Strategische Highflyer-Visionen treffen operativen Dilettantismus: Wenn die Management-Wirklichkeit in Arztpraxen dem unternehmerischen Anspruch nicht gerecht wird

Dr. P. und sein Kollege haben hochtrabende Pläne im Hinblick auf die Entwicklung des Wachstums ihres Praxisbetriebs. Verschiedene Optionen wurden entwickelt, mit Hilfe strategischer Modelle verglichen und in Business-Pläne gefasst. Eine als Grundlage der konkreten Umsetzungsschritte vorgeschlagene Analyse konnte jedoch erst nach Entkräftung massiver Einwände und Ablehnung der beiden Mediziner durchgeführt werden, die hierfür keine Notwendigkeit sahen. Der Ergebnis-Bericht, dessen Auszug im Folgenden dargestellt ist, offenbart dann gravierende Missstände in der Praxisführung und beschreibt eine Ausgangslage, in der jede strategische Entwicklung zum Scheitern verurteilt ist. Das Vorgehen der Ärzte in der Praxis P. ist leider kein Einzelfall: hochtrabende Ideen treffen auf nur bedingt tragfähige Grundlagen und eine ausgeprägte „Analyse-Feindlichkeit“. So ist es kein Wunder, dass knapp die Hälfte derartiger Entwicklungsprojekte bereits im ersten Jahr ins Stocken gerät. Die Untersuchungs-Resultate der Praxis P. geben auch einen Einblick, warum trotz Qualitätsmanagement der Praxisbetrieb nicht „rund“ läuft (Stichwort: Pro Forma-Qualitätsmanagement). Zudem verdeutlichen sie, durch welche Fehl-Regelungen es dazu kommt, dass sich in Arztpraxen durchschnittlich 28 Ansätze zur Verbesserung des Praxismanagements finden (http://bit.ly/wkRVfb ).

Auszug aus der Analyse-Expertise:

