Dokumentarfilme können ein ideales Medium sein, um über HIV aufzuklären. Das südafrikanische Projekt „STEPS for the Future“ produziert sie nicht nur, sondern bringt sie auch zu den Menschen – selbst in die abgelegenen Regionen Afrikas. Dazu reichen manchmal schon ein Fernseher und eine Autobatterie. Von Axel Schock
Mitte Februar in Berlin. Kurz bevor die offiziellen Bären an die Berlinale-Gewinner vergeben werden, feiert die internationale Filmgemeinde bei der Teddy Gala schon mal die besten queeren Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme des Festivals. Im 23. Jahr dieser weltweit einmaligen Veranstaltung ist ein neuer Preis hinzugekommen: der „Special Teddy Award für HIV Awareness“.
Mit ihm sollen Projekte ausgezeichnet werden, die sich mit filmischen Mitteln der Aufklärung über die Infektionskrankheit widmen. And the Winner was: STEPS for the Future.
Den meisten der rund 1300 Gäste der Teddy Gala dürfte STEPS bis zu diesem Abend kaum bekannt gewesen sein. Die erläuternde Laudatio und ein kurzer Videozusammenschnitt genügten, um auch den Letzten im Saal für die Arbeit des südafrikanischen Projektes zu begeistern.
STEPS steht für „Social Transformation and Empowerment Project for South Africa“, zu deutsch „Projekt für soziale Veränderung und Stärkung der Verantwortung in Südafrika“. Das Konzept ist so schlicht wie beeindruckend: Statt dozierenden Aufklärungsfilmen produziert STEPS Dokumentationen, in denen Menschen über die unterschiedlichsten Aspekte ihres Leben mit HIV berichten.
Lebensgeschichten, die Mut machen
Es sind Lebensgeschichten, die Mut machen, Chancen aufzeigen und zum Fragen und Handeln anregen. Denn gerade auf die Gespräche nach den Vorführungen kommt es den Begründern Elaine Maane und Don Edkins an. Deshalb bringt STEPS die Filme auch direkt zu den Menschen – etwa durch Vorführungen in Schulen oder mit einer mobilen Leinwand auf Dorfplätzen. Manchmal müssen ein Fernseher auf dem Kofferraum und eine Autobatterie genügen.
Wie das mit den Gesprächen so funktioniert, war tags zuvor für einen illustren Kreis zu erleben. Ein Bürokomplex am Potsdamer Platz in Blickweite zum Regierungsviertel. Elaine Maane ist erst vor wenigen Stunden in Berlin gelandet und hat sich noch nicht so recht auf die winterlichen Temperaturen einstellen können.
Der Termin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist für sie und ihren Mitstreiter Don Edkins nicht ganz unwichtig, sollen sie doch ihre Arbeit vor Vertretern jener deutschen Institutionen präsentieren, von denen sie sich weiterhin finanzielle Unterstützung erhoffen.
Mitfinanzierung durch deutsche Institutionen
Rund zwei Dutzend Mitarbeiter von Ministerien, der Weltfriedensorganisation und der GIZ sind gekommen, dazu auch Mitarbeiter der Berliner AIDS-Hilfe, die den mit 1000 Euro dotierten Special Teddy Award mit ausgelobt hat.
Gemeinsam schaut man den viertelstündigen Film über die HIV-negative Paulina und ihren HIV-positiven Partner Temus an. Sie bringt ein Kind aus einer früheren Beziehung in die Partnerschaft ein, er hätte gern auch ein eigenes Kind.
Sie muss mit dem Unverständnis ihrer Freunde und Verwandten umgehen, die nicht verstehen wollen, warum sie sich auf einen infizierten Mann einlässt. Er muss mit dem gesellschaftlichen Druck leben, womöglich keine eigenen Kinder zu zeugen – und das, wo ein namibischer Mann mindestens fünf davon um sich scharen sollte.
