Schön ist es hier. Wunderschön.
Das Hotel ist ein pastellrosafarbener Zuckerbäckerbau, auf dem Balkon sind Blumenkästen mit blühenden Geranien und der Blick geht… über den blauen, blauen See hinweg und dahinter sind natürlich wieder Berge, bin ja immer noch mitten drin in den Bergen.
Ich wohne direkt an der Seepromenade. Da könnte man mit offenem Verdeck, cooler Sonnenbrille und Ellbogen lässig aus dem Fenster gelehnt ganz langsam entlangcruisen… aber dazu ist die Promenade leider viel zu kurz, da müsste man nach zweihundert Metern vor der Parkplatzschranke umdrehen und dann immer hin und her…. naja, wäre dann vielleicht doch etwas zu prollig.
Gecruist wird hier höchstens mit Golfwägelchen. Die kommen vom Golfplatz und fahren zum ersten Hotel am Platz, das ist schräg gegenüber und noch direkter am See… geschenkt.
Meine Absteige war teuer genug. Hat ein wenig das Budget gesprengt, aber was tut man nicht für diese herrliche Lage?
Am Morgen, nach dem Frühstück geht’s dann in die Berge.
Also, erstmal gemütlich frühstücken natürlich… und dann ganz gemütlich die Seepromenade abgecheckt… und dann…
…einen Berg ausgesucht, also ein Zweitausender sollte es schon sein, da nehmen wir doch gleich die Zacke dort drüben…
Los geht’s.
Der Pfad führt steil bergauf, durch dichten, schattigen Wald. Das ist ganz praktisch, weil die Sonne mir ziemlich knallig auf die Mütze knallt.
Wanderer kommen mir entgegen. Die waren schon oben, hinauf will jetzt wohl keiner mehr… es geht ja inzwischen auch schon auf Mittag zu.
Der Pfad zieht sich. Zieht sich wie Kaugummi. Ich mache Pause, trinke einen Schluck Wasser, gehe weiter, beginne zu schwitzen, mache Pause, genieße die Aussicht, trinke einen Schluck Wasser, schwitze weiter, mache Pause, trinke Wasser, schwitze immer noch…
Wunderschöne Aussicht!
Wie hoch mag ich sein?
Endlich erreiche ich die Waldgrenze, stolpere durch Latschengestrüpp, hier und da blühende Alpenrosen, weiterlaufen, weiterschwitzen, weiter Wasser… äh… wie viel habe ich noch? Knapp einen Liter? Den muss ich mir gut einteilen!
Ich erreiche den Gipfelgrat. Die Aussicht ist atemberaubend!
Mein Wasservorrat… noch knapp ein halber Liter…
Bis zum Gipfel sind es noch zwei- oder dreihundert Höhenmeter. Immerhin ist es inzwischen etwas kühler geworden. Wolken ziehen auf.
Wolken?
Endlich oben!
Wow!
Wahnsinn!
Oben!
Ein Schluck Wasser… (bleibt noch ein Viertelliter).
Photos.
Und die Wolken?
Sehen ziemlich düster aus…
Also, jetzt aber schnell umdrehen!
Aus der Ferne donnergrollt es. Wind kommt auf. Erste Regentropfen… die sind richtig angenehm.
Innehalten. Atem schöpfen. Die Zunge klebt am Gaumen. Ein Schluck Wasser? Ein paar Tropfen habe ich noch!
Jetzt regnet es richtig. Über den Nachbarbergen zucken Blitze. Der Weg ist matschig und rutschig… endlich erreiche ich den Wald…. Tief unter mir liegt das Dorf am See. Tief, tief unter mir!
Ich stolpere bergab… stolpere… gehe… laufe… krieche… stehe auf… gehe weiter… hilft alles nix, ich muss weiter, trotz Regen… ich träume von einem kühlen Bier in der Strandbar an der Seeterrasse, aber bis dahin ist es noch weit… und meine Wasserflaschen sind leer.
Um acht Uhr abends habe ich es endlich geschafft. Wanderstiefel ausziehen. Klamotten in die Ecke pfeffern. Im Bademantel auf den Balkon. Da untern, keine hundert Meter von hier ist die Strandbar. Aber keine zehn Pferde kriegen mich heute Abend mehr dahin.
Ich sitze auf dem Balkon und trinke Leitungswasser.
Köstliches Leitungswasser.