„Diese Demütigung sitzt immer noch tief in mir drin“

T-Shirt mit Aufdruck "unschuldig"

Die Rechtsprechung beeinflusst das (Sex-)Leben von HIV-Positiven (Foto: Werner Bock)

Nach wie vor werden in Deutschland Menschen mit HIV angezeigt oder gar vor Gericht gestellt – weil das Virus tatsächlich übertragen worden ist oder nur, weil das lediglich hätte möglich sein können. Die Kriminalisierung hat Folgen für das Selbstbewusstsein und das Sexualleben von HIV-Positiven. Axel Schock hat die Erfahrungen von sechs Menschen mit HIV zusammengetragen.

 

Thomas, 38, Hamburg:

„Für mich stand nie außer Frage, als HIV-Positiver nur Safer Sex zu haben. Das gilt in festen Bindungen genauso wie bei unverbindlichen One-Night-Stands. Ein Gummi zu benutzen, so hatte ich die ganze Aidsaufklärung verstanden, ist sicher und erspart bei Zufallsbekanntschaften die gegenseitige Abklärung des Immunstatus. Diese Sicherheit habe ich inzwischen verloren.

Die Unsicherheit schwingt immer mit

Immer wieder hört man von Gerichtsverfahren. Selbst HIV-Positive unter der Nachweisgrenze werden trotz Einhaltung der Safer-Sex-Regeln angezeigt. Muss ich mich also vor jeder sexuellen Begegnung offenbaren? Und was ist, wenn mein Sexpartner das hinterher trotzdem verleugnet, vielleicht einfach nur, weil er mir eins auswischen will? Wer glaubt vor Gericht schon einem HIV-Positiven!

Muss ich zu meiner eigenen Absicherung meine Sexpartner nun vorab immer unterschreiben lassen, dass ich sie über meinen HIV-Status informiert habe? Diese Unsicherheiten schwingen nun immer mit, und das Misstrauen und die Ängste, die ich mal überwunden glaubte, sind alle wieder da. Damals hatte ich Angst vor Ausgrenzung und Ablehnung, heute vor der öffentlichen Demütigung, als Virenschleuder angeklagt und womöglich sogar verurteilt zu werden.“

 

Gabriele, 50, Bayern:

„Ich wurde 2002 durch meinen damaligen Partner mit HIV infiziert. Plötzlich war er verschwunden, aus Angst vor einer Anzeige, wie ich später erfahren habe. Einige Zeit nach der Infektion fühlte ich mich durch viele diskriminierende Ereignisse in Bezug auf HIV an den Rand gedrängt. Ich wollte mein Selbstbewusstsein zurückgewinnen und habe versucht, mich wieder einem Mann zu nähern.

Nicht immer gilt der Rechtsgrundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“  (Foto: Florentine/pixelio.de)

Nicht immer gilt der Rechtsgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ (Foto: Florentine, pixelio.de)

Das mit dem Selbstbewusstsein hat nicht geklappt, das Gegenteil war der Fall: Als ich endlich den Mut hatte und ihm von meiner HIV-Infektion erzählte, schlugen mir Reaktionen entgegen, die ich nie erwartet hätte: Ablehnung, Ekel und Abscheu. ‚Du bist das Letzte, dich müsste man bei der Polizei anzeigen.’ Es sei unverantwortlich von mir, Sex zu haben, selbst Safer Sex.

Die Folge: Ich verurteilte mich selbst. Mir wurde bewusst, dass man mich wegen HIV anzeigen könnte. Nun hatte ich Angst, über meine Infektion zu sprechen, ich verlor mein Selbstwertgefühl und reagierte mit Rückzug. Seither habe ich es nicht mehr geschafft, eine Partnerschaft einzugehen oder Sex zu haben. Ich selbst hatte damals keine Sekunde daran gedacht, meinen Partner, der mich infiziert hat, anzuzeigen. Nun aber hatte ich die reale Angst, dass mir das passieren könnte.

Inzwischen ist mir klar, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist und solche Ängste nicht sein müssten.  Also lebe ich jetzt und fange an, diese Ängste abzubauen. Und ich bin aktiv geworden, um mit vereinten Kräften Stigmatisierung, Diskriminierung und Kriminalisierung abzubauen. HIV ist ein Teil von mir geworden. Ich lasse mich nicht mehr unterdrücken und bin stolz auf mich, wieder ins Leben gefunden zu haben.“

Aayana, 27, Bremen:

„Es ist schwierig für mich, in meiner afrikanischen Community offen über mein Positivsein zu reden. Wir sind aufeinander angewiesen, haben enge Kontakte, und alle tratschen natürlich über jeden. Ich weiß von Frauen wie mir, die Angst haben, es ihren Lovern zu sagen, das bringt sie in furchtbare Konflikte. Sind sie ehrlich, werden sie im Stich gelassen und müssen damit rechnen, dass bald alle wissen, warum.

