Der UN-Sozialpakt von 1966 sagt: Jeder Mensch hat das Recht auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit. Für Inhaftierte gilt dieses Menschenrecht bis heute nicht im vollen Umfang – das muss sich endlich ändern!
Von Holger Sweers
In Deutschland waren am Stichtag 31. März 2011 knapp 68.000 Menschen inhaftiert – ein großer Teil davon Drogengebraucher/innen: Die 2008 vom Wissenschaftlichen Institut der Ärzte Deutschlands (WIAD) und dem Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichte Studie „Infektionskrankheiten unter Gefangenen in Deutschland: Kenntnisse, Einstellungen und Risikoverhalten“ zeigte, dass rund ein Drittel der 1.582 Befragten (bei den Frauen sogar knapp die Hälfte) wegen eines Drogendelikts inhaftiert war und rund ein Viertel auch in Haft Heroin konsumierte (22,7 % innerhalb und außerhalb des Gefängnisses, 2,5 % nur im Gefängnis, 12,5% nur in Freiheit).
In Haft sind Prävention und Behandlung eingeschränkt
Anders als „draußen“ können sich intravenös Drogen gebrauchende Gefangene aber nicht oder nur sehr eingeschränkt vor HIV- und Hepatitis-Infektionen schützen, und auch der Zugang zur Behandlung ist schlechter. Kondome zum Beispiel sind entweder gar nicht oder nicht anonym zugänglich; nur in Nordrhein-Westfalen müssen die Vollzugsanstalten den anonymen Zugang zu Präservativen und Gleitmitteln gewährleisten und begleitende Informationen anbieten.
Auch eine bedarfsgerechte Substitutionsbehandlung ist, trotz Fortschritten, noch nicht gegeben: In vielen Gefängnissen verbirgt sich hinter „Substitution“ lediglich ein medikamentengestützter Entzug oder ein Angebot zur Vorbereitung der Haftentlassung und nicht die „draußen“ übliche längerfristige Behandlung, obwohl die auch für Anstaltsärzte bindende Richtlinie der Bundesärztekammer zur Substitutionstherapie Opiatabhängiger sagt, dass die Weiterführung einer draußen begonnenen Behandlung in Haft sichergestellt werden soll.
Besonders deutlich wird die Missachtung des Menschenrechts Gefangener auf Gesundheit aber daran, dass sterile Spritzen – die effektivsten und kostengünstigsten Mittel zum Schutz vor HIV, Hepatitis und anderen gesundheitlichen Folgen des Drogenkonsums – nur noch in einem einzigen der 185 deutschen Gefängnisse angeboten werden, obwohl es zwischenzeitlich mehrere erfolgreiche Modellprojekte gab. Die Folge: Jeder fünfte Gefangene benutzt im Gefängnis Spritzen gemeinsam mit anderen.
Sterile Spritzen gibt es nur in einem von 185 Gefängnissen
Häufig handelt es sich dabei um „Eigenanfertigungen“, zum Beispiel aus Kugelschreiberminen, die an der Zündfläche einer Streichholzschachtel angespitzt werden; die Droge wird dann mit Luftdruck in die Vene gepumpt. Das Gesundheitsrisiko beim Spritzenteilen ist hoch: Die Rate der HIV-Infizierten ist bei Gefangenen je nach Region rund 20-mal höher als in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung, bei Hepatitis C sogar bis zu 40-mal höher.
Um gegen diese Zustände zu protestieren, hat die Deutsche AIDS-Hilfe im Juli 2011 eine Unterschriftensammlung auf www.drogenundmenschenrechte.de gestartet und die Justizminister/innen der Länder aufgefordert: „Sorgen Sie dafür, dass auch im Gefängnis sterile Spritzbestecke, Kondome und Gleitgel zugänglich sind und dass Drogenkonsumenten eine Substitutionsbehandlung mit dem für sie geeigneten Medikament erhalten können.“
Passiert ist seither wenig – die Ministerien haben den Vorwurf der Menschenrechtsverletzung zwar zurückgewiesen, ihn aber nicht entkräftet. Die Deutsche AIDS-Hilfe und ihre Bündnispartner dürfen deshalb auch 2013 nicht lockerlassen, bis endlich auch für Gefangene gilt: Jeder Mensch hat das Recht auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit.