Rund eine Million Menschen dürften in Deutschland mit Virushepatitis infiziert sein – viele von ihnen, ohne es zu wissen. Wie der heute veröffentlichte „Aktionsplan für eine nationale Strategie gegen Virushepatitis“ die Hindernisse für Diagnostik, Prävention und Behandlung der Krankheit überwinden kann, erklärt Astrid Leicht im Gespräch mit Axel Schock.
Astrid Leicht, Leiterin des Berliner Drogenhilfeprojekts „Fixpunkt e.V.“, ist Mitinitiatorin des Hepatitis-Aktionsplans. Er wurde gemeinsam von acht Organisationen erarbeitetet, darunter die Deutsche Leberhilfe e.V., die Deutsche Leberstiftung sowie das Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch“, dem neben Fixpunkt und dem JES-Bundesverband auch die Deutsche AIDS-Hilfe angehört.
Frau Leicht, wozu dient ein solcher nationaler Plan in erster Linie: Um die Dringlichkeit der verschiedenen Aufgaben zu verdeutlichen oder um Ministerien, Behörden und Kommunen in die Verantwortung zu nehmen?
Zunächst geht es darum, überhaupt erst einmal ein Bewusstsein dafür zu wecken, welches Ausmaß die Hepatitis-Epidemie aktuell einnimmt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt Hepatitis-Erkrankungen nicht von ungefähr zu den bedeutendsten Gesundheitsproblemen weltweit. Zum anderen gilt es, die Zuständigkeiten für die damit verbundenen Ausgaben etwa in der Prävention und Versorgung zu klären – und damit auch die Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen.
Ein weltweit wachsendes Gesundheitsproblem
Soll heißen, für Hepatitis fühlt sich bislang niemand so recht zuständig?
Wir bemühen uns seit nunmehr über zehn Jahren, dass Hepatitis ihrer Bedeutung entsprechend auch in der Gesundheitsversorgung abgebildet wird. Als Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogengebrauch“ haben wir über viele Jahre versucht, Ansprechpartner im Bundesgesundheitsministerium zu finden, die das Thema politisch bearbeiten. Damit sind wir bisher allerdings auf wenig Widerhall gestoßen. Einzig das Büro der Bundesdrogenbeauftragten fühlte sich verantwortlich. Uns reichte das aber nicht. Zwar ist Virushepatitis ein Problem, das die meisten Drogengebraucher betrifft, wir sind aber der Ansicht, dass es im Bundesgesundheitsministerium auch an anderer Stelle auf die Tagesordnung gehört.
Der Aktionsplan ist nun ein Weg, um mehr Aufmerksamkeit und damit auch die politische Unterstützung für das Anliegen zu erreichen.
Was hat den Stein ins Rollen gebracht?
Ein entscheidender Impuls war, dass 2010 die Deutsche Leberhilfe und die Deutsche Leberstiftung auf das Aktionsbündnis zugekommen sind.
Der Aktionsplan sieht unter anderem vor, das Bewusstsein für Virushepatitis und ihre Übertragung zu steigern, die Aufklärung zu einem festen Bestandteil staatlicher Gesundheitsprogramme zu machen und den Zugang für alle Patienten zu einer leitliniengerechten Therapie zu ermöglichen. Wie viel dieses umfangreichen Forderungskataloges lässt sich tatsächlich auch realisieren?
Man wird sicherlich nicht alle Ziele sofort erreichen, aber wir haben den Plan bewusst so formuliert, dass er tatsächlich auch realisierbar ist. Wir haben uns dazu an den internationalen Vorbildern Australien und Schottland orientiert. Das heißt, es geht im ersten Schritt vor allem darum, durch eine Evaluation einen allgemeinen Rahmen zu bilden und überhaupt einen Prozess in Gang zu bringen.
Realistische Ziele
Was sind weitere wichtige Forderungen und Punkte in diesem Plan?
