Ein Bericht von Ute Arend über ihren Einsatz auf Cebu, Philippinen
Cebu-City, die ca. eineinhalb Millionen Einwohner zählende Metropole auf der gleichnamigen Insel präsentiert sich im Internet als moderne aufstrebende Metropole mit großen Hotels, Hochhäusern, modernen Einkaufstempeln, dem größten Hafen der Philippinen und einem enormen Wirtschaftswachstum, besonders im IT- Bereich. Seit nunmehr fünf Wochen arbeite ich hier für die German Doctors und erlebe ein völlig anderes Cebu mit unzähligen Slums, Straßenkindern, ganzen Familien, die auf der Straße, Friedhöfen oder Müllhalden leben.
Wenn ich früher in Afrika an den Slums vorbeigefahren bin, habe ich immer nur die anonymen Wellblechdächer der Hütten gesehen, doch jetzt bin ich mitten drin. Mit einer „Rolling Clinic“ fahren wir täglich zu zwei unserer unterschiedlichen Standorte. In den Slums sind meist kleine offene Kapellen unsere Sprechzimmer, aber wir arbeiten auch unter Zeltdächern und sogar in einem richtigen Mausoleum auf einem Friedhof.
Zuerst sind immer die Mütter mit ihren kleinen Kindern dran, manchmal bringen sie gleich drei davon mit Husten, Durchfall oder Hautkrankheiten mit. Erwachsene kommen ebenfalls mit Husten oder Hauterkrankungen, aber auch mit Diabetes und Hypertonie. Erstaunlicherweise gibt es hier kaum Herzinfarkte, dafür aber umso mehr Schlaganfälle bei bereits jungen Patienten. Bei zwei Patienten behandle ich einen diabetischen Fuß. Hoffnung auf Heilung hatte ich am Anfang kaum. Beide waren zuvor im Krankenhaus und ihnen sollte der Fuß amputiert werden. Sie haben daraufhin das Krankenhaus verlassen und sind zu uns gekommen. So wie es jetzt ausschaut, sind beide Füße gerettet und dass nur mit ganz einfachen Mitteln und unter unmöglichen hygienischen Verhältnissen. Beide strahlen mich jedes Mal an, wenn sie kommen und sind super glücklich.
Zu unseren Einsatzorten gehören neben fünf Slumgebieten vier Müllhalden, ein chinesischer Friedhof, ein Drop-in-Center, wo wir Obdachlose und Straßenkinder betreuen und ein Bergdorf etwas außerhalb von Cebu.
Außerdem sind wir alle zwei Wochen bei den Badjaos. Das sind besonders arme Fischer einer ethnischen Minderheit, die ihre Hütten direkt ins Meer bauen und auch eine andere Sprache sprechen. Da brauchen wir gleich zwei Dolmetscher und es ist ein hin und her bis eine Diagnose steht.
Überall erlebe ich sehr viele unterernährte Kinder. Sie wiegen teilweise kaum fünf Kilogrammund sind schon über ein Jahr alt. Nur die kleinen, teilweise faltigen Gesichter lassen erkennen, dass es keine Säuglinge mehr sind. Mühevoll versuchen wir sie mit Nutipac, einer Mischung aus gemahlenem Reis und Mungobohnen aufzupäppeln. Doch immer wieder kommen sie mit Durchfall und Atemwegerkrankungen und jeder Erfolg ist zunichte gemacht.
Ich betreue u. a. ein Zwillingspärchen von 17 Monaten. Beide wiegen gerade einmal 6,5 Kilogramm und sind 66 bzw. 68 Zentimeter groß. In all den Wochen ist es mir nicht gelungen, trotz fast durchgängiger Antibiotikagabe, eine schwere Lungenentzündung beider Kinder zu heilen. Die Kinder husten ununterbrochen; es ist schwer mit anzusehen, wie sie leiden. Ich versuche immer wieder die Mutter zu überzeugen, dass sie mit den Kindern in eine Klinik muss, aber da sind noch acht weitere kleine Geschwister. Niemand ist da, der diese in der Zwischenzeit betreuen kann. Der Vater muss arbeiten, sonst hat die Familie nichts zu essen. Als sie eine Woche nicht kommen, mache ich mir Sorgen und wir machen einen Hausbesuch. Wir halten vor einer winzigen Bretterbude, die mich an den Hühnerstall meiner Kindheit erinnert. Die Bretter waren aber damals besser und dicht, dass hier ist nur notdürftig zusammen gezimmert. Ich schätze die Größe der Hütte auf 2,5 x 2,5 Meter. Wir können durch das Fenster direkt hineinsehen. Ein Bett, zwei Regale, ein winziger Tisch, eine Uhr und ein paar Bilder an der Wand und hängende Wäsche. Drei Kinder liegen auf dem Linoleum auf einer ganz dünnen einlagigen Bastmatte; ein kleines Kind liegt auf dem Bett und alle schlafen fest. Die Mutter und ihre älteste Tochter sind beim Wäschewaschen auf dem Hof und eines der Zwillinge steht in einem Wagen daneben. In dieser Hütte leben 12!!! Personen. Ich möchte ihre Privatsphäre nicht verletzen und mache kein Foto. Aber der Anblick prägt sich mir ein. Jedes Mal, wenn wir zu den auf den Müllhalden lebenden Filipinos fahren, habe ich einen dicken Kloß im Hals.
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