Elf Uhr vormittags an einem durchschnittlich hektischen Tag: Mit der Visite bin ich noch lange nicht durch, dafür warten ein Stockwerk tiefer drei Zugänge auf meine Anwesenheit und der Chef will auch noch was von mir und dann gibt es noch diverse Sonos und Belastungs-EKG’s und den üblichen Scheiß… meine To-Do-Liste wird jedenfalls minütlich länger.
Telefon klingelt.
Meine rechte Hand steckt gerade in einem Patienten, die Linke fummelt den Quälgeist aus der Kitteltasche ans Ohr.
“Ja?”
“Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Doktor, hätten Sie einen Moment Zeit?”
Sie erwarten doch wohl hoffentlich keine ehrliche Antwort?
“Wer stört?”
“Mein Name ist Samantha, ich rufe an vom Internationalen Weltvereinigung der Super-Ärzte-Koryphäen-Kracher…”
Hollywood?
Endlich der ersehnte Buch-Vertrag?
“Moment!”
Ich ziehe den Gummihandschuh ab und schmeiße ihn auf den Boden.
“Sie können den Mund wieder schließen… nein, nicht Sie, Samantha, was kann ich für Sie tun?”
Ich renne aus dem Patientenzimmer, über den Flur ins Wäschelager und schließe mich da ein, da kann mich niemand stören.
“Ich möchte Ihnen unsere Mitgliedschaft anbieten!”
Die Mitgliedschaft bei den Super-Duper-Krachern…?
“Ist gebongt!”
“Sie können an unseren Studien teilnehmen und bekommen dann jeweils zwischen zwanzig und zweihundert Euro, je nach Zeitaufwand…”
Schätzchen, Du machst mich glücklich!
“Gibt’s da irgendeinen Haken?”
“Sie müssen sich nur kostenlos auf unserer Webseite registrieren…”
Wird gemacht!
Und siehe da: es gibt gleich zwei Studien, zu denen ich eingeladen bin, und jedes Mal gibt’s vierzig Ocken dafür. Also nichts wie hingeklickt!
Und?
“Leider ist diese Studie bereits abgeschlossen!”
Wie bitte? Na ja, macht nichts!
Ich klicke auf die zweite Studie – es scheint sich ja eher um Umfragen zu handeln – und bekomme die gleiche Antwort.
Schon wieder Pech gehabt! Genau hingeschaut: Die Einladung stammt erfolgte um elf Uhr dreiundzwanzig und es sollten genau fünfundsiebzig Leute befragt werden… ich lerne: man muss also schnell sein, wenn man vierzig Euro verdienen will.
Eine halbe Stunde später dingelt es in meinem elektronischen Posteingang. Und diesmal reagiere ich sofort.
Immerhin: ein Eingabefenster öffnet sich… allgemeine Geschäftsbedingungen… geschenkt… weiter: “Sind Sie: Professor / Chefarzt / Oberarzt / Facharzt / Stationsarzt?”
Ich klicke wahrheitsgemäß auf “Stationsarzt”.
Das nächste Fenster ist ernüchternd: “Es tut uns leid, Sie erfüllen leider nicht unser Anforderungsprofil…”
Das nächste Mal bin ich schlauer.
Also auf “Oberarzt” geklickt. Und Spezialist für Lebererkrankungen bin ich auch. Aber welches Bundesland maximiert wohl meine Teilnahmechancen? Und wie viele Patienten mit akuter Hepatitis C habe ich im letzten Monat behandelt? Wie viele davon mögen wohl einem gestandenen Spezialisten über den Weg laufen?
Offenbar mehr als ich mich anzuklicken traue. Schon wieder eine Niete gezogen.
Nach fünf weiteren Nieten schreibt Samantha mir eine Mail: Zum Trost bekomme ich fünfzig Punkte geschenkt.
Fünfzig Punkte?
Was kriege ich dafür?
Erwartungsvoll klicke ich mich auf die Punkteseite. Da gibt’s IPads, dicke Autos, Luxusurlaube und elektrische Zahnbürsten. Die elektrische Zahnbürste kostet dreihundertsiebzehn Dollar. Aber mit Punktesammeln kriegt man tollen Rabatt.
Und das geht so:
Für hundert Punkte kann man sich, wenn man noch fünfzig Euro drauflegt, den Bronze-Status erkaufen, dann kriegt man dreißig Prozent Rabatt. Silber kostet hundert Euro und dreihundert Punkte, und dann gibt’s selbstverständlich auch noch Gold und Platin. Bei Platin kostet die elektrische Zahnbürste dann nur noch die Hälfte, vorausgesetzt man hat vorher…
…sagt mal, für wie blöd haltet Ihr mich eigentlich?