Chronische Entzündungen geraten immer stärker in den Fokus der modernen Medizin. Das Journal „Nature“ widmete ihnen 2008 die Beilage „Inflammation“. Viele Zivilisationskrankheiten gehen einher mit chronisch entzündlichen Prozessen. Mediziner sprechen in diesem Zusammenhang von einer multifaktoriellen Genese der Krankheitsentstehung. Nicht eine einzige Ursache sondern viele Einflussfaktoren können Erkrankungen auslösen und am Leben erhalten. Wer nicht nur Symptome unterdrücken und stattdessen die körpereigene Selbstheilung stimulieren will, der tut gut daran, die Vielzahl der pathogenen Faktoren auch therapeutisch zu berücksichtigen. Sogenannte inflammatorische Prozesse (Entzündungen) scheinen in diesem Zusammenhang eine übergeordnete Rolle zu spielen und mit ihnen Maßnahmen, die Entzündungen vorbeugen und sie therapieren. Dr. Dr. med. Petja Piehler, Chefärztin Innere Medizin an der RoMed Klinik Wasserburg am Inn, erläutert im folgenden Interview, warum das Wissen um entzündliche Prozesse für uns alle sehr wichtig sein kann und warum es einem therapeutischen Konzept – der Neuraltherapie – zu wachsender Bedeutung verhilft.
Foto: CRP ist ein Indikator für Entzündungen. Subklinische chronische Entzündungen lassen sich mittels Neuraltherapie (NT) schonend und nachhaltig hemmen. – Foto: © DOC RABE Media – Fotolia.com
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Interview mit Dr. Dr. med. Petja Piehler:
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Frau Piehler, was glauben Sie, wie häufig wird das Wort „inflammatory“ – englisch für „entzündlich“ – auf der Webseite der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature“ erwähnt?
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Dr. med. Petja Piehler: Mir ist bekannt, dass chronische Entzündungen in den letzten Jahren verstärkt ins Blickfeld der Medizinforschung geraten sind. Viele Zivilisationskrankheiten wie z. B. das metabolische Syndrom, Arteriosklerose, chronische Lungen- und Darmerkrankungen oder Typ-2 Diabetes zeichnen sich dadurch aus, dass lang anhaltende subklinische entzündliche Prozesse – man spricht auch von „silent inflammation“ – das Krankheitsgeschehen begleiten und sehr wahrscheinlich zur Chronifizierung beitragen.
Wie sich diese wachsende Bedeutung allerdings auf die Verwendung des Begriffs „inflammatory“ bei nature.com auswirkt, das kann ich Ihnen nicht sagen. Die Literaturdatenank PubMed zeigt für „inflammatory“ über 400.000 Suchergebnisse an.
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Wer nach “inflammatory” site:http://www.nature.com googelt, der erhält derzeit 105.000 Ergebnisse. „Heart“ führt zu 130.000, „stomach“ nur zu 16.400 Treffern. Hat das Thema Entzündungen neben einer akademischen auch eine praktische Bedeutung für chronisch kranke Menschen?
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Dr. med. Petja Piehler: Nach meiner Erfahrung in einer Klinikabteilung für Innere Medizin hat es die in vielen Fällen – und zwar erheblich.
Um die praktische Bedeutung zu verstehen, macht es Sinn, sich zunächst einmal den Unterschied zwischen einer akuten und einer chronischen Entzündung bewusst zu machen. Akute Entzündungen sind ein wichtiger und sehr nützlicher Mechanismus, mit dem der Organismus auf potenziell gefährliche physikalische, chemische oder biologische Reize reagiert, um sich zu schützen – z. B. vor Quetschungen, Allergenen, Giften, Bakterien, Pilzen, Parasiten usw.
Ein Problem entsteht erst dann, wenn dieser natürliche und sinnvolle Mechanismus degeneriert und chronisch wird. Dann kann es sein, dass der Körper nicht mehr zwischen „Freund“ und „Feind“ unterscheidet und sich selbst – d. h. gesundes Gewebe – aktiv bekämpft.
Bekanntlich ist dies bei Autoimmunerkrankungen und Allergien der Fall. Neue Daten sprechen dafür, dass auch viele Zivilisationskrankheiten, die von subklinischen chronischen Entzündungen begleitet werden, in eine ähnliche Kategorie gehören.
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In medizinischen Fachmedien ist immer wieder die Rede davon, dass chronische Erkrankungen mit chronischem Stress zu tun haben. Führt chronischer Stress zu chronischen Entzündungen?
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Dr. med. Petja Piehler: Ob chronische Erkrankungen mit chronischen Entzündungen einhergehen, das lässt sich anhand von Biomarkern feststellen. Beim metabolischen Syndrom und bei Typ 2 Diabetes zeigen sich beispielsweise leicht erhöhte CRP-Werte. CRP steht für C-reaktives Protein. Das ist ein Eiweiß, welches im Blut immer dann in erhöhter Konzentration festgestellt werden kann, wenn Entzündungen vorliegen.
Neuere Daten zeigen, dass es sich bei der Adipositas auch um einen sogenannten proinflammatorischen Zustand handelt, erkennbar an entzündungsfördernden Zytokinen im Fettgewebe. Der Zusammenhang zwischen Parodontitis und Arteriosklerose ist seit längerem bekannt. Zunehmend wird auch die Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) als eine systemische entzündliche Erkrankung erkannt, wobei Entzündungsmarker im Blut, Sputum, BAL, Urin und Atemexhalaten gefunden werden.
Was eine chronische Erkrankung und Entzündung jedoch genau auslöst, das lässt sich nicht so einfach sagen. Wir haben es hier mit Kaskaden von Effekten zu tun, zu denen auch chronischer Stress gehören kann und zwischen denen es eine Verbindung zu geben scheint. Sicher ist nur, dass bei einer ganzen Reihe von Zivilisationskrankheiten die chronische Entzündung so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner ist.
