von Carolin Koch
Es ist die letzte Woche vor den Semesterferien. Ich stehe mit ein paar Kommilitonen vor dem Hörsaal und wir bereden, was jeder so die nächsten Wochen vor hat. Die meisten wollen erst einmal ihre freie Zeit genießen, verständlich, schließlich sind es die ersten Ferien seit dem Physikum im letzten Jahr.
“Ich mach’ Famulatur in der Chirurgie”, sagt einer.
“Cool”, sage ich, “wo denn?”
“In der Uniklinik München”.
Oh, Gott, denke ich, dass wäre ja was für mich. In einer riesigen Klinik, inmitten einer Schafherde von anderen Famulanten, PJ-lern, überarbeiteten Ärzten und Pflegepersonal.
“Und du? Machst du auch Famulatur?”
“Ja“, sage ich, „in Bad Bevensen, in der Allgemeinmedizin.”
“Bad Bärensen, wo liegt das denn?”
“Bad Bevensen”, sage ich vorsichtig korrigierend, “das liegt in der Nähe von Uelzen.”
Uelzen kennt auch niemand. Als ich erzähle, dass man bis Hamburg noch ungefähr eine Stunde mit dem Zug Richtung Norden fährt, haben die meisten wenigstens eine ungefähre Vorstellung.
“Ach her je, das ist ja dann das übelste Kaff, wa? Und warum Allgemeinmedizin? Haste noch nicht gelesen, wir müssen diese Pflichtfamulatur beim Hausarzt noch gar nicht machen. Das betrifft erst den nächsten Jahrgang. Da kannste dir doch was Spannenderes raussuchen.”
Oha, was Spannenderes, denke ich. Da ist es wieder, das große Vorurteil Allgemeinmedizin ist todlangweilig, deshalb will ja auch kein Mensch mehr Hausarzt werden. Dazu in der Praxis ein Haufen alter Leute, die nur meckern, die Ärzte schreiben eh nur Überweisungen und tragen braune, abgewetzte Ledertaschen, wenn sie zu Hausbesuchen fahren. Wenn es ganz schlimm kommt, sogar Cordhosen.
Mir fällt der Abend vor ein paar Wochen wieder ein, als ich auf Bad Bevensen gestoßen bin: Ich sitze abends am Schreibtisch, bin müde, unmotiviert und meine Augen brennen. Kein Wunder, schließlich muss ich noch für eine Klausur lernen, die ist in zwei Tagen und ich habe schon den ganzen Tag über dem Buch verbracht. Abgelenkt klicke ich mich durch ein paar Internetseiten. Ich google irgendwas zum Thema “medizinische Doktorarbeit”, das wollte ich schon immer mal machen. Die meisten Artikel überzeugen mich nicht besonders. Allerdings gibt es unten auf der Seite einen Link zu der Internetseite “Der andere Hausarzt”. Ich klicke drauf, lese ein bisschen, lese weiter. Wow, das ist ja mal klasse, denke ich: Ein Arzt, der einen Blog schreibt. Mein Interesse ist geweckt. Die nächste halbe Stunde lese ich mich durch Berichte und Erfahrungen aus dem Hausarztleben.
Mir gefällt die Art der Artikel. Klingt so, als würde sich dort jemand noch wirklich Zeit für Patienten nehmen und versuchen mit einer guten, wachen Basisdiagnostik und offenen Ohren zu helfen, wo er kann. Dabei fällt mir ein, dass ich mich langsam mal auf die Suche nach einer Famulatur machen muss. Ein paar Minuten später ist die Mail an den Arzt versendet, der hinter www.der-andere-hausarzt.de steht. Einen Tag später liegt eine Rückantwort in meinem E-Mail-Postfach: Es sei kein Problem, ich könne gern zur Famulatur kommen. Ich mache einen richtigen Luftsprung. Das ging ja wirklich schnell. Puh, in vier Wochen geht’s schon los. Ich bin sicher, dass es eine gute Entscheidung ist, bin irgendwie erleichtert und genieße bereits jetzt meine Vorfreude.
In den folgenden vier Wochen muss ich noch viel für meine Klausuren lernen. Jedes Mal wenn ich am liebsten den Kopf in den Sand stecken möchte, kommt im Hinterkopf der Gedanke, dass bald eine kleine Reise losgeht. Das gibt mir Kraft und muntert mich auf. Eine Reise ins Ungewisse, die zeigen wird, ob mein teilweise recht zerrüttetes Berufsbild nochmal gerade gerückt werden kann. Manchmal frage ich mich nämlich, ob Medizin heutzutage noch das leisten kann, woran ich immer geglaubt habe und noch glaube.
Zwischenzeitlich habe ich E-Mail-Kontakt mit einem der anderen Ärzte aus der Praxis des „anderen Hausarztes“. Er ist für das Personal zuständig und organisiert fleißig für mich den Aufenthalt. Mit seinem Humor bringt er mich bei jeder Mail zum Lachen. Dann ist alles soweit klar. Ich werde zwei Wochen famulieren, in der Zeit bei Familie Weinert (Wolf-Peter Weinert ist Der andere Hausarzt) wohnen und abwechselnd in Bad Bevensen und der Zweigpraxis in Himbergen den Ärzten über die Schulter schauen dürfen. Außerdem werden für mich Termine eingerichtet, bei denen ich Zeit habe Patienten selbstständig aufzunehmen. Ein Plan wo und wann ich zu Mittag esse gibt es auch für mich. Ich muss ein bisschen schmunzeln. Was wohl meine Kommilitonen dazu sagen würden. Wow, denke ich, ich glaube, das wird eine sehr außergewöhnliche Famulatur, so eine persönliche Erfahrung macht bestimmt sonst keiner.
Nächste Woche im zweiten Teil erfährt Carolin Koch wie es zugeht in einer großen Hausarztpraxis.