Warum es keine gute Idee ist, mit meinem Patienten seinen Psychotherapieantrag zu besprechen…

Psychotherapieanträge sind defizitorientiert

Damit die Krankenkasse eine Psychotherapie genehmigt, muss eine Krankheit vorliegen. Im Falle der Psychotherapie muss ein mehrseitiger Antrag geschrieben werden, der ausführlich beschreibt, wie ausgeprägt die Störung ist, wie sie sich seit der Kindheit entwickelt hat und in welchen allgegenwärtigen Situationen sich diese Störung nun durchsetzt und das normale Leben schwer beeinträchtigt. Oft werden hier auch Hypothesen herangezogen und generalisiert, die das Tiefgreifende der Störung illustrieren sollen, wie:

Aufgrund des invalidierenden Verhaltens der Mutter lernte der Proband nicht, seinen eigenen Gefühlen zu vertrauen. Der abwesende Vater stand als korrigierendes Element nicht zur Verfügung. In der Fortsetzung dieser Wahrnehmungen fühlt sich der Proband auch heute noch oft verlassen, nicht ernst genommen und hilflos.

Die Wahrheit setzt sich aus Stärken und Defiziten zusammen

Natürlich gibt es in der Vergangenheit und in der Gegenwart für jeden Menschen Belastungen und dysfunktionale Verhaltensweisen Anderer. Aber nur bei den wenigsten dominiert das völlig das Erleben. Bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Patienten war die Mutter nicht immer invalidierend, der Vater nicht immer abwesend. Die Mehrzahl der Psychotherapiepatienten hat zum Glück auch viele und prägende positive Erfahrungen mit den Menschen im direkten Umfeld gemacht.

Psychotherapie ist ressourcenorientiert

In der Psychotherapie geht es ja nicht darum, die Schuld für dsyfunktionales Verhalten bei irgend einer anderen Person in möglichst ferner Vergangenheit zu suchen, sich ins Bett zu legen und zu sagen: "So. Mutter ist schuld. Das hat sie jetzt davon. Ich bleib hier im Bett liegen. Ich weiß ja nun, woher das alles kommt." Sondern es geht darum, gesundes, funktionales Verhalten, gesunde Gefühle und allgemein das gesunde und normale Leben wieder zu stärken. Dafür ist es zu einem bestimmten Zeitpunkt häufig sinnvoll, die Entstehung des dysfunktionalen Empfindens und Verhaltens zu verstehen. Aber es ist mindestens genauso wichtig, eher wichtiger, zu verstehen, was einen trotz allem Widrigen recht gesund gehalten hat und auf welche Stärken man aufbauen kann. Und hier ist es ebenso erlaubt und sinnvoll, sich zu gewärtigen, welche Kindheitserfahrungen, welche gegenwärtigen Erfahrungen Stärke, funktionale Interaktionen und die Grundlage für ein gesundes Leben vermittelt haben. Eine Aufgabe der Psychotherapie ist es, genau diese Ressourcen zu stärken.

Und deswegen sind die meisten Psychotherapieanträge nur für die Kassen sinnvoll

Man darf und soll in einem Psychotherapieantrag etwas über die Ressourcen schreiben, die ein Patient mitbringt und über die Pläne, wie diese gestärkt werden können. Aber in der Realität dominiert doch oft die störungs- und defizitorientierte Beschreibung. Für den Genehmigungsprozess der Psychotherapie ist das auch funktional, weil es helfen kann, behandlungsbedürftige Krankheiten zu beschreiben, und nur für deren Therapie ist die Krankenkasse zuständig.

Für die Patienten ist der Antrag aber oft wenig hilfreich, gerade weil er oft auf Defizite fokussiert und unversöhnlich anmutende Beziehungen zu wichtigen Personen in der Vergangenheit in den Raum stellt. Diese Aspekte haben ihre Berechtigung, aber es hilft meist nicht, zu sehr an ihnen festzukleben.

Aus meiner Sicht sind die gegenwärtig verwendeten Psychotherapieanträge wenig hilfreich. Bei anderen kostenintensiven Behandlungen reicht ja auch die Stellung einer Diagnose ohne mehrseitigen Therapieantrag. Psychologen und Ärzte, die schon länger Psychotherapie machen, müssen ohnehin keine Anträge mehr schreiben. Es täte der Behandlung gut, diese Pflicht für alle Therapeuten aufzuheben. Das erleichterte den Blick auf die Ressourcen.

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