Neben dem Ziel, größere Aufmerksamkeit für das Problem zu erzielen, gilt es dafür zu sorgen, dass Hepatitis mehr als bisher ein fester Bestandteil der Gesundheitsaufklärung und Vorsorge wird.
Weitere wichtige Bausteine des Aktionsplanes sind die zielgruppenspezifische Prävention, etwa für Menschen in Haft, sowie die Arbeit gegen die Stigmatisierung von Hepatitis-Infizierten beziehungsweise von Personengruppen, die von Hepatitis besonders betroffen oder bedroht sind – zum Beispiel Drogengebraucher und Männer, die Sex mit Männern haben. Ich will an dieser Stelle aber nicht verschweigen, dass es in den zurückliegenden Jahren immer wieder Berührungsängste gab, zum Beispiel zwischen der Leberhilfe und uns als Aktionsbündnis. Einer der Gründe war, dass „Normalbürger“, die sich über Blutprodukte infiziert hatten, nicht für Drogengebraucher gehalten werden wollten.
Die Forschung im Bereich der Hepatitis-Therapie hat gerade in jüngster Zeit sehr große Fortschritte machen. Inwieweit können die Erkrankten davon nun auch profitieren?
Wir müssen darauf hinarbeiten, dass in der Suchttherapie ganzheitlicher auf die Klienten geschaut wird, also nicht nur deren Drogenabhängigkeit behandelt wird, sondern die Gesundheit im Ganzen im Blick ist – und damit automatisch auch der Schutz vor bzw. die Behandlung von Hepatitis. Dies sollte nicht nur ein Thema in Druckräumen beim Spritzentausch sein, sondern in allen Einrichtungen, in denen Drogengebraucher betreut werden.
Das heißt, Drogengebraucher sollten an möglichst unterschiedlichen Schnittstellen die Chancen haben, über Infektionsrisiken, Impfung und Therapie aufgeklärt und beraten zu werden?
Richtig, allerdings gibt es noch jede Menge Hemmnisse abzubauen, damit jene, die eine Therapie dringend benötigen, sie auch tatsächlich erhalten. Um es einmal an einem konkreten Beispiel festzumachen: In Einrichtungen, die mit Drogengebrauchern arbeiten, wie etwa Drogenhilfen, aber auch in manch einer Substitutionspraxis verfügen keineswegs alle Mitarbeiter über das notwendige Fachwissen zu Hepatitis.
Fehlende Kernbotschaften erschweren die Beratung
Wo genau liegt das Problem?
In der Therapie hat sich fraglos viel verändert, man muss aber kein Mediziner sein, um zumindest die Kernbotschaften zu kennen, wenn man professionell in diesem Bereich arbeitet. Viele verstehen aber nicht einmal den Unterschied zwischen Antikörper-positiv und chronisch infiziert, also ob ein Patient Kontakt mit dem Hepatitis-Virus hatte oder tatsächlich auch erkrankt ist. Aber auch was die Therapie selbst angeht – Ablauf, Wirkungsweise und Nebenwirkungen –, sind viele Mitarbeiter in Drogeneinrichtungen nicht auf dem aktuellen Stand. Man kann von Sozialarbeitern ja auch nicht verlangen, dass sie über intensive Kenntnisse aus diesem medizinischen Bereich verfügen. Umso wichtiger ist es, dass einfache, verständliche Kernbotschaften formuliert und kommuniziert werden, so wie dies ja auch bei der HIV-Prävention erfolgreich gemacht wird oder aktuell zur Meningokokken-Impfung in Berlin.
Welche konkreten Folgen haben diese eklatanten Defizite?