A. Praxis-Grund-Daten
– Die Praxis ist in ihrem Einzugsgebiet etabliert und besitzt einen sehr guten medizinischen Ruf.
– Neben zwei Ärzten besteht der Mitarbeiter-Stab aus vier Vollzeitkräften (Zugehörigkeit: (8 Jahre, 5 Jahre, 2 Jahre und 3 Monate), drei Lehrlingen, einer OP-Schwe​ster, die an den OP-Tagen in der Praxis ist, sowie einer Röntgenaushilfe. Demnächst ​kommt ein Internist hinzu, der das Leistungsspektrum vergrößern soll.
– Ca. 180-250 Patienten frequentieren die Praxis pro Tag.
– Das Patientenklientel besteht aufgrund der Struktur des Einzugsgebietes zu etwa ​15% aus Privatpatienten, der Anteil soll jedoch erhöht werden.
B. Der Praxisbetrieb
1. Rezeption
1.1 Besetzung
: Die Rezeption ist mit einer Vollkraft und einem Lehrling besetzt.
1.2 Aufnahme-Organisation: Um die Patientenströme zu kanalisieren, wurden Laufwege eingerichtet, die die Patienten in geordneter Reihenfolge an die Rezeption heranführen sollen. Das Rezeptions-Personal sitzt jedoch teilweise im Seitenbereich der Rezeption und lenkt so die Patienten von den vorgesehen Wegen ab, so dass das beabsichtigte Ziel, den Wartevorgang zu organisieren, nicht erreicht wird.
1.3 Patienten-Klassifizierung und -Priorisierung: Die Mitarbeiter verfügen über nicht über die Fähigkeit die Dringlichkeit der Beschwerden einzuschätzen und so neben der Terminabfolge Behandlungsprioritäten zu vergeben („menschlich-medizinischer“ Blick),. Dies führt dazu, dass beispielsweise auch Schmerzpatienten warten müssen.
1.4 Informationsfluss: Mehr als einmal konnte festgestellt werden, dass der Praxisinhaber über für ihn bestimmte Anrufe nicht informiert wurde und erst wesentlich später durch den direkten Kontakt mit den Anrufern hiervon erfuhr.
1.5 Telefon-Kommunikation: Neben der Telefonzentrale befindet sich ein kleines Büro mit PC und Headset, in dem auch die Telefonanlage steht (Diskretion). Die Mitarbeiter schaffen es allerdings organisatorisch nicht, dieses Büro kontinuierlich zu besetzen.
2. Aufbauorganisation
2.1 Arbeitsplatzbeschreibungen
: Es existieren für alle Mitarbeiter Arbeitsplatzbeschreibungen, die aber im Praxisalltag nicht beachtet und nicht umgesetzt werden.
2.2 Führung: Es werden keine regelmäßigen Mitarbeitergespräche geführt. Missstände werden im Arbeitsalltag entweder gar nicht oder fallweise und dann „heftig“ ange-sprochen.
2.3 Innerbetriebliche Information: Es gibt keine regelmäßigen Besprechungen zwischen Ärzten und Mitarbeitern.
2.4 Mitarbeiterqualifikation: Die Fähigkeiten einzelner Mitarbeiterinnen wirken aufgrund souveränen Auftretens und guter Rhetorik weit ausgeprägter als sie es tatsächlich sind. Ein Mitarbeiter-Entwicklungs- und Förderprogramm existiert nicht.
3. Ablauforganisation
3.1 Organisationsprinzip
: Vom Grundsatz her werden mit den Patienten Termine vereinbart, diese werden aber nur in seltenen Fällen seitens der Praxis eingehalten.
3.2 Warteliste: Sobald Patienten an der Rezeption aufgenommen sind, wird ihr Name in eine der drei PC-Wartelisten (Liste 1: Arzt 1, Liste 2: Arzt 2, Liste 3: Besonderes) aufgenommen. Trotz dieser Liste warten Patienten sehr lange. Dies ist bei Arzt 2 weniger der Fall, da er mehr Zeit an seinem Arbeitsplatz verbringt und seine Liste regelmäßiger kontrolliert. Zudem stehen nur in zwei Zimmern des Arbeitsbereiches von Arzt 1 PCs.
Darüber hinaus werden die Namen nicht aus der Tagesliste gelöscht, wenn Patienten die Praxis verlassen. Im Prinzip ist vorgesehen, dass dies derjenige tut, der den Patienten verabschiedet.
3.3 Personaleinsatz: Grundsätzlich gibt es keine feste Aufgabenverteilung, vielmehr „macht jeder alles“. Sogenannte „Springer“ begleiten die Ärzte durch den Arbeitstag. Das Problem hierbei ist eine durchgängige „Schlampigkeit“ (Beispiel: die Spritze ist da, aber kein Tupfer), häufig wird zudem die Nachbearbeitung vergessen. Eine zusätzliche Aufgabe der „Springer“ besteht in der Dokumentation der erbrachten Leistungen.
3.4 Vor-Wartezone: Um den Patientenfluss zu verbessern, wurde im Arbeitsbereich von Arzt 1 eine Vor-Wartezone eingerichtet. Das Personal organisiert die Arbeit aber nicht entsprechend, so dass die Patienten auch in diesem Bereich lange warten.
3.5 Dienstpläne: Dienstpläne liegen vor, werden aber nicht eingehalten.
3.6 Arbeitszeit: Alle Mitarbeiter bleiben sehr lange in der Praxis, obwohl hierzu kein Anlass besteht. Die Ärzte vermuten, dass dies aus schlechtem Gewissen wegen der Vielzahl an Flüchtigkeitsfehlern geschieht.
3.7:Arbeitsqualität: Die Arbeitsqualität ist durch drei Faktoren gekennzeichnet:
(a) die Arbeiten werden nicht umgehend erledigt (man lässt Dinge liegen und wendet sich einer anderen Arbeit zu, um danach zur ursprünglichen Aufgabe zurückzukehren),
(b) viele Fehler passieren in der Wiederholung (Beispiel: Briefe werden nicht ausreichend frankiert),
(c) die Arbeiten werden nicht koordiniert erledigt.
3.8 Material-Organisation: Auch hierfür ist niemand zuständig, so dass es beispielsweise passiert, dass Papier benötigt wird, man es erst im Keller sucht und nicht findet, nach Insistieren des Arztes dann hinter dem Gerät entdeckt. Zur Verwaltung des Verbrauchsmaterials existiert ein Bestellbuch, das jedoch nicht systematisch gepflegt wird.
3.9 Informationsfluss und Abstimmung: Die Mitarbeiter informieren sich gegenseitig nicht. Dies ist einer der Faktoren, der zu Organisations-Problemen führt, die ihrerseits wieder Streitigkeiten unter den Mitarbeitern verursachen.
3.10 Terminorganisation: Die Mitarbeiter vergessen z.B., an Hausbesuche zu erinnern.
3.11 Verhalten gegenüber Patienten: Das Personal erzeugt Aggressionen bei Patienten. Beispiel: um 13:45 Uhr stehen die ersten Patienten vor der Eingangstür und sehen, wie sich in der Praxis das Personal unterhält, sie aber nicht vor 14:00 Uhr – der offiziellen Öffnungszeit – in die Praxis lässt.

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