Unsere Omi hat in Dortmund gewohnt. Das erinnere ich sehr gut, wir sind jeden Monat einmal aus dem Taunus gen Westfalen gefahren. Ich sehe immer noch die Autobahn vor mir, betrachtet durch die Vordersitze meiner Eltern, wer schnallte sich schon an? Mein Bruder – etwas nervig – knautschte mir ständig seine Knie in die Rippen, und vor uns fuhren vor allem VauWees, Mercedesse und Ford Taunusse – das fuhr man eben da so.
Und dann das grosse U… da irgendwo auf dem Hochhaus, es drehte sich langsam und gemächlich, gelb-schwarz, mein Vater hatte immer gesagt, da würde das Bier gebraut. Bis heute stelle ich mir bei dem Begriff Brauerei ein Hochhaus vor, bis unters Dach mit gestapelten Fässern. Unsere Omi hat im vierten Stock gewohnt, Altbau, mit verblüffend breiter Treppe. Und eine Riesenküche hatte sie, da standen wir immer auf einem Schemel vor dem Waschbecken und haben im Spülischaum mit ihren Teetassen Schiffeversenken gespielt. In der Wohnung war ein Geruch aus alten Büchern in schwarzen Vitrinenschränken, Zitronenspüli und Siebenundvierzigelf. Auf dem Tisch lag immer ein Stoß “Reader´s Digest” (´Vergewaltigte Bücher´, nannte meine Mutter das hinter vorgehaltener Hand).
Es gab immer Nesquick. Nicht Kakao oder Kaba. Bei Meineromma gab´s Nesquick.
Irgendwann war sie umgezogen, näher zu ihrem Sohn. Sie wurde schließlich älter, und meine Eltern wollten “sie näher bei uns haben”. Aus der großen Altbauwohnung wurde eine kleine Reihenhausmittelgeschosswohnung. Mit sehr kleinem Spülbecken in der Küche. Enttäuschend. Zum Schluss wohnte sie im Arbeitszimmer meines Vaters und meine Mutter hat sie gepflegt. Gestorben ist sie mit Blick auf ihre Bücher in ihrem alten schwarzen Vitrinenschrank. Der kam damals mit.
Dortmund war immer meine Omi. Und Dortmund war für mich weit weg. Wie überhaupt der Ruhrpott. Vielleicht hat sich das erst mit Jürgen Klopp geändert… Aber ich schreibe hier keinen Artikel über Fussball, sondern über “Da gewöhnze dich dran”, dem ersten Roman von der lieben Nessy, die auch eine Beziehung zu Dortmund pflegt, wenn auch eine innigere als ich, zugegeben. Nessy verschlägt es in den Pott, weg von Elternhaus und Ex-Freund, eigentlich egal, ob München oder Hamburg, dann aber doch Dortmund. Zaghafte Kontaktaufnahmen seitens der Protagonistin stehen herzlich-forsche der Einheimischen gegenüber, vor allem der Mitbewohner im Haus. Es liest sich ein wenig auch von der Liebe und den bekannten Wirrungen und Irrungen, der BVB kommt vor und auch ihre Handballmannschaft, die wir aus ihrem Blog bereits kennen, genau wie die Großmutter, die bei Nessy Unsaomma und nicht Omi heisst.
Aber vor allem erzählt Nessy von der Seele der Menschen, lässt sie unbedarft nach Schnauze reden, mal mit lustigen Idiomen und Sinnsprüchen, mal auf Dauer etwas anstrengend zu lesen, aber immer mit einem Herz, wo´s hingehört, woll? Beim Lesen hörte ich die Nachbarin wieder, die eine halbe Treppe unter MeinerOmi gwohnt hat: Eine alte Kriegerwitwe mit Nippes auf dem Kamin und rosa Pantoffelken an den Füßen. Schlohweiß war ihr Haar und strähnig, viel einfacher im Umgang als die Pfarrersfrau – unsere Oma – , und gerade deshalb soviel beliebter bei uns Jungs, wenn wir in Dortmund zu Besuch kamen. Bei ihr gabs zum Nesquick immer Zitronenkuchen. Mit Extra-Glasur. Und einen Schmatzer rechts und links. Beinahe so wie bei Großtante Traudel, aber das ist eine andere Geschichte.
Wenn es eine Zielgruppe für “Gewöhnze…” gibt, dann bin ich das sicherlich nicht. Ich komme weder aus Westfalen noch aus dem Sauerland, spiele kein Handball und kann kein IT, eine Frau bin ich auch nicht und mein Fußballverein ist ein anderer. Also wäre das Buch vielleicht im Buchladen geblieben.
Aber ich trinke gerne draußen Kännchen, verpasse kein Posting – und das Buch fand mich. Mit einem Mal ist Dortmund nicht mehr MeineOmi oder Fussball, sondern plötzlich ist es Nessy. Alleine für diesen Imagewandel gehört ihr der Preis für das Buch des Monats.
Wenn es ein einziges Kompliment für ein Buch gebe, dann wäre es dieses: Schade, dass es so schnell zu Ende ging.
Vielen Dank.