Ein Krankenhaus ist ein Ort, der für jeden Menschen irgendwann im Leben zur Anlaufstelle wird. Ob zur Geburt eines Kindes, zum Besuch eines erkrankten Angehörigen, in einer akuten medizinischen Notfallsituation, aber auch zum Abschied Liebgewonnener – man wird sich irgendwann in seinem Leben in ein Krankenhaus begeben müssen. Die optimale Gestaltung der räumlichen Umgebung wird daher besonders im Planungsprozess von Gesundheitsbauten zur immer wichtigeren Frage. „Healing Architecture“ beschäftigt sich mit den Prinzipien der Konzeption und Gestaltung von gebautem Raum, seine Wahrnehmung durch den Menschen und seine Auswirkungen auf die Bewältigung von Krankheit.
Nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern auch die Wissenschaft ist inzwischen zur Erkenntnis gelangt, dass das Gesundwerden stark mit dem Wohlbefinden eines Menschen zusammenhängt. International ist die These, dass sich eine entsprechende Umgebung positiv auf den Heilungsprozess auswirkt, längst anerkannt und Schwerpunkt verschiedener Forschungen und Studien.
Im englischsprachigen Raum, in den Niederlanden und in Skandinavien gibt es Institute wie das „Center for Health Systems & Design“ in den USA, das Studien und Bauprojekte sammelt und veröffentlicht sowie auf dem Gebiet „Healing Architecture“ aktive Architekten mit Interessengruppen wie Bauherrenvertretern und Politikern vernetzt. Hier veröffentlichte Roger S. Ulrich 1984 seine Studie „View Through a Window May Influence Recovery from Surgery“ und wies nach, dass die Unterbringung in einem Zimmer mit Fensteraussicht und Blick in die Natur den Heilungsprozess positiv beeinflusst. Er verglich mehrere Patienten nach einer Gallenblasen-Operation, wovon eine Gruppe in ihrem Zimmer Blick auf Natur, die andere Gruppe Patienten Blick auf eine Steinmauer hatte. Das Ergebnis der Vergleichsstudie zeigte, dass diejenigen Patienten mit Naturaussicht weniger negatives Feedback gegenüber dem Pflegepersonal äußerten, geringere Schmerzmittelmengen benötigten, weniger post-operative Komplikationen und eine insgesamt verminderte Verweildauer hatten. Die Naturaussicht half demnach, Stress zu verringern und führte schließlich zu einem kürzeren Krankenhausaufenthalt.
Auch in Deutschland gewinnt „Healing Architecture“ an Bedeutung. Doch obwohl mittlerweile großes Interesse an dem Thema herrscht, steckt das Forschungsgebiet hierzulande noch in den Kinderschuhen. Zweifellos ist es nur bedingt möglich, den Einfluss von Architektur auf den Genesungsprozess wissenschaftlich fundiert zu erfassen. Da es nicht möglich ist, zwei typologisch verschiedene, aber in der Nutzung gleiche Krankenhäuser nebeneinander zu errichten und die Unterschiede in den Effekten auf Menschen zu messen, die sich darin aufhalten, können Studien immer nur einem spezifischen Aspekt nachgehen und die Auswirkung auf eine bestimmte Zielgruppe, beispielsweise Patienten mit ähnlichem Krankheitsbild, innerhalb eines begrenzten räumlichen Rahmens erforschen.
Krankenhäuser aber, die im Hinblick auf eine raschere Genesung der Patienten und Zufriedenheit der Nutzer entworfen wurden, indem sie die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Fokus rücken, gibt es durchaus schon in Deutschland. Man kann davon ausgehen, dass Faktoren wie Lichtqualität, Lärm, Gerüche, Materialien, Kunstgegenstände, Grundrissorganisation und Einbindung des Gebäudes in die Umgebung dazu beitragen, Ängste und Stress zu vermeiden. Sie haben Einfluss auf den Heilungsverlauf der Patienten sowie auf das Qualitätsempfinden den Arbeitsplatz Krankenhaus betreffend.
Es geht meiner Auffassung nach auch darum, sich mit seinen individuellen und persönlichen Bedürfnissen ernstgenommen und aufgehoben zu fühlen. Hier zählt, auf den Individualbereich einzugehen und ihn zu stärken. Abgesehen von funktionalen, technischen und hygienischen Forderungen wächst nämlich der grundsätzliche Anspruch der Menschen an ganzheitlich gestaltete Räume im Gesundheitswesen, die hohe Aufenthaltsqualität und Wohlfühlatmosphäre bieten. Raum wird damit zum zentralen Faktor des Genesungsprozesses.
