“Erleben erste Generation an altgewordenen Menschen mit geistiger Behinderung”

© muro - Fotolia.com

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“Und vor allem Gesundheit“  – ein geflügeltes Wort bei Glückwünschen zum Geburtstag, das auf die hohe Bedeutung einer guten gesundheitlichen Versorgung verweist. Je älter das „Geburtstagskind“ wird, umso öfter hört es den Wunsch „Und Hauptsache, Gesundheit!“. Einfach weil mit steigendem Alter viele chronische und akute Krankheiten verbunden sein können, die das Leben beschwerlich machen können. Diese Häufung altersbedingter Krankheiten trifft nun auch Menschen mit geistiger Behinderung. Nach den grausamen Morden in der Nazizeit erleben wir heute – erfreulicherweise! – die erste Generation an altgewordenen Menschen mit geistiger Behinderung. Häufig hat auch eine bessere gesundheitliche Versorgung dazu beigetragen. Menschen, die jetzt im Alter wie andere Menschen auch an Krebs oder Herzerkrankungen leiden, die schlechter hören und sehen oder eine Demenz entwickeln. Dabei wird eine gute gesundheitliche Versorgung besonders wichtig ist: Eine Versorgung, die auf die Bedarfe von Menschen mit geistiger Behinderung eingestellt ist. Dabei geht es zum Einen um eine qualifizierte Behandlung in der allgemeinen Versorgung wie auch um eine spezialisierte Versorgung bei besonders komplexen oder spezialisierten Bedarfen. Eine geistige Behinderung selbst ist keine Krankheit, aber sie kann auf Schädigungen mit Krankheitswert zurückgehen. Deshalb kann und muss üblicherweise nicht die Behinderung behandelt werden, sondern Begleit- und Folgekrankheiten, die mit steigendem Alter häufiger und schwerwiegender werden. Oder auch Krankheiten wie sie bei allen Menschen im Alter vermehrt auftreten erfordern eine Behandlung.

Bei allen Ähnlichkeiten zeigen sich Besonderheiten wie andere Krankheitszeichen, andere Häufigkeiten bestimmter Krankheiten wie beispielsweise Bluthochdruck, der viel seltener, oder eine Schilddrüsenunterfunktion, die häufiger ist.

Das wissen viele Ärztinnen und Ärzte, viele der im Gesundheitswesen Tätigen nicht. Damit kommt es zu Fehleinschätzungen, zu verspäteter oder verpasster Diagnosestellung. Um dies zu verändern, sind die Einbeziehung der Besonderheiten von Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung in Aus-, Fort- und Weiterbildung dringlich. Dazu hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Ärzte für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung ein Curriculum entwickelt, das auf die fachlichen Besonderheiten vorbereitet.

Daneben ist oft die Kommunikation eine zusätzliche Herausforderung, die die Behandlung erschwert: Ärztinnen und Ärzte haben häufig wenig Erfahrung in der Kommunikation mit geistig behinderten Menschen und können die Befragung von Patienten bei ihnen nicht so nutzen wie das bei anderen Patienten selbstverständlich ist.

Und schließlich ist es wesentlich, dass Habilitation, Rehabilitation und Pflege in gleicher Weise für Menschen mit Behinderung nutzbar sind. Zum Beispiel sind bisher einige Leistungen der Pflegeversicherung für Menschen mit geistiger Behinderung nicht nutzbar, wenn sie in Einrichtungen der Behindertenhilfe wohnen. Dies führt jetzt, wo Menschen mit geistiger Behinderung ein höheres Lebensalter erreichen, zu erheblichen Problemen in den Wohngemeinschaften und Wohnstätten: Sie sind  zwar auf pädagogische Betreuung eingerichtet, ihnen fehlen aber oft die Mittel für eine angemessene  pflegerische Betreuung.

Die Behindertenrechtskonvention fordert eine gute Gesundheitsversorgung in gleicher Weise wie die allgemeinen Menschenrechte für alle Menschen. Die Behindertenrechtskonvention, in Deutschland seit 2009 geltendes Recht, umzusetzen, spiegelt die Achtung vor den universellen Menschenrechten wider!

Dabei sind aus meiner Sicht die Mittel für eine barrierefreie Gestaltung der Einrichtungen und Dienste im Gesundheitswesen, eine gute Investition in Zeiten einer alternden Gesellschaft. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir uns gemeinsam dieser Aufgabe zuwenden – gerade weil eine vollständige Umsetzung viele Jahre in Anspruch nehmen wird, ist es um so wichtiger, bald zu beginnen.

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