Vor seiner Geschlechtsangleichung hat Kay Garnellen lesbisch gelebt. Heute steht der Trans*mann auch auf Männer. Nicht alle in der Schwulenszene kommen damit klar. Ein Porträt von Jayrôme C. Robinet
Schubladendenken erleichtert den Menschen, andere ein- oder auch wegzusortieren. Wer nicht problemlos ins vorgegebene Schema passt, sorgt für Irritation und Verunsicherung. Im schlimmeren Falle aber muss er mit Ausgrenzung und Diskriminierung rechnen.
Transgender-Menschen beispielsweise stellen auf vielfältige Weise festgezurrte Vorstellungen von Geschlecht und Identität in Frage. Wie hilflos, abweisend, aber auch neugierig die schwule Szene auf einen queeren Trans*mann reagiert, weiß Kay Garnellen aus eigener Erfahrung.
Pan-, bi- oder transsexuell?
Der 34-jährige Performance-Künstler und queere Aktivist bezeichnet sich selbst als ‚trans*‘ und ‚pansexuell‘. Er begehrt einfach Menschen, egal welches Geschlecht sie haben. „Bisexuell passt für mich nicht“, erklärt er. „Bi impliziert eine Zweigeschlechterordnung, und ich glaube nicht, dass es nur Männer und Frauen gibt. Also habe ich mir das Wort ‚pansexuell‘ angeeignet.“
Oft wird die sexuelle Orientierung (hetero, schwul, bi …) mit der Genderidentität verwechselt (Mann, Frau, Trans*, Inter* usw.). „Sogar auf GayRomeo, dem größten deutschsprachigen Kontaktportal für Schwule, muss man sich eindeutig entscheiden, ob man nun schwul, bi oder trans ist“, bedauert Kay.
Bei unserem Treffen hat Kay Garnellen einen schicken Anzug an. Das verwundert nicht, wenn man weiß, dass der gebürtige Franzose, der seit drei Jahren in Berlin lebt, zuvor als Finanzanalyst beim AXA-Konzern in Köln gearbeitet hat. Seit seiner Transition von Frau zu Mann hat der studierte Betriebswirtschaftler eine lange Strecke zurückgelegt.
Heute trägt er nur noch Anzüge, weil er das sexy findet. Mal gibt’s dazu einen Irokesenschnitt oder blau lackierte Fingernägel, mal färbt er sich die Haare pink oder er ist geschminkt. Und manchmal entscheidet er sich eben fürs Businessman-Outfit. Kay spielt nicht nur gern mit den Geschlechtern, sondern auch mit den männlichen Normen.
Mein Begehren für Männer habe ich nicht zugelassen
Sein Vollbart erinnert mich an Kapitän Haddock von „Tim und Struppi“. Um das Bild abzurunden: Während wir reden, raucht er eine Pfeife. Nun ja, kein klassisches, sondern ein elektronisches Modell. Geschenkt. Unter dem Hemd verzieren Muskeln und Tattoos seinen Körper. Ob er sich nun als Bär definiert? Nein, sagt Kay mit einem Grinsen, er wolle nur sehen, wie behaart er sein könne.
Vor seiner Geschlechtsangleichung hat Kay Garnellen lesbisch gelebt. „In der Pubertät wusste ich, dass ich anders war als die anderen Mädchen. Und ich wollte kein Mädchen spielen.“ Mädchen sollen sich in Jungs verlieben? Gut, also würde Kay das anders machen. „Dann dachte ich: Okay, wenn ich Frauen begehre, bin ich wohl lesbisch. Mein Begehren für Männer habe ich nicht zugelassen.“
Damals war für ihn wichtig, bloß nicht als Hetera zu gelten. Heute ist Kays Sexualität so vielfältig geworden, wie er es sich nie hätte träumen lassen: Die Bandbreite reicht von expliziten Bühnenperformances über Sexarbeit bis zum Darsteller in queeren Pornos.
Ist der Sex zwischen Trans*männern schwuler Sex?