Die skandinavischen Länder zeigen uns schon heute, wie wichtig die Unterbringung in Einzelzimmern wird. Neben der erwiesen geringeren Ansteckungsgefahr sind eine ungestörte Umgebung und das Gefühl, unabhängiger zu sein, maßgebend darin, den Genesungsprozess zu unterstützen. Um den Individualbereich zu fördern, werden Patientenzimmer der Zukunft einen hotelähnlichen Charakter haben, der Komfort und Ambiente ins Zentrum stellt und eine Atmosphäre schafft, in der man sich wohlfühlt und nicht an ein Krankenhaus erinnert wird. Die Neuorientierung des Pflege- und Therapiebereichs führt auch dazu, Angehörigen künftig eine größere Rolle beizumessen und stärker in Prozesse einzubeziehen. Dies bedarf Flexibilität und ausreichend Raum für Rückzug und Kommunikation. Eine der wichtigsten Prämissen ist aber, alle Voraussetzungen für einen gut gelingenden Krankenhausbetrieb zu schaffen. Das heißt vor allem, nicht nur dem Patienten, sondern auch dem Arbeitsort Krankenhaus größte Beachtung zu zollen.
Da wissenschaftlich fundierte Evaluierungen fehlen, liegt es derzeit bei uns als Architekten, die Erfahrungen, die wir beim Entwickeln und Planen von Gesundheitseinrichtungen sammeln, zu bewerten und die Erkenntnisse auf das nächste Projekt zu übertragen. Eine interdisziplinäre Herangehensweise an das komplexe Thema „Healing Architecture“ ist hier ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Diesen Ansatz verfolgen auch die alle zwei Jahre stattfindenden Symposien des Fachgebietes für das Entwerfen von Krankenhäusern und Bauten des Gesundheitswesens an der Technischen Universität Berlin. Sie sind eine mit großer Resonanz angenommene, kreative Plattform für Diskussionen zu aktuellen Entwicklungen in der Gesundheitslandschaft. Die Referenten aus den Gebieten Architektur, Medizin, Gesundheitsmanagement und Politik befassen sich bereichsübergreifend mit der Gesundheitsversorgung der Zukunft und bringen ihre Erfahrungen in den Forschungsdiskurs ein. Dies hat sich gerade wegen der Interdisziplinarität als bereichernd erwiesen, es werden neue Sichtweisen gewonnen, Denkanstöße gegeben sowie Projekte und Kooperationen der verschiedenen Experten angeregt. Im kommenden Jahr, am 14. März 2014, findet das Symposium in der Akademie der Künste in Berlin bereits zum fünften Mal statt.
So etwas wie ein „Katalog“ mit Empfehlungen für „Healing Architecture“ gibt es in Deutschland noch nicht und man kann nicht wirklich davon sprechen, dass diese Prinzipien in einem Bauwerk konkret umgesetzt wurden. Das im Verlagshaus Braun herausgebrachte Buch „Krankenhausarchitektur für die Zukunft“ gibt jedoch einen umfassenden Überblick über Krankenhäuser, die in ihrer Komplexität den Maßstäben von „Healing Architecture“ nahe kommen. In Kürze erscheint – ebenfalls bei Braun Publishing – das Buch „Healing Architecture“, das sich intensiv mit den entsprechenden Grundlagen und allen wesentlichen, für die Thematik relevanten Aspekte anhand verschiedener Projekte von Nickl & Partner Architekten, internationaler Beispiele weiterer Architekturbüros, aber vor allem auch aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen befasst.
Ein Krankenhaus sollte ein Ort sein, den man mit einem positiven Gefühl wieder verlässt, weil man ihn als Raum in der Stadt erlebt hat, der den Patienten unterstützt und miteinbezieht, der ein geeignetes Umfeld als Arbeitsort bietet und als elementarer Stadtbaustein für die Bevölkerung erlebt wird. Gerade deshalb muss er hohen Qualitätsanforderungen in besonderem Maße gerecht werden. Es liegt nicht nur in der Verantwortung der Krankenhausbetreiber, für diese Qualitäten zu sorgen, sondern wir sehen es als unsere Aufgabe als Architekten mit unserem Entwurf für das Bauwerk, die notwendige wohltuende Atmosphäre und gesundheitsfördernde Umgebung zu verwirklichen.