Die vertane Chance auf Patienten einzuwirken – was Patienten wirklich wollen

Als Patient geht man zum Arzt, wenn es wirklich gar nicht mehr geht. Man schildert die Symptome, lässt vielleicht eine schnelle Untersuchung über sich ergehen, erhält ein Rezept und verlässt die Praxis. Man schluckt brav seine verordneten Pillen, und hofft im Stillen, dass es bald besser wird. Und dass nicht bald schon die nächste Krankheit über einen hereinbricht. Niemand würde von einem Arzt in der Allgemeinpraxis heute mehr erwarten, als die Untersuchung und die Verschreibung. Vielfach wäre aber deutlich mehr nötig – wenn das aber angeboten wird, wird es höchst selten angenommen und geschätzt. Warum ist das so?

Was Patienten heute wollen – und was sie brauchen würden

Viele Ärzte, die auch in alternativen Therapiemethoden ausgebildet sind, und dabei eine Allgemeinpraxis betreiben, klagen häufig darüber, dass Patienten solche alternativen Angebote oft rundheraus ablehnen. Sie bestehen förmlich darauf, ohne Aufhebens ihr Rezept zu bekommen, und damit die Praxis wieder zu verlassen. Im Grunde ist das die Folge des sehr mechanistischen und technisch orientierten Weltbildes, dass die Medizin lange Zeit sehr vehement vertreten hat. Erst in jüngster Zeit werden auch immer mehr die “psychosomatischen” Einflüsse bei Krankheiten, die Auswirkungen eines bestimmten Lebensstils und Lebenswandels und die Auswirkungen der psychischen Verfassung eines Patienten und seiner emotionalen Problembereiche in die Forschung ernsthaft mit einbezogen. Hier liegt aber noch ein weiter Weg vor der Medizin, und wenn sich die bislang gemachten Erkenntnisse der Wissenschaft schon bis zu einigen Ärzten durchgesprochen haben – die Patienten haben sie noch nicht erreicht.

Selbstverantwortung ist tabu – und wird ängstlich abgelehnt

Oft hört man es schon an der Art der Symptombeschreibung – Patienten empfinden ihren Körper oftmals als etwas völlig Fremdes, Mechanisches, das plötzlich nicht mehr so funktioniert, wie es soll – und das man deshalb zum Arzt schleift, damit er’s wieder richtet, wie das Auto in die Werkstatt. Gut, die Schulmedizin hat dieses mechanistische Bild lange genug auch noch gefördert – aber nun ist ein echtes Umdenken erforderlich. Wir stehen vor immer mehr Krankheiten in der täglichen Praxis, die eigentlich ganz ursächlich und direkt auf den Lebensstil des Patienten zurückzuführen sind. Und das geht weit über die Typ-II-Diabetes hinaus. Dem muss man Rechnung tragen – und den Patienten viel mehr Selbstverantwortung auferlegen. Der “Mach das wieder ganz”-Ansatz reicht heute nicht mehr, weil er viel zu oft wirkungslos bleibt. Man muss Patienten auf vorsichtigem Weg vor allem wieder dazu bringen, dass sie sich selbst wieder wahrnehmen, dass sie überhaupt merken, was Ihnen gut tut, und was nicht. Auch wenn viele in dieser Art der intensiven Selbstwahrnehmung eine Gefahr der möglichen Hypochondrie sehen, ist es doch der einzige Weg, der bleibt um aus den immer mehr werdenden Zivilisationskrankheiten unserer Zeit herauszufinden. Als Arzt ist das aber schwierig, die Verweigerungshaltung der Patienten ist oft eisern. Aufgeben sollte man aber trotzdem nicht.

Die vertane Chance der Vergangenheit

Ganz zu Anfang der Medizin für alle und der staatlich gelenkten Gesundheitsvorsorge hätte die Möglichkeit bestanden, diese Selbstverantwortung gezielt in die Behandlungskonzepte mit hinein zu nehmen, aber damals bestand das umfangreiche Wissen noch nicht, das wir heute haben. Der technische Allmachtsanspruch “Wir richten das schon wieder, schluck du nur brav deine Pillen” hat die Patienten schnell verstummen lassen – und eben brav und still ihre Pillen schlucken. Wenn wir heute etwas anderes von ihnen erwarten, müssen wir ihnen auch entsprechend Zeit lassen – und Hilfestellungen geben.

Neue Wege brauchen Zeit

Menschen sind Gewohnheitstiere – und dass sich etwas verändert hat, nehmen sie erst dann wahr, wenn sie keine andere Möglichkeit sehen, als sich selbst auch zu verändern. Die Schulmedizin – und mithin jeder Arzt – hat heute die Verpflichtung, so viel wie möglich sanften Druck zu schaffen, dass jeder Patient auch seinen Teil der Verantwortung tatsächlich wahrnimmt, und jeder Arzt sollte dafür auch Hilfestellungen anbieten, wenn es dem Patienten schwer fällt, das anzunehmen. Bessere Wege brauchen einfach ihre Zeit, bis sie sich durchsetzen.

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