Er war von 1990 bis 1993 Mitglied im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe und gilt als Erfinder der „strukturellen Prävention“. Nach ihm ist ein Preis benannt, mit dem die DAH Persönlichkeiten oder Projekte auszeichnet, die dieses Konzept mit Leben gefüllt haben. Bernd Aretz erinnert an Hans Peter Hauschild, der vor zehn Jahren an den Folgen von Aids verstorben ist.
Dr. Hans Peter Hauschild starb am 4. August 2003, gerade mal 48 Jahre alt. Er hat Behindertenpädagogik studiert und als Kulturwissenschaftler zu Marienwallfahrten promoviert. Als Student gründete er einen Freizeitverein und eine Wohngemeinschaft zur Begegnung und zum Zusammenleben von Menschen mit und ohne geistige Behinderung. Daraus entwickelte sich ein Haus der Caritas, dessen Leitung ihm übertragen wurde und in dem er dann mit Ehefrau, Tochter und Liebhaber traulich vereint lebte.
Kompromisse waren seine Sache nicht
Doch das war von kurzer Dauer, weil für das Bistum Mainz nicht hinnehmbar war, dass der verheiratete schwule Mann sein verzwicktes Familienleben öffentlich unter dem Dach der Kirche zelebrierte. Kompromisse waren seine Sache nicht – seinem Umfeld forderte er ein gerüttelt Maß an Toleranz ab. Da blieb auch manch ein verletztes Herz am Wegesrand.
Anfang der achtziger Jahre brach Aids in die schwule Welt ein. Die Krankheit wurde aber auch Prostituierten und Menschen mit anderer Hautfarbe zugeschrieben und vergrößerte die Not der intravenös Drogen Gebrauchenden. Hans Peter Hauschild gehörte 1984 zu den ersten, die in Frankfurt HIV-positiv getestet wurden. Das sollte für die nächsten Jahre sein Leben bestimmen. Er gründete die AIDS-Hilfe Frankfurt mit, wurde ihr Geschäftsführer und engagierte sich später im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe. Das waren die äußeren Stationen.
Strategisch schmiedete er die „Allianz der Schmuddelkinder“, also der Menschen, die von HIV tatsächlich oder durch Zuschreibung bedroht waren: Männer liebende Männer, Stricher und Huren, Junkies, Ausländer. Inhaltlich verfolgte er das Konzept der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach Gesundheit Rahmenbedingungen voraussetzt, die es den Einzelnen ermöglichen, ihre gesund erhaltenden Potenziale selbstbestimmt zu nutzen. Er nannte das „strukturelle Prävention“.
Grenzüberschreitung, Lustpassionen und Aidshilfe als Agentur zur Glückserlangung
Im Diskurs mit Gesundheitswissenschaft, Sexualforschung, Soziologie und Medizin stritt er für Aufklärung, Solidarität und Hilfe statt Verboten. Es ging um die Erhaltung der Orte der Lust – Saunen und Darkrooms –, die Abschaffung des § 175 StGB, um einen würdigen Umgang mit Drogengebrauchern, also Zugang zu sauberem Spritzbesteck – auch in Haft –, Kontaktcafés und Drogenkonsumräume, Substitution und Beendigung des fruchtlosen Krieges gegen Drogen. Für die Sexarbeit brauchte es rechtlich abgesicherte Rahmenbedingungen, für Flüchtlinge in Deutschland Sicherheit und eine Perspektive.
Um das zu erreichen, verfasste Hans Peter Hauschild Papiere, die nicht nur ob ihrer gelegentlich sehr schwer verständlichen Sprache zum Widerspruch reizten. In seinen Texten ging es um Grenzüberschreitung, Lustpassionen und Aidshilfe als Agentur zur Erlangung des Glücks. Auf den jährlichen Konferenzen zur Bewertung der HIV-Prävention musste Sexualwissenschaftler Martin Dannecker immer wieder auf die Bandbreite homosexueller Lebenswelten hinweisen. Nicht jeder konnte wie Hans Peter das Virus als Bereicherung, als unerlässliches Element zur Glückserlangung ansehen.
Doch jenseits der Sinnfragen gab es eine pragmatische Ebene, auf der man wieder zusammenkam. Das fing in seiner ersten DAH-Vorstandsperiode mit der im Vorfeld besprochenen Kleiderwahl für den Antrittsbesuch bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an. Guido Vael erschien im Anzug mit Krawatte, Hans Peter in engster Lederhose, deren Reißverschluss vom Bauchnabel bis zur Wirbelsäule reichte. Damit wurde die Zugehörigkeit zu unterschiedlichsten Szenen sinnlich erfahrbar. Anbiederung an erwartete Verhaltensweisen, Verschleierung der Lebensweise schien kein gangbarer Weg.
