Mönsch, schon wieder ein Jahr vorbei, sie waren recht selten da in dieser Zeit, meine Filofax-Eltern, mal eine Erkältung hier, mal ein Durchfall da, nach der Akte nur dreimal im ganzen Jahr. Das spricht für ein gesundes Kind oder gesunde Eltern, jedenfalls, was den Umgang mit Akuterkrankungen angeht. Heute also die U7plus, die Vorsorgeuntersuchung mit Drei – bereits schulvorbereitend – jedenfalls aus Sicht mancher Kindergärten oder der Eltern.
Vater Filofax hat heute gar kein technisches Equpiment dabei – ich bin etwas enttäuscht – dafür zeigt mir die Mutter die ersten Malversuche ihrer Tochter.
„Sehen Sie, das ist unser Haus“, sie deutet auf ein Konglomerat aus Strichen und Kreisfiguren.
„Wunderbar, die Linien sind schon geschlossen“, lobe ich, „das sieht man immer gerne in diesem Alter.“
„Das kann sie ja sonst viel besser“, winkt der Vater ab. „Letztens hat sie mein Auto gemalt, wissen Sie, wir haben so einen Opel Zafira, der hat so ein einen Klappmechanismus für die Hintersitze, da kann man…“
„Ach, Schatz, lass mal“, unterbricht ihn die Mutter. „Tut doch jetzt nichts zur Sache.“
Zu mir: „Aber schön war das mal schon.“ Ich stelle mir ein ähnliches Kunstwerk wie das „Haus“ vor, sage aber lieber nichts. Wir Kinderärzte sind schon sehr streng: Strichfiguren und Kreisfiguren – wunderbar. Bildliche Darstellungen? Unwahrscheinlich. Aber alles in der Perspektive des Betrachters.
Bela-Maryke zeigt sich von ihrer besten Seite – ganz ohne Häme. Sie lässt sich untersuchen, sie zeigt mir alle Sprachbilder, sie hüpft und läuft rückwärts, kann schon die Farben zuordnen und zählt („Eins, Zwei, Vier, Sechs“ – vielleicht hat die Zahlenfrühförderung des Vaters doch Früchte getragen, diesmal mit Häme). Nur gegen Ende spielt sie die Prinzessin, entdeckt sie doch plötzlich, dass sie alles mitgemacht hat, was sie eigentlich doch nicht wollte. Ausgerechnet beim Ballkicken steht sie da wie eselstur, auf meine wiederholte Aufforderung zieht sie eine Flunsch und schaut mitleidsheischend nach der Mama: „Mamaaaah!“
„Komm, das kannste doch“, sagt der Vater etwas zu bissig.
„Mamaahaa!“
„Musste auch nicht, wenn Du nicht willst“, rettet sie die Mutter.
Worauf Bela-Maryke mit schwimmenden Augen in den rettenden Schoß der Mutter flüchtet.
Ach, ich liebe die kleinen Tyrannen.
„Zuhause kannses“, murmelt der Vater, sichtlich enttäuscht, dass seine Tochter nicht gut genug perform-t.
Und die Mutter verbringt den Rest der Vorsorge damit, das Kind unter Gebrülle anzuziehen.
Als hätte ich es geahnt.
Dennoch bin ich zufrieden.
Wir unterhalten uns noch etwas über diametrale Erziehungsstrategien der Eltern und wie man mit der Selbstbestimmung der Kinder umgehen kann, ohne sie gleich zu willfährige Mitläufer zu machen. Mein Optimismus der U3 war begründet – im Rach´schen Sinne „mache ich mir um die Entwicklung dieses Kindes keine Sorgen mehr.“