2011 spielte Kay Garnellen zusammen mit Finn Ballard eine heiße Sexszene in Bruce LaBruces Kurzfilm „Offing Jack“, der als Part der Kompilation „Fucking Different XXX – queer porn crossover“ auch ins Kino kam. Das Konzept dieser Kurzfilmanthologie lautete: Lesben drehen Schwulenpornos und Schwule Lesbenpornos.
Heißt das nicht implizit, dass für Bruce LaBruce der Sex zwischen Trans*männern kein schwuler Sex ist? „Trans* haben das Konzept von ‚Fucking Different‘ ein bisschen ins Wanken gebracht“, gibt Kay zu. „ Aber es kann natürlich auch sein, dass da wieder eine Verwechslung zwischen sexueller Orientierung und Genderidentität stattfindet.“
Wie reagiert überhaupt die schwule Szene auf schwule Trans*männer? Zunächst müsse man zwischen der queeren Szene und der schwulen Mainstream-Szene unterscheiden, erklärt Kay. In der queeren Community sei es nicht schwierig, Cismänner zu finden, die mit Trans*männern etwas anfangen wollen und können. (Als Cismänner bzw. -frauen werden jene Menschen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität mit dem körperlichen Geschlecht übereinstimmt.)
„Ach, du bist ein Mädchen?!“
„Bei den Mainstreamschwulen ist es hingegen anders. Wenn ich am Anfang in Schwulenbars oder Darkrooms war, habe ich mich lieber nicht als trans* geoutet.“ Und wenn Kay einen Typen kennenlernte, hat er ihm nur einen geblasen. Der Partner bekam überhaupt nicht mit, dass Kay trans* ist – und das war Kay in solchen Momenten lieber.
„Ich wollte nicht anders sein und außerdem wusste ich nicht, ob ich mich in Darkrooms wirklich geschützt fühlen kann.“ Dass Kay keinen Schwanz hat, hat das ihm das Flirten zuerst schwer gemacht. „Sobald die Typen es mitkriegten, ging es los: ‚Ach, du bist ein Mädchen?!‘“
2009 deaktivierte ein GayRomeo-Administrator das Profil eines Trans*mannes mit der Begründung, er habe keinen Schwanz und sei deshalb als Mitglied des Portals nicht zugelassen. Auf den darauffolgenden Beschwerdebrief eines Users antworteten die Verantwortlichen, dass Transgender ein Profil führen dürfen‚ „doch sollen diese User die sexuelle Orientierung ‚Transgender‘ in ihrem Profil auswählen oder sie sollten in ihrem Profiltext klarstellen, dass sie Transgender sind‘“. In anderen Worten: GayRomeo zwingt Transgender zum öffentlichen Coming-out.
Viele wundern sich vor allem über meine Behaarung
Was den Umgang mit Trans*männern angeht, scheint zumindest die Berliner Schwulenszene in letzter Zeit relativ offen geworden zu sein. Mittlerweile traut sich Kay durchaus, sich zu outen. „Wenn du einen guten Passing hast, also als Mann durchgehst, ist das für die meisten ok. Wir sind sowieso alle anders. Kein Schwanz gleicht dem anderen. Viele wundern sich vor allem über meine Behaarung. Ich habe mehr Körperhaare als viele von ihnen!“
Doch Kay weiß, dass seine positiven Erfahrungen nicht von allen schwulen Trans*männern geteilt werden. „Viele trauen sich nicht, einen Typen anzusprechen, mit ihm zu flirten oder in Darkrooms zu gehen – aus Angst vor Ausgrenzung. Ich glaube, ich hab da etwas Glück. Das mag auch an meiner Art liegen: Ich bin ziemlich direkt. Doch ich gehe zum Beispiel nie in die Sauna. Ich will nicht komisch angeglotzt werden. Schwule können schon sehr schwanzfixiert sein.“
Schwule können schon sehr schwanzfixiert sein
Als Kay auf GayRomeo sein Escortprofil eingerichtet hatte, lief das Geschäft erst einmal schlecht. Sobald die Freier erfuhren, dass er trans* ist, sagten sie ab. Eines Tages beschloss er, dieses Detail nicht mehr vorab preiszugeben. Er schnallte seinen Harness um, steckte seinen Lieblingsdildo ein und ging einfach zur Verabredung.
