„Es gibt einen guten Weg für dich, und wir unterstützen dich dabei“

Annette Zandt ist in der AIDS-Hilfe Freiburg seit zehn Jahren für den Bereich Migration zuständig (Foto: AH Freiburg)

Annette Zandt ist seit zehn Jahren im Bereich Migration tätig (Foto: privat)

Der Arbeitskreis Frauen der Aidshilfen Baden-Württembergs startet  zum heutigen Internationalen Frauentag eine gemeinsame landesweite Aktion, die zum Gespräch über HIV anregen soll. Mit dabei: Annette Zandt von der AIDS-Hilfe Freiburg. Solidarität unter Frauen erlebt sie nicht nur am 8. März, sondern tagtäglich in ihrer Beratungsarbeit mit ihren afrikanischen Klientinnen. Von Axel Schock

In den Aidshilfen der Metropolen sind Frauen oft in der Minderheit. Wie sieht das in Freiburg aus?

Unter unseren Klienten ist der Frauenanteil mit rund 30 Prozent vergleichsweise sehr hoch. Im Migrationsbereich, zu dem binationale Paare, Arbeitsmigranten und Studenten ebenso gehören wie Flüchtlinge, stellen die Frauen sogar zwei Drittel. Dafür haben wir, anders als Ballungsräume wie Köln oder Berlin, einen weitaus geringeren Anteil schwuler Männer.

Was passiert, wenn in der Aidshilfe badische Hausfrauen mit Drogengebraucherinnen, Migrantinnen und Sexarbeiterinnen zusammenkommen? Brechen da Ressentiments durch?

Das habe ich eigentlich nie erlebt. Bei Veranstaltungen, die für alle Frauen gedacht sind, beobachte ich ganz im Gegenteil immer ein großes Interesse an den jeweils anderen Kulturen. Es freut mich immer zu sehen, dass es eine grundsätzliche Solidarität unter Frauen gibt.

Wo liegen denn die grundlegenden Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Beratungsarbeit?

In einem Wort: Kinder. Die meisten Klientinnen in unserem ländlichen Umfeld haben Nachwuchs. Diese Frauen sorgen sich aufgrund ihrer Erkrankung nicht nur sehr um ihre Kinder, sondern sie sind häufig auch die Versorgerin der Familie, auch wenn sie nicht alleinerziehend sind. Sie stehen dadurch unter einem besonders hohem Erfolgsdruck. Hinzu kommen spezifische Probleme, zum Beispiel mit dem Jugendamt. Es gibt auch heute immer noch haarsträubende Geschichten.

Zum Beispiel?

Manchmal meinen Jugendämter, sich ganz dringend darum kümmern zu müssen, wem das Sorgerecht für die Kinder einer HIV-positiven Frau übertragen werden könnte, da ihrer Ansicht nach die Mutter ja eh bald sterben wird. Ein weiteres großes Problem ist die Angst der Frauen um den Verlust ihrer Anonymität, die vor allem ihre Kinder vor Stigmatisierung und Ausgrenzung schützen soll. Bisweilen weiß bis auf den Partner niemand sonst in der Familie etwas von der HIV-Infektion. Das führt natürlich auch zu einer großen Isolation. Umso wichtiger sind sichere Orte, zu denen Frauen mit ihren Problemen und Sorgen kommen können. Bei ihren behandelnden Ärzten oder den Sachbearbeitern in den Ämtern können sie nämlich viele Themen nicht ansprechen.

Durch welche spezifischen Probleme sind Migrantinnen zusätzlich belastet?

Das  bundesweite Netzwerk  "Afro-Leben+" trägt zum Selbstbewusstsein afrikanischer Frauen bei.

Das bundesweite Netzwerk Afro-Leben+ trägt zum Selbstbewusstsein afrikanischer Frauen bei.

