HIV ist heute behandelbar, die Infektionswege und die Schutzmöglichkeiten sind bekannt. Dennoch werden Menschen mit HIV weiterhin diskriminiert – auch im Gesundheitswesen. Ein DAH-Video thematisiert nun mögliche Gegenstrategien. Von Axel Schock
Die Betäubungsspritze hatte schon zu wirken begonnen, als Christian Müllers* Zahnärztin plötzlich die Behandlung für beendet erklärte: „Ich wusste ja gar nicht, dass Sie Aids haben. Das habe ich gerade erst gelesen.“ Aus Angst, sich womöglich bei der geplanten Entfernung des Backenzahns mit HIV zu infizieren, drängte die Ärztin den Patienten zum Gehen. Auch Müllers Hinweis, dass seine Viruslast aufgrund seiner HIV-Therapie unter der Nachweisgrenze liege und er daher gar nicht infektiös sei, konnte die Zahnärztin nicht umstimmen. Als ob das für Christian Müller nicht schon schlimm genug gewesen wäre, musste er auch noch feststellen, dass die Patienten im Wartebereich den Rauswurf als Ohrenzeugen mitbekommen hatten.
Aus Angst vor Zurückweisung scheuen viele HIV-Positive den Gang zum Arzt
Dieser Vorfall in einer Berliner Praxis mag zwar besonders extrem erscheinen, er ist allerdings keine Ausnahme. Jedem fünften HIV-Patienten wurde schon einmal eine Behandlung verweigert, ergab eine Umfrage des Projekts „positive stimmen“ der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH). Lediglich ein Drittel der Befragten war sich sicher, dass die medizinischen Unterlagen über ihre HIV-Infektion völlig vertraulich gehandhabt werden. Aus Angst, zurückgewiesen, diskriminiert oder möglicherweise durch eine Unachtsamkeit des Praxispersonals als HIV-Patient bloßgestellt zu werden, scheuen viele von ihnen den Gang zum Arzt.
Häufig ist den Beschäftigten im Gesundheitswesen nicht bewusst, dass sie durch ihr Verhalten HIV-Patienten verunsichern oder gar verletzen können. Die Krankenschwester Barbara K., selbst HIV-positiv, kennt aus ihrem Berufsalltag viele solcher Situationen und kann sich in beide Seiten hineinfühlen. Eine Oberschwester schickte sie beispielsweise zu einem Patienten mit Muskelzerrung, um ihm den Blutdruck zu messen – und ermahnte sie, dazu unbedingt Handschuhe anzuziehen. „Es bestand also keinerlei Risiko, aber jeder auf der Station wusste, dass der Patient HIV-positiv war, und ging deshalb völlig anders mit ihm um“, sagt Barbara K. Vergleichbares habe sie auch schon bei Rettungssanitätern erlebt: „Die denken oft, dass sie sich Vollschutzkleidung anlegen müssen, wenn sie einen HIV-Patienten fahren.“
Keinerlei Infektionsrisiko beim Blutdruckmessen – trotzdem „unbedingt Schutzhandschuhe“
„Diese Art Diskriminierung geschieht in den seltensten Fällen vorsätzlich oder böswillig, sondern aus Unwissenheit“, erklärt Carolin Vierneisel von der DAH-Abteilung „Medizin und Beratung“. Wichtig sei daher, dass vor allem medizinisches Personal, dessen Ausbildung schon länger zurückliegt, durch Schulungen in Sachen HIV und Aids auf den neuesten Stand gebracht werden, um die medizinisch zumeist unbegründeten Infektionsängste abzubauen.
Zugleich müsse das Thema auch in stärkerem Maße als bisher seinen Platz in der Ausbildung finden. So könnten beispielsweise HIV-Positive in Krankenpflegeschulen gehen, damit die angehenden Krankenschwestern und -pfleger überhaupt erst mal wissentlich einem Menschen mit HIV begegnen und ihm Fragen stellen können, so ein Vorschlag von Barbara K. Gute Ansätze wurden auch bereits auf der DAH-Fachtagung „Ausgrenzung. Macht. Krankheit.“ diskutiert und in diesem Video festgehalten.
„Ärzte und Pflegekräfte müssen sich ihrer Ängste bewusst werden und ihnen begegnen“
Die notwendigen Kenntnisse zu HIV und Aids im Kopf abgespeichert zu haben, ist das eine. Das Bauchgefühl allerdings, nach dem selbstverständlich auch Ärzte und Pflegekräfte entscheiden, sagt manchmal eben etwas anderes. Die Folge: HIV-Positive werden nicht so behandelt wie andere Patienten.
„Solche Infektionsängste sind menschlich. Aber es ist notwendig, dass sich Ärzte, Pflege- und Praxispersonal dieser Ängste bewusst werden und ihnen begegnen“, sagt Steffen Taubert, Wissenschaftlicher Projektkoordinator bei der Deutschen AIDS-Hilfe. Er bietet dazu verschiedene Formen der Unterstützung an, wie etwa Fortbildungsmaßnahmen und den ärztlicher Qualitätszirkel „Let’s talk about sex!“ zur Kommunikation und Prävention in der Arztpraxis.
* Name geändert