Er war gern Leitfigur – und irritierte auch immer wieder
So wurde der erste Besuch bei der BZgA-Direktorin Frau Dr. Pott zu einer Standortbestimmung: dass die DAH das Recht auf Rausch und Leidenschaft verteidigen, die Lebensbedingungen verbessern und die gesund erhaltenden Potenziale der Beteiligten fördern wollte. In einem kleinen Disput mit Frau Dr. Pott, die das dann doch sehr weitgehend fand, verdeutlichte Hans Peter, dass er nur in anderen Worten schildere, was in der Ottawa Charta der WHO festgeschrieben sei. Schon bei dieser Gelegenheit wurde klar, dass im politischen Raum nicht alles, was die Wissenschaft für richtig erkannt hat, in der Praxis umsetzbar ist.
Für ihn war klar, dass der Abbau von Ängsten und Vorurteilen nur in der Begegnung stattfinden kann. Aids hat ein Gesicht, und das zeigte er auf Tagungen, Kongressen, in den Medien und auf dem DAH-Plakat „schwule Solidarität – schwule Vielfalt“. So trug er dazu bei, dass immer mehr Frauen und Männer sich trauten, im geschützten Kreis, im privaten Umfeld, am Arbeitsplatz oder auch in der Gesellschaft ihre Infektion zu offenbaren.
Zu seinen Grundüberzeugungen gehörte, dass kollektive Biografiebrüche in der Gruppe leichter zu bearbeiten sind und Erkenntnisse und Strategien sich besser im Diskurs entwickeln, auch wenn er gern die Leitfigur war. Seinen Anspruch, Vordenker zu sein, machte er zum Leidwesen seiner Vorstandskollegen und der DAH gelegentlich durch nicht abgesprochene Ankündigungen an die Medien deutlich. Da musste im Nachhinein manches geglättet und relativiert werden. Seine Idee, einen öffentlichen Trauertempel mit angeschlossenem Dunkelraum zu schaffen, irritierte schon ziemlich. Und es gab auch eine Presseerklärung einer Aidshilfe, die sich vom DAH-Vorstand distanzierte und deutlich machen wollte, dass es auch „anständige“, sozusagen staatstragende Vereine in der Bewegung gab.
Hans Peter wandte sich gegen die Normierung der Sexualität. „Als wenn das beliebig wäre, was wir sexuell geworden sind! Das, worauf wir abfahren, ist die Handschrift unserer Seele. Bei jedem ist das eine ausgesprochen persönliche Sache. Nichts davon ist zufällig oder marottenhaft“, wetterte er in der Frankfurter Regenbogenpost gegen eine Safer-Sex-Party, auf der selbst das Küssen verboten war, von anderem ganz zu schweigen. Damit erteilte er jenen eine Absage, die die Sexualität dem Schutz vor Krankheitserregen unterordnen wollten. Natürlich gibt es auch ein Recht, sich gesundheitlichen Risiken auszusetzen.
Der Aidshilfe-Bewegung hat er nachhaltig seinen Stempel aufgedrückt
Für ihn stand außer Frage, dass der Wert einer Gesellschaft sich danach bemisst, wie sie mit den Schwächsten umgeht und welche Beteiligungsmöglichkeiten sie ihnen einräumt. Und er kämpfte dafür, auch den Schwächsten Verantwortung für sich selbst zuzutrauen.
Hans Peters Methoden waren vielseitig: Chöre auf Demos – von Spöttern gern als „Studio für experimentelle Musik“ kommentiert –, Veröffentlichungen, Präsenz in unterschiedlichsten Szenen: ob im Lederclub oder im Kirchenchor, im privaten Gespräch, in Arbeitsgruppen oder in der öffentlichen Diskussion.
Er hat der Aidshilfe-Bewegung nachhaltig seinen Stempel aufgedrückt. Danach war es für ihn konsequent, sich unter dem Dach der kirchlichen Friedensbewegung bei Pax Christi zu engagieren. Pax Christi Berlin unterhält für Flüchtlinge eine Beratungsstelle für humanitäre Härtefälle und schließt dabei auch Huren, Junkies oder Straftäter nicht von der Hilfe zu einem legalen Aufenthalt aus. Die „Allianz der Schmuddelkinder“ war ein Lebensthema für ihn, und dazuzugehören ein Mosaikstein des Glücks.
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