“Tür zu!”
Ganz verschüchtert zieht Kalle den Kopf ein und schließt dann vorsichtig die Arztzimmertür.
Ich schaue ihn an und bemühe mich um eine Art Lächeln.
“Sorry, war nicht böse gemeint!”
“Klang aber so.”
Ich lege das Diktiergerät aus der Hand, nippe an der Tasse kaltgewordener Krankenhauskaffeeplörre und starre aus dem Fenster.
“Du hast schlechte Laune!” stellt Kalle fest.
“Wundert Dich das?”
Draußen pladdert der Regen. Pladdert auf den Hof vor der Notaufnahme, wo sich tiefe Pfützen gebildet haben. Pladdert gegen die Fensterscheiben und pladdert seit über vierundzwanzig Stunden vor sich hin.
“…ich dachte nur….”
“Da gibt’s nichts zu denken!”
Vor mir auf dem Schreibtisch liegt ein Stapel Patientenakten, die muss ich alle heute noch fertig machen, also Arztbriefe diktieren, Diagnosen kodieren und den üblichen Scheiß. Alles heute noch. Kostet mich mindestens noch zwei Stunden.
“Ich dachte, Du hast doch demnächst Urlaub…”
“Na und?”
“Ja, das ist doch was…”
“Wie meinen?”
“Na, freust Du Dich nicht auf Deinen Urlaub?”
“Warum sollte ich?”
Ich starre wieder aus dem Fenster. Eigentlich ist Mairegen, Juniregen und Sommerregen doch etwas Romantisches… Gemütliches… Freundliches… aber das hier, das ist kein lauwarmer Frühlingsregen, das ist ein seit vierundzwanzig Stunden anhaltender Dauerwolkenbruch, verspäteter Nachwinter oder vorgezogener Frühherbst. Zwar sind wir bislang noch von größeren Flutkatastrophen verschont geblieben, doch ist auch unser Pieselbach längst über die Ufer getreten und die Feuerwehr musste schon ausrücken um den einen oder anderen Keller wieder leerzupumpen. Und mein Vermieter weigert sich standhaft, die Heizung wieder einzuschalten trotz gerade mal sieben Grad Außentemperatur.
“Na, weil Urlaub nunmal etwas ist, auf das man sich freuen soll!” sagt Kalle.
Es klopft an der Tür und einen Sekundenbruchteil später ist selbige auch schon aufgerissen und Frau Krachtowil steht im Zimmer.
“Schön, dass Sie noch da sind, Herr Doktor, ja, wissen Sie, meine Schwiegermutter hat ja schon seit gestern keinen Stuhlgang mehr und da wollte ich mal fragen….”
“Heute nicht mehr!” sagt Kalle und knallt die Türe zu.
Wider Willen muss ich jetzt doch lächeln.
“Nach Neunzehn Uhr gibt’s keine Angehörigengespräche mehr!” sagt Kalle.
Ich greife nach der nächsten Patientenakte, aber Kalle ist schneller und klappt sie zu.
“…und Du widmest Dich jetzt Deinen Urlaubsplänen!” sagt er mit bestimmendem Ton.