Palmen wehen sanft im Wind. Etwa 40 Leute sitzen im warmen Winterwind Manilas auf dem überdachten Vorplatz der Kirche. Daneben bunte Luftballons, jemand verkauft Lollis und im Hintergrund wimmeln Menschen um die kleinen Marktstände. Als die Gruppe friedlich beisammensitzender Patienten uns morgens mit einem Lächeln empfängt, denke ich mir gleich: “Na, da ist heute aber keiner richtig krank”.
Philippinen zum zweiten Mal, nachdem ich vor elf Jahren beim Besuch verschiedener Vulkane und des Taal-Obervatoriums erstmals Armut in einem Drittweltland hautnah auf den Straßen erleben konnte – ein schönes Gefühl, hierher noch einmal in medizinischer Aufgabe zu kommen. Manila ist weiter gewachsen. Die steigende Präsenz großkalibriger Geländewagen deutet auf einen wachsenden Mittelstand hin. Riesige Einkaufsmalls blinken den konsumfreudigen Besucher an. Hier haben wir gestern beim ersten Café die Vielzahl nützlicher und scheinbar nützlicher Dinge bestaunen können. Meine Kamera hatte ich leider nicht dabei, sonst wären der Hundefriseur, die Achterbahn im Obergeschoss oder die Familie einschließlich Schoßhund mit Pampers ein Bild wert gewesen. Streng getrennt von der Welt draußen. Die Sicherheitsschleuse und Leibesvisite durch den Sicherheitsdienst stellt sicher, dass wir hier unseren Patienten nicht begegnen können…
Der Tag beginnt friedlich. Alle Patienten lächeln, erzählen scheinbar sorglos und uns zugewandt ihre Geschichten. Ganz anders als die Neigung zum exzessiven Leiden, wie sie mir von zahlreichen Patienten in Bangladesch in Erinnerung ist oder die geschäftstüchtige, nimmermüde feilschende Art mancher Kranken in unserem Kalkutta-Projekt. Ja, heute bedanken sich die Patienten sogar und lächeln wieder, auch wenn sie nur ein oder zwei Medikamente bekommen und dafür viele Stunden geduldig gewartet haben. Und nicht alle Geschichten sind so friedlich, wie es scheinen mag: Der Blutdruck von 200/110 mmHg eines präkollaptischen Patienten passt ebenso nicht zur sanften Stimmung wie die Frau mit der vereiterten Trommelfellperforation, deren Verletzung sich dann als Folge häuslicher Gewalt entpuppt.
Selten schienen mir in einem Projekt so viele Patienten wirklich behandlungsbedürftig, wie in diesen ersten Tagen auf den Philippinen – und so wenige zeigten es offen. Der “Homevisit” bei einer neu aufgenommenen Frau am Nachmittag macht mir dies noch einmal drastisch deutlich. Wirkte die Frau am Morgen recht beredt und patent, sodass ich sie eher dem Mittelstand als den Ärmsten der Armen zugeordnet hatte, wirkt die Situation im Haus der Familie doch bedrückend düster und ausweglos. In dem fensterlosen, zugemauerten Verschlag gibt es kein Wasser, jede Menge Müll und keinen Schrank. Im 2×2 m großen “Wohnzimmer” kauern neben zwei Hunden, ein Sohn und eine Tochter, die trotz recht geordnetem persönlichen Eindruck offenbar keine Aussicht darauf haben, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ein Bretterverschlag scheint der Kleiderschrank zu sein, den ich eine Weile lang anschaue, während unsere Übersetzerin den obligatorischen Fragebogen zum Sozialstatus mit der Patientin ausfüllt. Bis mir plötzlich auffällt, dass da am Boden ein paar Füße hervorschauen: Das ist ihr zweiter Sohn und dahinter ihr Mann. Die seien etwas phlegmatisch und wohnten eben hier, erklärt die Patienten freundlich und lächelt. Fünf Personen, etwa 12 m² Platz, 3.000 Pesos im Monat, etwa 60 Euro. So kann man sich verschätzen!
Ob unsere Patienten hier wirklich weniger leiden als anderswo? Und wie viel ist Fassade? Ich bin auf die nächsten Wochen gespannt. Trotz allem wirken die Menschen hier friedvoller, weniger aufbegehrend und offener als in Indien oder Bangladesch. Aus den kleinen und leisen Zeichen ihre wahren Geschichten zu erkennen, könnte eine Aufgabe für die nächsten Wochen werden…
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