Zwei Jahrzehnte hat Uwe Görke-Gott im Alleingang Aids-Aufklärung betrieben. Nun wird er für sein Engagement mit der Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Ein Porträt von Axel Schock
Dass Uwe Görke seit geraumer Zeit zusätzlich Gott in seinem Nachnamen führt, hat eigentlich einen banalen, aber sehr schönen Grund: 2010 heiratete er seinen Lebenspartner Benjamin Gott und übernahm dessen Familienamen. Nicht alle haben das mitgekriegt, und tatsächlich bekam Uwe Görke, nunmehr Uwe Görke-Gott, genau solche Kommentare zu lesen, wie er sie schon hatte kommen sehen: „Jetzt dreht der Typ ja völlig ab!“
Uwe kann über dieses Missverständnis zum Glück lachen. Daran, dass man ihn für einen Selbstdarsteller, Profilneurotiker oder einfach nur für ein bisschen verrückt hält, hat der 48-Jährige in den vergangenen 20 Jahren oft genug erleben müssen.
Streetwork in der Provinz
Gerade in den Metropolen, den dortigen Aidshilfen und in manch ach so wichtiger Schwulenzeitschrift habe man für den seltsamen Vogel aus Schwerte bestenfalls ein Lächeln übrig gehabt. „Am meisten hat mich gewurmt, dass sich Leute ein Urteil über mich bildeten, ohne mich überhaupt zu kennen“, erzählt Uwe. Die hätten nie verstanden, was er hier, mitten in der Provinz zwischen Unna, Wuppertal und Hagen, eigentlich mache. Wie wichtig es sei, eben dorthin zu gehen, wo sonst niemand hingeht.
Uwe hat es gemacht. Ist auf Schulhöfe, in Fußgängerzonen und Fußballstadien gegangen. Überall dort, wo sich im östlichen Ruhrgebiet Menschen trafen, war auch Uwe Görke, um sich als offen HIV-positiver Mensch für Akzeptanz, Miteinander und Aufklärung einzusetzen.
Anfang der 1990er Jahre hatte er sein Testergebnis erhalten und war, wie viele andere HIV-Positive zu jener Zeit, in die Erwerbslosenrente geschoben worden. Als die Werte besser wurden, stellte er sich die Frage, wie er seine Zeit sinnvoll nutzen kann. „Ich war ehrenamtlich und frei. Viele der Dinge, die ich gemacht habe, hätte ich als festes Mitglied einer Aidshilfe wahrscheinlich nicht tun können“, ist sich Uwe sicher. Dabei hat er sich keineswegs als Gegner der Aidshilfen verstanden – noch so ein Missverständnis, das ihn viele Jahre immer wieder verfolgte. Tatsächlich hat er mit regionalen Aidsorganisationen seines Umkreises eng kooperiert.
„Ich bin HIV-Alltagsexperte“
„Ich bin HIV-Alltagsexperte“, gibt sich Uwe bescheiden und bestimmt zugleich. „Ich habe zum Beispiel nie einen Aidskongress besucht, nicht Gesundheitswissenschaften studiert und auch keine große Kampagne konzipiert.“ Wenn Menschen mit speziellen medizinischen oder auch juristischen Fragen an ihn herangetreten sind, konnte er immer auf die Unterstützung der Aidshilfen zurückgreifen. Hier in der Provinz aber konnte er allein schon durch seine Kommunikationsfreude und Offenheit etwas bewegen. Zum Beispiel die Jugendmannschaft VfL Schwerte dazu bringen, Trikots mit dem Logo „Herzenslust“, der NRW-Präventionskampagne für Schwule, zu tragen.
One-Man-Aids-Aktivisten-Show
Uwe entwickelte sich zu einer One-Man-Aids-Aktivisten-Show, die über zwei Jahrzehnte unaufhörlich durchs Ruhrgebiet raste, ohne müde zu werden. Dabei nutzte er stets die medial neuesten Plattformen für seine Arbeit.
In den 1990er Jahren vereinte er über 500 Interessierte in einer FAX-Liste, bei der HIV-Positive untereinander kommunizieren und Informationen austauschen konnten. Bald schon hatte Görke eine eigene Webseite, auf der er ab 2002 ein Onlinetagebuch über sein Leben mit „Tim“, wie er seinen Virus genannt hat, veröffentlichte – lange bevor das Wort „Blog“ überhaupt gedacht war. Und natürlich gibt’s Uwe Görke-Gott auch bei Twitter und Facebook. Fast 10.000 Leser erreichte er allein dort mit seinen Einträgen. Ob virtuell über Internet und soziale Medien oder durch ganz reale zwischenmenschliche Begegnungen – Uwe ist stolz auf das, was er mit seiner Basisarbeit erreicht hat.
