Gut, wir haben da diesen brüllenden Rocky-Rick, gerade mal sechzehn Monate alt, erkältet, hustet, Ohren tun wohl weh, das normale Herbst-Erkältungs-Programm. Aufgabe an mich heißt, Abhören, Hals gucken, Ohren schauen, das normale Untersuchungsprogramm.
Mutter (versucht, das Nonstop-Kreischen des Sohnes zu übertönen): “Ich kann ihm ja erstmal erklären, dass Sie ihn untersuchen wollen… Schau mal Rocky-Rick…”, gehetzt schaut der Kleine von ihr zu mir und wieder zurück, seine Gesichtsfarbe bekommt ein Bordeaux-Rot. Er hat bereits angefangen zu schreien, da war ich noch gar nicht im Zimmer. “…der Onkel Doktor tut Dich nur abhörchen, mit dem blauen Ding da, ja? Tut gar nicht Aua, ja, Rocky-Rick?”
Es kommt wenig an im frontalen Cortex. Es ist zu laut.
Ich: “Wissense, am einfachsten geht es immer im Sitzen bei Ihnen auf dem Schoß…”
Mutter: “Wie jetzt? Sie wollen…?”
Ich: “Nein, Ihr Sohn.”
Mutter: “Achso.” Sie fängt umständlich an, ihrem Sohn zu erklären, dass sie ihn jetzt zu sich auf den Schoß setzt. Die Lautstärke Rocky-Ricks Gezeter verhindert eine akustische Erfassung der Ausführungen.
Ich: “Machen Sie es einfach…”
Sie hebt ihn von der Untersuchungsliege und setzt sich selbst darauf, Rocky-Rick klammert sich in Bauch-an-Bauch-Sicherheitshaltung an sie, sein Brüllen geht es in ihrem Busen unter.
Ich: “So kann ich schlecht an ihn ran. Na, ich fang mal an.”
Ich stöpsel mir die Littmann-Oliven ins Ohr und genieße die kurze Ruhe. Nur dumpf dringt jetzt das Weinen an meine Trommelfelle. Ich lupfe das t-Shirt des Jungen (“Made by Daddy”) und höre ihn am Rücken ab, alle Konzentration gerichtet auf die kurzen Momente des Einatmens zwischen zwei Schreiphasen.
“Dass Sie da überhaupt was hören, Herr Dokter”, brüllt mir Rockys Mutter ins linke Ohr. Ich zucke zusammen.
“Jetzt mal von vorne”, sage ich und mache mit der Hand eine Umdrehbewegung.
Sie hebt das zeternde Etwas vom Busen ab und schiebt einen Arm etwas nach hinten, so dass eine circa zehn Zentimeter weite Öffnung zwischen sich und dem Jungen entsteht. Spitze. Optimale Verhältnisse. Ich schiebe den Schalltrichter an ihrem Busen vorbei an die Brust des Jungen. Keine Chance. Von irgendwoher kommt eine Kinderhand und schiebt das Stethoskop wieder weg. Ich entziehe mich dem Zugriff und höre wieder ab. Wieder die Kinderhand.
“Wenn Sie mal kurz die Hand?”, sage ich.
“Wie Was? Achso…”, sie hält die Hand ihres Sohnes fest, ich schaffe es in die nächsten Quadranten des Thorax.
“Jetzt mal komplett umdrehen, bitte”, wieder zeige ich ihr, wie, “jetzt noch Ohren und Hals.”
Sie schafft es nach zehn Minuten, den Jungen komplett umzudrehen, jetzt sitzt er Rücken an Busen und schaut mich aus erhitzten Augen an.
Anweisung an die Mama: Ein Arm hält die Arme des Jungen, eine Hand hält die Stirn. Sie nickt eifrig. “Schaff ich…”
Schafft sie nicht.
Mein Ohrtrichter kommt nur ins linke Ohr. Rot, wahrscheinlich vom Schreien. Dann hat er sich mit dem linken Arm losgerissen. Schubst mich beiseite.
“Na, hallo, jetzt ist aber mal gut”, sage ich etwas unwirsch. Schubsen lasse ich mich ungerne.
“Gell, mein Schatz, mein armer Schatz, der Dokter ist ein ganz lieber”, säuselt die Mama aus einer anderen Welt.
“So, jetzt nochmal gut festhalten”, erwidere ich und schenke ihr einen aufmunternden Blick.
Otoskop zum zweiten, rechtes Ohr.
Sie schafft es nicht. Zack, fliegt sein Arm hervor und schlägt mir ins Gesicht.
Ich schrecke zurück, völlig baff.
“Der wehrt sich halt”, sagt die Mutter.
Ich schlucke. Schlagen und schubsen überschreitet die Grenzen.
“Schon klar, Frau Rick, erstaunlich ist nur, dass sie ihm das erlauben”, sage ich dann.
Ich rolle weg von den beiden und wende mich den Rezepten zu.
“Siehst Du, Schatzelchen, hauen darf man nicht”, säuselt sie wieder, was weder in Lautstärke noch Intention das Kind erreichen wird. Rocky-Rick fühlt sich missverstanden und setzt wieder zur Sirene an. Sie nimmt den Hätschelkreis erneut auf und wiegt den Jungen zur Beruhigung.
Mich beruhigt erst mein Kaffee vor der Tür.
Hallali, was liebe ich den kleinen Ringkampf am Morgen während der Untersuchung eines Kleinkindes.