Sie schlagen sich etwa in einer katastrophalen Impfquote nieder. Das hat ganz deutlich die Berliner DRUCK-Studie zu Drogen und chronischen Krankheiten gezeigt. 20 Prozent der befragten Drogengebraucher hatten bereits eine Hepatitis D durchgemacht, also ein enormer Anteil. 70 Prozent aller Befragten waren jedoch nicht geimpft, obwohl sie dafür eine Indikation hatten. Die Hälfte aller Befragten wurden substituiert, das heißt: Ihre behandelnden Ärzte hatten sie nicht auf die Impfung hingewiesen. Hier muss also ganz dringend etwas getan werden.
Neben Migranten, Drogengebrauchern und Männern, die Sex mit Männern haben, sind Menschen in Haft eine der wichtigsten Zielgruppen des Hepatitis-Aktionsplanes. Was die Präventionsarbeit angeht, so erscheinen Gefängnisse tatsächlich wie Festungen. Wo muss hier angesetzt werden, um etwas zu verändern?
Darüber haben wir in den vergangenen Jahren intensiv nachgedacht. Spritzentausch im Strafvollzug ist ein politisches und damit ideologisches Thema, bei dem wir möglicherweise so schnell nichts bewegen können. Wir können allerdings noch weit mehr tun. Nicht jede Haftprävention etwa muss in Haft stattfinden, man kann auch im Vorfeld schon einiges tun. So können wir zum Beispiel dafür sorgen, dass Menschen bereits vor dem Haftantritt geimpft und auch darüber informiert werden, was sie im Gefängnis erwartet. Es gilt daher, sich genau die jeweiligen Bedingungen vor Ort anzuschauen, wo man ansetzen kann, um ganz konkret etwas zu verändern. Es kann beispielsweise schon ein Fortschritt sein, wenn das Gefängnispersonal das Hygieneverhalten thematisiert.
Welche Hürden gilt es nun vor allem zu überwinden, um aus dem Plan auch Wirklichkeit werden zu lassen?
Dazu gehören ganz sicher die finanziellen Ressourcen und die Entscheidung darüber, wer welchen Anteil an den Kosten übernimmt. Es kann allerdings keine Lösung sein, die Hepatitis-Prävention lediglich in die HIV-Arbeit zu integrieren. HCV betrifft zwar viele der großen HIV-Hauptrisikogruppen, aber auch noch weitere darüber hinaus. Wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass keine Panikstimmung entsteht, wie man sie vor 30 Jahren bei HIV und Aids erlebt hat. Der Aktionsplan sieht daher vor, die Gesellschaft in ganzer Breite über Hepatitis zu informieren – gerade auch, um keine Panik entstehen zu lassen und einer Stigmatisierung vorzubeugen.
Wozu wird das Geld unter anderem benötigt?
Zum Beispiel, um den niedrigschwelligen Hepatitis-Schnelltest nicht nur in drogenspezifischen Einrichtungen, sondern flächendeckend im öffentlichen Gesundheitsdienst anbieten zu können.
Das heißt, auf die Kommunen kämen entsprechende Ausgaben zu.
Natürlich kostet das Geld. Wenn kommendes Jahr eine neue Generation von Medikamenten auf den Markt kommt und Hepatitis C damit zu fast 100 Prozent heilbar ist, könnte man theoretisch alle Infizierten mit einer nahezu 100-prozentigen Heilungschance therapieren – und damit die Infektion bei uns flächendeckend beseitigen. Allerdings zu einem hohen Preis: Die Kosten für eine Therapie betragen rund 60.000 bis 70.000 Euro. Man müsste also schon ein paar Milliarden Euro dafür in die Hand nehmen, um die rund 400.000 bis 500.000 Hepatitis-C-Infizierten in Deutschland zu therapieren. Und jedes Jahr gibt es 5000 bis 6000 neue HCV-Meldungen. Ökonomisch ist das kaum zu stemmen. Umso wichtiger ist deshalb die Prävention, denn jede verhinderte Infektion vermeidet Therapiekosten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Pressemitteilung zum „Aktionsplan für eine nationale Strategie gegen Virushepatitis“