Ein Bericht von Cornel Wick über seinen Einsatz in Dhaka, Bangladesch
Die politische Situation in Bangladesch hat sich etwas beruhigt. Die Opposition ruft zwar immer wieder zu (sinnlosen) Streiks auf, so dass nicht nur die sonst schon schwache Wirtschaft im Lande komplett blockiert, sondern auch unsere Arbeit in den Slums außerhalb des Hauptsitzes in Manda unmöglich gemacht wird. Ausßerhalb des Landes nimmt man wohl „nur“ die Diskussionen um die Kleiderfabriken und die Arbeitsverhältnisse dort wahr. Die Näherinnen gehören zu unseren alltäglichen Patienten. Diese Frauen arbeiten täglich zwölf Stunden in unergonomischer Haltung für 1 Euro Lohn auf engstem Raum bei stickig-heisser Umgebungsluft – die Aussentemperaturen liegen tagsüber momentan bei 32-36°C; Air-Conditioner gibt es da selten, ein Ventilator muss genügen. Der Arbeitsdruck ist enorm. Kürzlich hatte uns eine Patientin erzählt, sie müsse unbedingt wieder arbeiten können, denn wenn sie mehr als drei Tage im Monat fehle, werde ihr der gesamte Monatslohn gestrichen. Auch wenn die 30 Euro pro Monat bei weitem nicht ausreichen, um eine gesamte Familie zu ernähren, sind sie gerade auf diese zusätzlichen 30 Euro sehr angewiesen. Jedes Familienmitglied steuert seinen Beitrag zum Familien-Einkommen bei.
Die Armut hinterlässt natürlich Spuren. Bei unserer täglichen Arbeit in den Slums ist vor allem ein Thema ganz gross: die Unterernährung, speziell jene der Kinder. 600 Taka (= 6 Euro) kostet ein Ersatzmilch-Produkt und hält für ein Kleinkind etwa eine Woche lang. Kein Wunder also, dass die Kinder teilweise bis zu zwei Jahre lang gestillt werden! Muttermilch ist viel billiger als Ergänzungsnahrungen… Wir haben die Möglichkeit, unterernährte Kinder auf unsere Feeding-Station aufzunehmen, wo die Kleinen aufgepäppelt werden und die Mütter Instruktionen und Erklärungen bezüglich Stillen und zusätzlicher Kindernahrung erhalten. In den letzten Wochen war unsere Station mit ein bis sechs Kindern im Alter von vier bis 20 Monaten eigentlich immer recht gut besetzt. Nicht selten ist das Unwissen der armen und ungebildeten Mütter mit Schuld an der Unterernährung ihrer Kinder. Manchmal führt auch der finanzielle Druck dazu, dass Mutter und Vater arbeiten müssen und das Kind daher nicht regelmässig und nur ungenügend Nahrung erhält. Auch scheinen viele Mütter stark unterdrückt und gestresst zu werden von ihren Männern. Geld ist wichtiger als ein gesundes und gut ernährtes Kind.
Täglich stehen wir vor dem Problem, dass die Mütter gerne in unsere Feeding-Station kommen würden, sie jedoch zuerst die Erlaubnis des Ehemannes einholen müssen. Kürzlich hatte uns auch eine Mutter mit ihrem noch immer deutlich unterernährten Kind nach einer Woche verlassen, weil ihr Mann sie nach Hause beordert hatte… der Stellenwert der Frau ist in diesem stark muslimischen Land sehr gering. Frauen haben hier wenig zu sagen. Auch sehen wir viele Frauen, die sich mit Schmerzen in der Sprechstunde vorstellen. Wenn nicht die unergonomische Haltung beim Nähen der Grund für die Schmerzen ist, ergibt sich auf Nachfragen oftmals, dass die Frauen zuhause von ihren Männern regelmässig geschlagen werden.
Das wohl eindrücklichste Erlebnis der letzten Tage war eine junge Frau im Khilgoan-Slum, welche von ihrem Ehemann mit Kerosin übergossen und anschliessend mit einem Streichholz angezündet wurde. Nach 17 Tagen im Krankenhaus kam die Patientin nun regelmässig in unsere Sprechstunde. Leider infizierte sich die Wunde in der aktuell brütenden Hitze trotz regelmässiger Wundreinigung und antibiotischer Therapie, so dass wir die Patientin wieder ins Krankenhaus schicken mussten.
Viele unserer Patienten sind wohl ihr Leben lang traumatisiert. Wir können ihnen aber wenigstens regelmässig eine kleine, kurze Aufmerksamkeit und etwas Schmerzlinderung schenken.
Bangladesch leidet also an mehr als „nur dem Kleiderfabriken-Problem“… unsere Arbeit hilft aber wenigstens einigen der ärmsten Leute hier, ihre vordergründigen Symptome etwas erträglicher zu machen. Als dankbarer „Lohn“ kriegen wir täglich unzählige Lächeln von Kindern und viele Patienten zeigen uns ihre unendliche Dankbarkeit auf nonverbale Art, was für vieles hier entschädigt.
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