Ihm selbst hat es vor allem in den ersten Jahren geholfen, die eigene Infektion, die Nebenwirkungen und Ängste ein wenig zu verdrängen. Zugleich bekam er durch seine Arbeit viel aufbauenden Zuspruch. „Allein nach meinem Auftritt in der Talkshow von Bettina Böttinger habe ich über 400 Briefe von Menschen bekommen, die ich überhaupt nicht kenne. Da habe ich gemerkt, es lohnt sic,h an die Öffentlichkeit zu gehen.“
Mit seinem Coming-out als HIV-Positiver war Uwe zugleich auch zu einer öffentlichen Person geworden, der die Welt an seinem Leben teilhaben ließ. Er hat ein Buch über seinen ganz persönlichen Umgang mit HIV veröffentlicht, gab unzählige Interviews und nahm vor zwei Jahren bei dem Internet-Live-TV-Spektaktel „TruemanTV“ teil.
„Ich habe immer mein Gesicht gezeigt”
„Ich habe immer mein Gesicht gezeigt. Alle wussten, wo ich wohne“. Das hat ihn angreifbar gemacht, und so mancher hat es auch genutzt. „Erst letzte Woche hatte ich wieder eine Hassmitteilung auf meinem Anrufbeantworter: ‚Die Gaskammern sind wieder aufgebaut, und ihr alten Schwulen seid die ersten, die wir dort hineinjagen werden‘“. Uwe erzählt davon weniger mit Empörung denn Enttäuschung in der Stimme. „Das tut schon weh, so ewas im Jahr 2013 noch zu hören zu bekommen.“ Aber Kleinkriegen lässt sich Uwe nicht. „Ich bin immer runtergedrückt worden: als Heimkind, als Schwuler, dann kam die Infektion dazu. Aber ich habe immer weitergekämpft.“
Der Drohanruf kam just in jener Woche, als auch ein Brief von Landrat Michael Makiolla mit einer überaus erfreulichen Nachricht in Uwes Briefkasten landete. Mit einer Zeremonie im Haus Opherdicke in Holzwickede wird heute Uwe Görke-Gott die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für sein „jahrelanges Engagement im sozialen Bereich“ verliehen. Ob er sich geschmeichelt fühlt? Natürlich, sagt Uwe. „Ich bin sehr stolz darauf, dass meine Arbeit gewürdigt wird, und zudem von solch hoher staatlicher Stelle.“ Dabei ist es nicht einmal die erste Ehrung für Uwe. Bereits 2004 verlieh ihm seine Heimatstadt Schwerte mit der Stadtmedaille ihre höchste Auszeichnung. Zwei Jahre später wurde ihm in Köln das „Come Together HERZ“ für seine ehrenamtliche Arbeit überreicht.
Abschied vom Aids-Aktivismus
Die jetzige Ehrung kommt zu einem Zeitpunkt, da sich Uwe offiziell aus dem Aids-Aktivismus zurückgezogen hat. „Ich musste in den letzten zwei Jahren lernen, dass es ein neues Aids gibt. Aids ist eine chronische Krankheit geworden. Viele positive Menschen können beim Sex bereits das Kondom weglassen. Für mich, der in den 1990er Jahren mit Aids großgeworden ist, der seinen Lebenspartner durch die Krankheit verloren hat, war das ein riesiges Problem“, gibt er offen zu. „Ich kann mir HIV immer noch nicht schönreden“. Auch für einen Privataktivsten und „Alt-HIVler“ wie ihn sei es einmal Zeit, abzutreten und das Feld neuen Menschen mit neuen Ideen zu überlassen.
Schwerte heizt den Bayern ein
So ganz aufs Altenteil hat sich Uwe aber keineswegs zurückgezogen. Momentan ist morgens immer wieder mal Schneeschippen angesagt. Seit einigen Jahren hat er in seiner Wohnanlage den Hauswartjob übernommen. Für Uwe ist die Arbeit ideal, kann er sich damit doch seine Erwerbslosenrente etwas aufbessern und sich die Arbeit frei einteilen – ein unbezahlbarer Vorteil, wenn mal wieder die Nebenwirkungen der Medikation besonders heftig sind.
Doch wer Uwe Görke-Gott kennt, weiß, dass diese Aufgabe seine unbändige Energie allein kaum bändigen kann. Er ist längst auf ganz anderem Feld aktivistisch zugange. Vor wenigen Monaten erst hat er den FC Bayern-München Fanclub Schwerte-Ruhr gegründet. Da wird nicht nur gemeinsam Fußball geguckt, sondern es ist für Uwe auch eine Gelegenheit, sich gegen Homophobie und Gewalt im Fußball zu engagieren.