wirkt auf jeden Fall sehr vital, doch dann deutet sie auf ein paar leere Schachteln. Insgesamt können es also ein paar Dies und Das gewesen sein. Der Kopf des Stationsarztes qualmt gehörig, Lebensgefahr be­steht höchstwahrscheinlich aber nicht.

Das Gespräch geht weiter und weiter. Sie macht keinerlei Anstalten freiwillig mitkom­men zu wollen. Die Zeit rennt Hajo davon, irgendwie müsste es ihm doch gelingen die Wohnungstüre blitzschnell zu öffnen um dann Ver­stärkung zu haben. Das Mädchen scheint seine Gedanken lesen zu können. Schlagartig rennt sie in Richtung Balkontüre und reißt diese nun auf, steht auf dem Balkon.

“Keinen Schritt weiter, sonst springe ich!”

Schweiß perlt von Hajos Stirn. Wir befinden uns dummerweise im 9. Stock. Sie lächelt. Er weiß nicht so Recht, was er von dieser Situation halten soll, macht sie wirklich ernst? Wieder lächelt sie. Hajo möchte einen anderen Job, gleich morgen würde er sich als … bewerben … ach Unsinn. Weiteres Reden. Durch seinen gesamten Stationsarzt Charme scheint Hajo nun tatsächlich ihr Vertrauen zu gewinnen und sie tritt wieder in die Woh­nung zurück. Immer weiter lockt er sie von der Balkontüre weg. Jetzt oder nie! Hajo sprintet zur Wohnungstür, stolpert aber dummerweise über den Teppich und knallt mit voller Wucht gegen den Türknauf. Die Türe öffnet sich und Hajo geht zu Boden.
Innerhalb weniger Sekunden versammeln sich nun etwa zehn, mittler­weile recht nervös gewordene, Mitstreiter in allen möglichen Unifor­men. “Game over!” denkt sich Hajo, etwas benommen. Er ist wahnsinnig erleichtert. Ein Kreis bildet sich um die Patientin. Der Weg zum Balkon ist versperrt.

“Freiwillig?” fragt Hajo.

“In diesem Fall … ja!”

Fazit? Eine junge Frau wurde gerettet. (Sie überlebte ohne Folgeschäden, die Tablettendosis war glücklicherweise gering) Sie fuhren also in Richtung Sonnenuntergang, das Notarzteinsatzfahrzeug und der Rettungswagen leuchteten im Glanze der letzten Sonnenstrah­len des Tages, es war still, es wurde dunkel, bald war es Nacht, die Sterne funkelten und ließen uns an einem Stück der Ewigkeit teilneh­men …

Artikel von: Monsterdoc

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