Es kommt immer wieder vor, dass sie noch Kinder in ihren Herkunftsländern haben. Manche konnten ihre Kinder auf ihrer Flucht nicht mitnehmen, andere haben deutsche Männer geheiratet und mussten halbwüchsige Kinder in der Familie zurücklassen. Diese Frauen haben in Deutschland nun die Chance, die lebensnotwendige Behandlung zu bekommen. In die alte Heimat zurückzukehren hieße für sie automatisch, auf die Behandlung zu verzichten. Was dieses Dilemma für die Einzelne psychisch bedeutet, können wir uns nur bedingt vorstellen. Oft hängt zudem die komplette Herkunftsfamilie von den finanziellen Zuwendungen dieser Frauen ab. Sie arbeiten hier, um das Überleben oder die Schulbildung ihrer Kinder zu sichern. Der Druck, der auf diesen Frauen lastet, ist dementsprechend enorm und in jedem Falle viel größer, als ihn in der Regel Männer erleben.

Wie kommen die Frauen aus den vielen unterschiedlichen afrikanischen Ländern und Ethnien miteinander aus?

Deutsche Drogenkonsumentinnen, Hausfrauen und Prostituierte sind weitaus schwerer unter einen Hut zu bekommen, weil hier die Interessen breiter gestreut sind. Afrikanerinnen, die nach Deutschland kommen, haben weitgehend ähnliche Probleme: Es geht um die fremde Sprache, um Beruf und Integration, um die Familie und das Verhältnis zum Partner. Diese Kernprobleme betreffen alle – egal, ob sie nun Englisch, Französisch oder eine andere Sprache sprechen, ob sie aus Kenia oder Uganda kommen. Meine Erfahrung aus nunmehr über zehn Jahren ist: Afrikanische Frauen gehen viel lockerer an die Sache heran, und man kommt auch leichter mit ihnen in Kontakt. Sie vernetzen sich sehr schnell und helfen sich gegenseitig. Dazu haben auch die Seminare des HIV-Netzwerkes „Afro-Leben+“ sehr viel beigetragen.

Was sind die besonderen Herausforderungen in der Arbeit mit Frauen aus den Ländern der Subsahara ?

Man muss sehr offen auf die Menschen zugehen und ist gezwungen, sich auch selbst immer wieder zu reflektieren: Wie gehe ich mit meinen eigenen Vorurteilen um? Wie mit anderen Kulturen? Wie verhalte ich mich gegenüber dem Umstand, dass Frauen aus afrikanischen Kulturen unter dem Geschlechterungleichgewicht leiden?

Wie zeigt sich das im alltäglichen Leben?

Schwangerschaft ist für HIV-positive Frauen ein besonders belastendes Thema (Foto: DAH)

Schwangerschaft ist für HIV-positive Frauen ein besonders belastendes Thema (Foto: DAH)

Diese Frauen haben innerhalb der Familien eher eine schwache Position. Faktisch entscheidet die Familie des Mannes. Daher hängt viel von den Lebensumständen davon ab, wie gut sich eine Ehefrau mit ihren Schwiegereltern gestellt hat. Die Strukturen in afrikanischen Ländern sind darüber hinaus häufig sehr frauenfeindlich, das geht bis hin zur Zwangsbeschneidung. Ich hatte auch schon einige Klientinnen, die deshalb geflüchtet sind. Auch damit muss man sich als Beraterin auseinandersetzen und eine eigene Haltung entwickeln. Man muss sich zudem auch bewusst machen, dass HIV-positive Schwangere in diesen Ländern keine Möglichkeit haben, die Übertragung des Virus auf das Kind zu verhindern, weder bei der Geburt noch wenn es ums Stillen geht. Meistens können sie nicht einmal Schwangerschaften verhüten.

Wie schlägt sich das in der Beratungsarbeit nieder?

