Ein Bericht von Luisa Stefanski über ihren Einsatz in Chittagong, Bangladesch
Das “Medical Center for the Poorest of the Poor” in Chittagong, Bangladesch ist mein Einsatzort für sechs Wochen mit den German Doctors. Die Ambulanz übernimmt seit über 13 Jahren die Hausarztfunktion für bedürftige Menschen aus den Slums der Umgebung. Mit wenigen diagnostischen Mitteln und Medikamenten, aber viel Verständnis für die Situation vor Ort, versucht man, für die Menschen da zu sein.
Betroffen nehme ich die „Banalität“ der Armut wahr – “banal” weil hungrig und unterernährt, weil kein Trinkwasser vor Ort aber Überschwemmungen in den Hütten, weil von den vielen Dämpfen und Stäuben chronische Lungenerkrankungen entstehen, weil die Nähfabrik schon wieder nicht gezahlt hat. Eine Problemlösung auf politischer Ebene scheint weit entfernt zu sein. Es wird einem direkt vor Augen geführt, wie soziale Zustände die Gesundheit unmittelbar beeinflussen. Und wie sehr einfache Mittel Wichtiges bewirken können: Zubereitung von Rehydratationslösung bei Durchfall hilft vor Kreislaufkollaps, regelmäßige Einnahme von Vitamin A bei Kindern verhindert schwere Infekte, Behandeln von Wurmerkrankungen schützt vor schwerer Blutarmut. Ein besonderes Augenmerk gilt den Kindern – wir sind froh um jede überstandene Lungenentzündung, denn vor allem in Kombination mit Mangelernährung kann diese tödlich verlaufen. Am Ende der Untersuchung bekommt jedes Kind eine Banane, meistens wird sie gleich aufgegessen. Ein Ernährungsprogramm für schwer unterernährte Kinder wird in einem der Slums durch die German Doctors unterhalten – Nahrung wird zur Medizin.
Die aktuelle politische Lage verschärft noch die soziale Problematik und erschwert unsere Arbeit vor Ort. Immer wieder heißt es: “Es ist Hartal”. Das, was mit „Generalstreik“ harmlos übersetzt wird, terrorisiert seit Monaten das Leben der hiesigen Bewohner. Das ganze Land wird lahm gelegt, alle Geschäfte und öffentliche Ämter sind geschlossen und auch keine Straßenhändler sind zu sehen. Wer sich nicht daran hält, wird bestraft. Jede Woche berichten die Zeitungen über Tote und Verletzte sowie große Sachschäden überall im Land. Und dann regnet es immer wieder wie aus Kübeln, die Straßen verwandeln sich in kleine Kanäle.
An so einem Hartal-Tag haben wir zuerst kein Wasser in der Wohnung: der Mitarbeiter, der die Pumpe bedient, hat es noch nicht zur Arbeit geschafft. Auch in unserer Ambulanz ist zu Arbeitsbeginn erst die Hälfte der Belegschaft angekommen. Sydney von der Medikamentenausgabe erzählt, er sei im Baby-Taxi von Demonstranten mit Steinen beworfen worden. Liton, der Übersetzer, kommt verspätet, da er eine Stunde für seinen ca. 15 Kilometer langen Weg gebraucht hat. Für unsere Patienten besteht erstmal kein großer Unterschied, die meisten kommen sowieso zu Fuß. Dann geht die Arbeit wie gewohnt los – wir sind froh, wenn wir niemanden ins Krankenhaus notfallmäßig einweisen müssen. Der Transport allein wäre unter diesen Umständen gefährlich. Nebenan geht der Alltag trotzdem wie gewohnt weiter – unbeachtet aller politischen Geschehnisse spielen Kinder Kricket auf einer ruhenden Baustelle.
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