Auf den ersten Blick dürften die Probleme von Paulina und Temus kaum etwas mit jenen dieses ausgewählten, überwiegend weißen Mittelschichtspublikums am Potsdamer Platz zu tun haben. Und doch gelingt es Elaine, diese Gruppe zum Reden zu bringen, selbst über intimste Dinge: über die eigene Einstellung zum HIV-Test, über unerfüllten Kinderwunsch und das Scheitern serodiskordanter Partnerschaften.
Man kann sich sehr gut vorzustellen, was erst los ist, wenn junge afrikanische Frauen und Männer miteinander über den Film diskutieren – zumal wenn Paulina selbst die Diskussion im Anschluss an die Vorführung leitet.
Über 50 Filme wurden bereits produziert
„Es kann uns nichts Besseres passieren, als dass sich die Protagonisten, die uns an ihrem Leben teilhaben lassen, auch zu Moderatoren schulen lassen“, sagt Elaine Maane. „Unsere Filme sind nicht dazu gedacht, dass man sie sich anschaut und dann nach Hause geht. Die Zuschauer sollen Fragen stellen und miteinander diskutieren.“
Über 50 Filme wurden bislang produziert, vom Videoclip und Kurzporträt bis zum abendfüllenden Dokumentarfilm. Eines aber haben sie alle gemeinsam: Sie wurden von einheimischen Regisseuren gedreht, die nicht mit dem warnenden, oberlehrerhaften, fremden Blick des Europäers oder Amerikaners auf die Probleme der afrikanischen Länder schauen.
Die Idee dazu hatte Don Edkins bereits 2001. Alle Welt sprach von der großen Aids-Katastrophe in Afrika, doch der in Südafrika aufgewachsene Filmregisseur und -produzent wollte dem etwas entgegensetzen. Nicht noch mehr Bilder vom Tod, Elend und Sterben, auf die die Medien gierig waren, sondern solche vom Leben mit HIV.
Die Resonanz der von ihm produzierten Dokumentarfilme übertraf bei BBC und arte alle Erwartungen. „Mit der Zeit wurde mir aber klar, dass es noch viel dringlicher war, den Menschen in Afrika selbst Bilder und Geschichten zu geben, mit denen sie sich identifizieren können und die ihnen helfen, mit der Epidemie umzugehen.“
Temus und Paulina sind Protagonisten, wie sie in den Filmen von STEPS immer wieder zu finden sind: Selbstbewusst und stark trotzen sie Anfeindungen und Problemen, informieren und verbünden sich, um nach Lösungen zu suchen.
Inzwischen hat STEPS zu fast allen wichtigen Themen und Fragen rund um HIV einen Film im Repertoire: Zum Beispiel darüber, wie die HIV-Medikation funktioniert und wie man an sie herankommt. Aids-Waisen erzählen von ihrer Trauer und HIV-Positive über ihre Diskriminerungserfahrungen.
Gleich eine ganze Reihe von Porträts wurde speziell für Jugendliche gedreht. Sie behandeln die klassischen Fragen zu Sexualität, Liebe und Partnerschaft: Wann ist in einer Beziehung der Zeitpunkt gekommen, dass ich mich auf Sex einlassen kann? Wann nehme ich ein Kondom?
HIV ist nur ein Thema und Problem unter vielen
„HIV ist hier nur ein Thema und Problem unter vielen“, sagt Elaine Maane. Die Protagonistinnen in diesen Filmporträts sind zum Teil ohne Eltern aufgewachsenen, wurden von ihrem Vater missbraucht oder bereits als Teenagerinnen geschwängert und vom Kindsvater sitzengelassen. Es sind alles andere als besonders drastische Einzelfälle, weshalb sich viele Zuschauer darin wiederfinden und zum Nach- und Umdenken bewegt werden.
„Uns haben Dorfälteste ganz glücklich davon berichtet, dass nach unserem Film ein enormer Prozentsatz der minderjährigen Mütter im Dorf den Schulbesuch wieder aufgenommen hat“, berichtet Elaine Maane stolz. Sie hatten sich ermutigt gefühlt, ihre ursprünglichen Berufs- und Lebenspläne nicht einfach abzuschreiben, sondern weiterzuverfolgen.