In meiner Erfahrung sind die Frauen gewohnt, Dinge zu akzeptieren, die nicht zu ändern sind. Daher ist es manchmal ein sehr langer Prozess, ihnen klar zu machen: Du bist nun in Deutschland, die Situation hier ist eine andere. Es gibt einen guten Weg für dich, und wir unterstützen dich dabei.

Wie gelingt es, das Vertrauen dieser Frauen zu erlangen?

Zum einen durch ausgebildete Mediatorinnen aus diesen Kulturkreisen. Freiburg hat sich an einem Modellprojekt der DAH beteiligt, das Migrantinnen und Migranten für die HIV-Prävention in ihren Communities ausbildet.  Zum anderen durch eine genaue Kenntnis davon, wie ich bestimmte Dinge thematisieren und klären kann, die für diese Frauen unter Umständen von großer Scham und Schuldgefühlen belastet sind. Man darf nicht vergessen, dass ihnen von ihrer Gesellschaft und ihren Männern eingeredet wird, schuld an der Krankheit zu sein.

Ich habe große Empathie und Neugierde für diese Frauen – und großen Respekt. Ich möchte die Erfahrungen, die ich in dieser Arbeit gemacht habe, nicht missen. Man muss sich allerdings auch im Klaren darüber sein, dass sich während der Beratung und Betreuung  meist sehr enge Beziehungen entwickeln.

Inwieweit scheuen sich die Frauen, Angebote der Aidshilfe zu besuchen – aus Angst, jemand könnte sie dort kennen und dann innerhalb der eigenen Community als HIV-positiv outen?

Geredet wird immer, und jede Frau hat Angst davor. Diese schwindet aber, wenn sie merken, welch breite Unterstützung sie bei uns erhalten, etwa bei der Sicherung ihres Aufenthaltstatus, der Vermittlung einer kompetenten Arztpraxis oder der Sicherstellung ihrer medizinischen Versorgung. Je mehr sie spüren, dass dieses Netzwerk eine tragende Basis darstellt, desto mehr sinkt die Scheu und die permanente Angst. Ihnen wird bewusst, dass der Nutzen, den sie aus diesem Netzwerk ziehen können, größer ist als die Folgen, die möglicherweise der Tratsch haben könnte.

Es gibt natürlich auch Fälle, in denen eine Frau relativ früh in die Situation kommt, dass jemand von ihrer Infektion erfahren hat und sie nun darum kämpft, ihren guten Ruf innerhalb der Community nicht zu verlieren. Aber auch dann kann man helfen und sie  innerhalb des Netzwerks einbinden.

Mit welchen Hauptproblemen haben Sie in diesem Arbeitsbereich vor allem zu kämpfen?

Die Probleme, die in der Beratung auftauchen, kann ich in der Regel aufgrund der langjährigen Erfahrung sehr schell in den Griff bekommen. Tatsächlich zu schaffen macht allerdings, dass dieser Arbeitsbereich im Grunde seit Anbeginn finanziell auf wackligen Beinen steht. In den vergangenen zehn Jahren haben wir uns ausschließlich über Modellprojekte finanziert, etwa über den europäischen Flüchtlingsfonds. Im Klartext heißt das: Alle drei Jahre – sobald eine Projektfinanzierung ausgelaufen ist – stehen wir von Neuem vor dem Aus. Die aufgebauten Netzwerke drohen wieder zu zerfallen, und faktisch können wir die Klienten so lange nicht mehr angemessen betreuen, bis die Finanzierung durch ein neues Projekt gewährleistet ist. Inzwischen aber sind wir an einem Punkt angelangt, an dem der Migrationsbereich in den Aidshilfen einen immer größeren Teil der Arbeit ausmacht. Es wäre also längst an der Zeit, diese Arbeit auf eine sichere finanzielle und nachhaltige Basis zu stellen.

 

Weiterführende Links

Internetportal „Frauen und HIV“

Internetauftritt der AIDS-Hilfe Freiburg

Internetauftritt des bundesweiten Selbsthilfe-Netzwerkes „Afro-Leben plus“


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