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Abbildung: nature insight, Inflammation, Vol. 454, No. 7203 pp 427–477
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Wie nützlich ist dieses neue Wissen für Ärzte und Patienten?
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Dr. med. Petja Piehler: Das ist der springende Punkt. Entzündliche Prozesse sind nicht nur eine Problemquelle. Sie sind auch wertvolle Wegweiser, die uns neue Wege zeigen, um chronische Erkrankungen noch effektiver als bisher zu therapieren.
Subklinische chronische Entzündungen deuten darauf hin, dass wir bei einer ganzen Reihe von Zivilisationskrankheiten deutlich mehr machen können, als mit Cortison oder Schmerzmitteln nur Krankheitssymptome zu unterdrücken – für den Preis nicht ungefährlicher Nebenwirkungen.
Chronisch kranke Menschen können von einem „anti-entzündlichen Lebensstil“ profitieren. Ärzte können mit Lokalanästhetika wie z. B. Procain die exzessive Stimulation des inflammatorischen Systems nachhaltig hemmen, ohne gleichzeitig das körpereigene Abwehrsystem zu schwächen, wie das bei überdosierter Gabe von Cortison der Fall ist.
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Was verstehen Sie unter einem „anti-entzündlichen“ Lebensstil?
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Dr. med. Petja Piehler: Mit „anti-entzündlichem“ Lebensstil sind einfache Maßnahmen wie z. B. Ernährung und Bewegung gemeint, mit denen wir etwas für unsere Gesundheit tun können.
Mehrere Untersuchungen zeigen, dass bereits einige Wochen nach Beginn gesteigerter körperlicher Aktivität der Spiegel von zirkulierenden Entzündungsmarkern sinkt. Sport hat in der Therapie und Prävention von subklinischen chronischen Entzündungen eine herausragende Bedeutung. Und weil chronische Low-Level-Entzündung wahrscheinlich auch das Immunsystem schwächen, schützt gesunde körperliche Aktivität tendenziell vor Degeneration bis hin zu Krebs und verfrühter körperlicher Alterung.
Wie sieht es mit der Ernährung aus?
Dr. med. Petja Piehler: Ernährung ist das zweite wichtige Standbein einer „anti-inflammatorischen“ Lebensweise. Unser Augenmerk gilt dabei hochpotenten „anti-entzündlichen“ Naturstoffen – Polyphenolen. Hier gibt es eine Ganze Reihe von vielversprechenden pflanzlichen Substanzen:
• Querceptin – enthalten in Brokkoli, Apfel oder Zwiebel
• Resveratrol – enthalten in Wein, Erdnuss
• 6-Gingerol – enthalten in Ingwer
• Naringenin – enthalten in Grapefruit
• Capsaicin – enthalten in Cayennepfeffer
• Kaempferol – enthalten in roten Trauben oder Rotwein
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Sie raten dazu, leichte chronischen Entzündungen mit Lokalanästhetika zu therapieren, wie das in der Neuraltherapie gemacht wird. Warum?
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Dr. med. Petja Piehler: Lokalanästherika wie z. B. Procain werden in der konventionellen Medizin bisher schwerpunktmäßig eingesetzt, um Schmerzen zu therapieren. Was Prof. Dr. med. Lorenz Fischer hier im Blog zum Wirkmechanismus in der Schmerztherapie gesagt hat, das gilt analog auch für die Therapie überstimulierter inflammatorischer Systeme.
Lokalanästhetika können dazu beitragen, eine Art „Teufelskreis“ zu durchbrechen, der den Organismus daran hindert, sich zu regulieren und wieder einen gesunden Status zu erreichen. Sie wirken auf das vegetative Nervensystem ähnlich wie das Reset bei einem PC. Der übererregte Sympathikotonus kann sich neu organisieren, wobei der therapeutische Effekt in der Regel viel länger anhält als die Dauer der lokalen Betäubung. Ein Lokalanästhetikum wie z. B. Procain wirkt darüber hinaus durchblutungssteigernd und entzündungshemmend.
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Foto: Nervenbahnen. © ktsdesign – Fotolia.com
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Gibt es Studien, die diese Aussage stützen?
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Dr. med. Petja Piehler: Prof. Dr. med. Andreas Krause und Kollgen konnten 1999 in einer Charité-Studie zeigen, dass eine Langzeittherapie mit Procain zu einem nachhaltigen Abfall der Entzündungsparameter Interleukin-6 und CRP führt.
Weiterhin gibt es Studien von Rimbäck (1990), Nieto (2000) und Malone (2006), die auf eine direkte anti-entzündliche Wirksamkeit über Hemmung von Prostaglandinsynthese, Leukozytenmigration und Hemmung der Freisetzung von lysosomalen Enzymen hinweisen.
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Was raten Sie Kolleginnen und Kollegen, die sich über das therapeutische Potenzial von Lokalanästhetika rund um die Therapie chronischer Erkrankungen und chronischer Low-Level-Entzündungen informieren wollen?
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Dr. med. Petja Piehler: Wer sich in die entsprechende Fachliteratur einlesen will, Interesse an Neuraltherapie-Kursen hat oder sich mit erfahrenen Neuraltherapeuten austauschen will, dem empfehle ich den Besuch der Webseite www.neuraltherapie-online.de. Hier befinden sich alle Informationen und Kontakte, die an der Neuraltherapie interessierte Kolleginnen und Kollegen benötigen..
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Frau Dr. Piehler, vielen Dank für dieses interessante Gespräch.
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(Das Interview führte Claus Fritzsche.)
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Tags:
Neuraltherapie, Neuraltherapie-Indikationen, Procain, silent inflammation
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