Dass STEPS funktioniert, ist mittlerweile auch durch Studien wissenschaftlich belegt. Das Programm hat zu weniger Stigmatisierung, mehr Offenheit von HIV-Positiven gegenüber ihren Partnern und einer größeren Testbereitschaft geführt. „Vor allem aber konnten wir die Selbstakzeptanz der HIV-Positiven stärken“, betont Maane.
Umso bedauerlicher für das Team, dass seine Arbeit ohne finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, wie etwa durch die GIZ und die Weltfriedensinitiative, nicht möglich wäre. Die südafrikanischen Behörden unterstützen STEPS lediglich mit einem sehr bescheidenen Betrag.
Filme in 18 afrikanischen Sprachen
Derzeit nutzt STEPS die finanziellen Ressourcen vor allem dafür, den bereits bestehenden Pool an Filmen in 18 afrikanische Sprachen zu synchronisieren. Weil viele Zuschauer Analphabeten sind, reichen Untertitel allein nicht aus.
Mindestens genauso wichtig ist für Elaine Maane und Don Edkins der Ausbau von Vertriebswegen. Derzeit organisiert das Team Filmtourneen durch Südafrika und zehn weitere Länder der Region, von Botswana bis Zimbabwe.
Nicht weniger aufwendig ist die Ausbildung der Moderatoren, die nach den Vorführungen die Gespräche leiten. Ein Job, der nicht nur gute Kenntnisse rund um Gesundheit, HIV und Sexualität voraussetzt, sondern auch ein feines Gespür für die Befindlichkeiten in den jeweiligen Dörfern und Regionen.
Bei der Vorbereitung der Veranstaltungen ist STEPS auf Partnerorganisationen vor Ort angewiesen. „Wir respektieren religiöse und kulturelle Hintergründe und informieren uns vorher, welcher Film passen würde“, erzählt Elaine Maane. Entscheidend sei, die Sprache der Menschen zu sprechen. „In manchen Dörfern fühlten sich die Menschen möglicherweise brüskiert, wenn man Begriffe wie ‚Sex’ und ‚Penis’ benützt. Man muss dafür dann andere Formulierungen und Bilder finden.“
Mobiles Kino in abgelegenen Dörfern
Auch die Kleidung kann entscheidend sein. „In manchen Gegenden kann es angebracht sein, dass eine Frau nicht in Hosen, sondern in einem Kleid erscheint. Um all dies vorab in Erfahrung zu bringen, brauchen wir die Hilfe und Unterstützung der Ältesten in diesen Gegenden.“
Ganz gleich, ob STEPS mit seinem Programm als Gast bei örtlichen Initiativen und Veranstaltungsreihen oder mit dem mobilen Open-Air-Kino in einem abgelegenen Dorf eintrifft: „Die Menschen sind grundsätzlich sehr neugierig“, sagt Elaine Maane. „Viele haben zwar über die Krankheit schon etwas gehört, aber haben meist kaum genaue Kenntnisse. In den ländlicheren Gegenden kommen die Leute manchmal auch einfach nur, weil sonst nie etwas los ist. Aber wichtig ist, dass sie danach informierter und mit einer besseren Einstellung über HIV nach Hause gehen.“ Don Edkins denkt bereits einen Schritt weiter. Er will demnächst auch einige Filmen produzieren, die die Zuschauer ermutigen, sich selbst für soziale Gerechtigkeit und politische Selbstverantwortung stark zu machen.
Weiterführende Links:
Internetseite von „STEPS for the Future“. Dort können auch eine ganze Reihe der Filme online angeschaut werden.
Das Evangelisches Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit vertreibt eine deutsch untertitelte DVD mit einer Auswahl von STEPS-Kurzdokus, die sich insbesondere für Einsatz in der Oberstufe und der Sekundarstufe II eignen.