Das Interview mit Ranga Yogeshwar führte Sebastian Kaltofen (PR-Referent der Stiftung Gesundheit).
Sebastian Kaltofen: Welche Rolle spielt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Vermittlung von Gesundheitsinformationen?
Ranga Yogeshwar: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk nimmt eine sehr wichtige Stellung ein. Denn es gibt eine Reihe von kommerziellen Aspekten, die in der Berichterstattung mitunter zu einem verfälschten Bild führen. Ganz konkret: Mithilfe der Pharmaindustrie wird heute eine Vielzahl von Medikamenten angepriesen, deren medizinischer Nutzen für Patienten weitaus geringer ist, als es die Werbung vermuten lässt.
Ein weiteres Beispiel ist die Diskussion über die Gesundheitsreform der letzten Jahre. Diese wurde sehr stark von Interessen geleitet: durch das Management von Krankenhäusern, Pharmafirmen oder Ärzteverbände.
Besonders in diesem Kontext braucht es eine Plattform des unabhängigen Journalismus, die nicht nach kommerziellen Kriterien arbeitet und eine kritische Haltung einnimmt: der öffentlich-rechtliche Rundfunk. So können Normalbürger an Informationen gelangen, die nicht an kommerzielle Ziele geknüpft oder interessengeleitet sind.
SK: In wie weit können Normalbürger die Komplexität der Gesundheitsbranche heute überhaupt erfassen?
RY: Normalbürger können sie garantiert nicht im Detail erfassen und dies ist ein kritischer Punkt. Einerseits haben wir durch die Demokratie die Einbindung der Bürger praktisch im Gesetz verankert. Andererseits droht durch die enorme Komplexität des Gesundheitswesens eine Entmündigung des Bürgers. Oftmals müssen sie den Ärzten und Experten einfach glauben, da sie viele Zusammenhänge schlichtweg nicht verstehen können. Besonders kritisch ist es, wenn dieser Zustand auch auf politischer Ebene zutrifft. Inzwischen haben wir eine Situation, bei der die Verantwortlichen oft über Prozesse entscheiden, die sie rein fachlich nicht genau verstehen. Das ist gar kein Vorwurf, sondern eine Begleiterscheinung der zunehmenden Komplexität.
SK: Müssen die Medien den Bürgern die Informationen anders darbieten, um mehr Verständnis zu ermöglichen?
RY: Die Medien leisten in vielen Bereichen schon gute Arbeit – das Spektrum reicht da von patientennahen Servicesendungen bis hin zu wissenschaftlichen Sendeformaten. Dennoch werden immer nur Grundprinzipien erläutert, das Wesentliche kommt bei der Informationsvermittlung oftmals zu kurz. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Medien eine enorme Verantwortung gegenüber den Bürgern haben, da sie als wichtige Orientierung dienen. Ein konkretes Beispiel: Wenn sich eine bekannte Schauspielerin als Vorsichtsmaßnahme die Brüste operieren lässt und dies medial aufbereitet wird, löst dies einen gefährlichen Nachahmungseffekt aus.
Da möchte ich kurz auf das Verhalten von Ärzten und Journalisten eingehen. Der Arzt hat durch den Hippokratischen Eid geschworen besondere Verhaltensregeln zu beachten, wie u.a. Unabhängigkeit und den Schutz des Patienten. Dieser Eid löst sich heute teilweise auf: Wir haben eine Vielzahl von kommerziell motivierten Diensten, zum Beispiel IGEL-Leistungen, die de facto dem Patienten nicht unbedingt nutzen. Wir haben eine bedenkliche Intransparenz in Bezug auf Studien in der Medizin. Da frage ich mich: Wo bleibt Hippokrates?
Und was für den Arzt gilt, muss in meinen Augen auch für den Medizinjournalisten zutreffen. Der Journalist muss ebenfalls seine Unabhängigkeit wahren – er muss sich frei von medieneigenen Gesetzen machen. Er darf nicht plötzlich die Medizin so behandeln wie den Boulevard. Wenn dies doch der Fall ist, sehen wir die Konsequenzen wie bei der vorher genannten Brust-OP – mit verheerenden Folgen.
SK: Welche Unterschiede sehen Sie in der Vermittlung von Informationen zwischen einem TV-Format, wie Quarks & Co und dem Internet, wo die Selbstinformation im Vordergrund steht?
RY: Bei einem Format wie Quarks & Co haben die Bürger die Gewissheit einer fundierten Recherche. Weiterhin handeln wir nach den strengen journalistischen Richtlinien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Im Internet gelten diese Regeln nun mal nicht. Bei einer Fülle von Websites sind oftmals die Motive unklar. Außerdem werden im Internet der redaktionelle und werbliche Content nicht getrennt aufgezeigt. So kann es passieren, dass die User gut geschriebene Texte lesen, die eben nicht unabhängig sind.
Sofern die journalistischen Grundsätze eingehalten werden, bietet das Internet natürlich tolle Möglichkeiten, um mit den Usern in unmittelbaren Kontakt zu treten. Leider erfolgt bei der erheblichen Menge an Informationen jedoch keine Gewichtung. Zudem ist selten deutlich, wer hinter den Informationen steckt. Ich möchte nicht wissen, wie viele Forumseinträge bei einer großen Marketingaktion eines neuen Medikaments aus der Feder der Marketingexperten stammen. All dies führt zu einer großen divergierenden Informationsflut.
SK: Wie sehen Sie die Entwicklung im Bereich Social Media – ist dies ein nützlicher bzw. notwendiger Kanal für Menschen, um an Gesundheitsinformationen zu gelangen?
RY: Es kann ein sehr nützlicher Bereich sein. Social Media kann die Macht des Patienten stärken – gegenseitiger Austausch, solidarisieren, gegenseitiges helfen und auch kritisches Verhalten. Andererseits ist große Vorsicht geboten: Bei den Gesamtbudgets der Pharmafirmen und Lobbyverbänden bleibt die Fragen offen, wer diesen Bereich wirklich dominiert. Bei genauerem Hinschauen, beispielsweise bei Einträgen zu Medikamenten, wird deutlich, dass nicht alles was objektiv erscheint auch objektiv ist.
Das Potenzial ist natürlich großartig, doch im Kontext der Überinformation wird der User oftmals zusätzlich verunsichert.