Ständige Angst vor Kriminalisierung (Abb.: Torben Wengert, pixelio.de)

Die ständige Angst vor Strafverfolgung belastet
(Abb.: Torben Wengert, pixelio.de)

Leider habe ich immer wieder Sätze hören müssen wie: ‚Die gehören alle weggesperrt!’. Das nimmt jeglichen Mut zur Ehrlichkeit und Offenheit. Verschweigen wir es und bestehen auf Kondome, werden die Männer misstrauisch und fühlen sich beleidigt. Verschweigen wir es und lassen den Schutz weg, verzweifeln wir, weil wir uns strafbar machen – selbst wenn wir unter der Nachweisgrenze sind. Egal, wie wir uns verhalten, ist es falsch.“

 

Lars, 30, Berlin:

„Der Satz ‚Aids kriegt man nicht, Aids holt man sich’ ist zwar dumm, aber auf mich trifft er zu. Ich wusste, was ich tun und was ich sein lassen sollte, aber ich hatte mich nicht daran gehalten. Ich kann für meine Infektion niemanden verantwortlich machen – auch nicht den Mann, bei dem ich mir das Virus geholt habe. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ihn deshalb anzuzeigen.

Verantwortung hat jeder zunächst für sich, man kann sie nicht einseitig auf den oder die HIV-Positiven abwälzen. Ich habe aber den Eindruck, dass die Gesellschaft zunehmend dahin tendiert. Damit machen es sich die HIV-Negativen und Ungetesteten aber zu leicht. Sie wollen alle wieder ungezwungen vögeln können. Wer will das nicht? Das Ansteckungsrisiko besteht da draußen in der freien Wildbahn aber weiterhin.

„Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ihn anzuzeigen“

Die Aussicht, uns zu verklagen, wenn ihre unsafen Sex-Eskapaden schief gehen, gibt ihnen keine Sicherheit, sondern lediglich einen Schuldigen, um sich von ihrer eigenen Verantwortung zu befreien. Das aber ist einfach nicht fair.“

 

Konstantin, 36:

„Wir hatten uns auf einer Geburtstagsfeier kennengelernt. Erst hat er mit mir charmant geflirtet und getanzt, am Ende des Abends haben wir geknutscht, und er hat mich zu sich nach Hause mitgenommen. Dort setzten wir unser Kennenlernen fort. Es war eine sehr romantische, sinnliche Nacht. Ich hatte das Gefühl, den Mann getroffen zu haben, der wirklich zu mir passt und den ich mir immer erhofft hatte.

„Wochenlang habe ich gezittert, weil ich eine Vorladung vom Gericht befürchtete“

Wir haben uns immer wieder lange geküsst, aber nicht wirklich miteinander geschlafen, sondern nur Oralverkehr gemacht. Mein Gefühl für ihn und für uns war am nächsten Morgen so gut, dass ich ihm von meinem Virus erzählte und dass ich weiß, wie ich damit umgehen muss. Dass man gut und sicher damit leben kann. Er ist ausgeflippt und hat mich rausgeworfen. Er drohte mir, mich anzeigen.

Noch am gleichen Tag hat er die Gastgeberin der Party angerufen und sich darüber empört, ob ihr eigentlich bewusst sei, was für Leute sie als Freunde habe. Wochenlang habe ich gezittert, wenn der Briefträger kam, weil ich fürchtete, dass er eine Vorladung vom Gericht bringt. Das ist dann zwar doch nicht passiert, aber diese Demütigung sitzt immer noch tief in mir drin.“

 

Markus*, 24 (* Name geändert)

„Es geschah vier Monate nach meinem Testergebnis. Es war eines der ersten Male, dass ich wieder Sex hatte, ein Gayromeo-Date. Wir haben geküsst und geblasen, und ich hab ihm einen Knutschfleck gemacht, mehr nicht.

Der Prozess gegen Nadja Benaissa hat die Ängste und Vorurteile geschürt (Repro: DAH)

Der Prozess gegen Nadja Benaissa hat Ängste und Vorurteile geschürt (Repro: DAH)

Dass ich positiv bin, hat er bei unserem zweiten Treffen rausbekommen. Wir kamen auf den Prozess gegen Nadja Benaissa zu sprechen, und er sagte, er würde nie mit jemandem Sex haben, von dem er wüsste, dass er positiv ist. Das wäre ja so, als würde man bewusst in ein Auto steigen, bei dem die Bremsen nicht funktionieren. Ich zuckte zusammen, und er bemerkte das. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich positiv bin, und er hat mich total zur Sau gemacht. Er war völlig panisch und aufgelöst und wollte mich nicht wiedersehen.

Nach einiger Zeit bekam ich einen Anruf von der Polizei. Es war wirklich unglaublich: Er hatte in der Klinik, wo ich in Behandlung war, nachgefragt. Die haben in meine Akte geguckt und ihm zur Anzeige geraten. So hat er das jedenfalls bei der Polizei ausgesagt. Ich habe die Ärzte in der Klinik zwar zur Rede gestellt, aber die haben alles abgestritten.

Ich hätte natürlich rechtliche Schritte gegen die Klinik einleiten können, aber ich war damals völlig überfordert. Zum Glück bekam ich einen guten Anwalt, der dann sogar verhindern konnte, dass ich zur Vernehmung musste, und er hat mir erklärt, dass ich nichts falsch gemacht hatte. Nach dieser Geschichte musste ich erst mal wieder neues Selbstvertrauen entwickeln, um mich auf Männer einlassen zu können.“

 

 


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