„Ich habe dem Kunden gesagt: Ich habe ’nen Dildo, weil ich dich mit meinem Schwanz nicht durchficken kann. Der Typ fragte: Bist du so geboren? Er registrierte mich nicht als trans*, sondern dachte, ich hätte einen Mikropenis. Ich habe seine Frage bejaht. Seitdem teile ich das auch so mit: Ich hab einen kleinen Schwanz, also mach ich’s dir lieber mit Dildo.“
Einige lassen sich darauf ein, andere wollen lieber einen echten Schwanz. Oder sie fragen, ob ich intergeschlechtlich bin. Manchmal sage ich ja. Aus Erfahrung weiß ich, dass es vorbei ist, sobald ich sage, dass ich als Mädchen zur Welt gekommen bin.“ Heute steht auf Kays Escortprofil nur noch: „Meine Schwanzgröße kannst du auswählen, und ich habe einen Dauerständer.“
Safer Sex für Trans*männer
Safer Sex is für Kay eine Grundbedingung. Vögeln gibt’s nur mit Gummi. Beim Blasen seien Kondome allerdings schwerer durchzusetzen. „Meistens mache ich das ohne, denn ich möchte nicht zurückgewiesen werden. Ich muss schon mit meinem Trans*sein genug Aufklärung machen, und im Darkroom will ich nicht stundenlang labern, sondern einfach nur Sex. Außerdem bereitet mir Blasen ohne Kondom tatsächlich mehr Lust.“
Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Transgender eine besonders hohe HIV-Infektionsrate aufzuweisen haben. Ursache sei unter anderem die falsche Annahme, dass FtM (Frau-zu-Mann-Trans*menschen) ein geringeres HIV-Risiko hätten, was zu ungeschütztem Vaginal- oder Analverkehr führe. Außerdem ließen sich manche aus Angst vor Zurückweisung durch ihre Sexpartner zu unsicheren Sexpraktiken überreden. Zudem scheuten sie aufgrund negativer Erfahrungen mit Ärzten wichtige Untersuchungen und Behandlungen.
Spezielle HIV-Präventionsangebote für Trans*menschen fehlen derzeit in Deutschland. Wie beim Sex beispielsweise der Dicklit – so der aus Dick (Schwanz) und Klit (Klitoris) gebildete Szenebegriff für die Genitalien von Trans*-Männern – geschützt werden kann, fehlt beispielsweise in den Aufklärungsbroschüren für schwule Männer.
Herkömmliche Kondome sind nämlich ungeeignet und Lecktücher rutschen. Auch sind keine Informationen darüber verfügbar, ob Trans*männer generell einem höheren Risiko für Geschlechtskrankheiten ausgesetzt sind, weil durch die Hormonbehandlung der natürliche Schutz der Vaginalflora reduziert ist.
Positive Beispiele aus San Francisco und Frankreich
Wie Aufklärungsarbeit innerhalb der schwulen Szene aussehen kann, lässt sich beispielsweise in San Francisco lernen. Dort setzt sich die Schwulensauna „Eros“ mit Flyern und Broschüren über Sexpraktiken, aber auch mit Kennenlern-Abenden und Filmveranstaltungen seit vielen Jahren für mehr Sichtbarkeit von schwulen Trans*männern ein.
Bereits 2010 hat der französische Verein „OUTrans“ die Safer-Sex-Broschüre „Dicklit et T Claques“ herausgegeben – speziell für Trans*männer, die mit Männern Sex haben. Und was in den USA und in Frankreich möglich ist, sollte doch auch in Deutschland zu realisieren sein!
Weiterführende Links:
Studie über HIV in der Trangender-Community