In der Debatte um das russische Anti-Homosexuellen-Gesetz gibt es derzeit wenig Hoffnung auf ein freiwilliges Einlenken des Olympia-Gastgeberlandes. Dafür regt sich immer mehr Protest, auch hierzulande: in Form von Online-Petitionen und einer zentralen Demonstration, mit Kiss-Ins – und Penissen für Putin. Von Axel Schock
Für eine kurze Weile schien es, als ob die internationale Sportwelt sich demonstrativ solidarisch zeigen würde. Das umstrittene russische Gesetz, das schwammig formuliert „Propaganda für Homosexualität“ verbietet und damit jegliche öffentliche positive Erwähnung von Lesben und Schwulen unter Strafe stellt, ist ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte. Das sehen nicht nur Homosexuelle so, sondern auch deren Sympathisanten. Wie etwa der US-Sportler Nick Symmonds. Er widmete bei der Leichtathletik-WM in Moskau seine Silbermedaille seinen schwulen und lesbischen Freunden: „Egal ob du schwul, hetero, schwarz oder weiß bist: Wir alle verdienen dieselben Rechte.“
Die Schwedinnen Emma Green-Tregaro und Moa Hjelmer waren in den WM-Qualifikationsrunden mit Fingernägeln an den Start gegangen, die in den Farben des Regenbogens lackiert waren. Ein sehr dezentes Zeichen der Solidarität und des Protestes, könnte man meinen. Vom Leichtathletik-Weltverband IAAF wurde Green-Tregaro dennoch dafür gerügt und ihre bunten Nägel als ungebührliches Verhalten gewertet.
Die russische Weltmeisterin Jelena Issinbajewa formulierte die Kritik weitaus drastischer. Den farbenfrohen Nagellack bezeichnete sie als “nicht respektvoll gegenüber unseren Menschen und Sportlern. Wir sind Russen, wir sind vielleicht anders als die Europäer, aber wir setzen unsere Regeln nicht über ihre. Ich unterstütze unsere Regierung.” Und damit auch das umstrittene Gesetz gegen Homosexuelle. “Wenn wir all diese Dinge auf unseren Straßen zulassen, würden wir Angst um unsere Nation haben.” Diese unverhohlene Homophobie war für IAAF kein Anlass für eine Rüge.
Maulkorb für homofreundliche Sportler
Eines ist jetzt schon klar: Von den Sportverbänden und dem Olympischen Komitee ist nicht mehr viel Protest zu erwarten. Im Gegenteil. Sie haben – dezent, aber deutlich formuliert – allen Sportlerinnen und Sportlern einen Maulkorb verpasst.
Während sich solidarisch zeigende Athleten – ganz gleich ob schwul, lesbisch oder hetero – in Russland nunmehr rechnen müssen, von den Wettkämpfen ausgeschlossen oder gar verklagt zu werden, und Russlands Schwule und Lesben mit wachsenden Repressionen leben müssen, haben wir alle Möglichkeiten des Protests.
Und tatsächlich entstehen jeden Tag neue, kreative Aktionen unterschiedlichster Art, bei denen Menschen sich mit den Schwulen und Lesben in Russland solidarisieren und gegen das „Propaganda-Gesetz“ protestieren.
In Stockholm etwa haben Unbekannte den Zebrastreifen vor der Russischen Botschaft in den Farben des Regenbogens bemalt. Viele Schwulenbars in den USA haben vor einigen Wochen bereits als Zeichen des Protestes russischen Wodka von ihren Getränkekarten gestrichen. Inzwischen sind auch Lokale in anderen Ländern diesem Beispiel gefolgt.
Wer statt mit Hochprozentigem lieber mit seiner Unterschrift aktiv werden möchte, kann dies bei der Online-Petition „Beendet die Unterdrückung der LGBT-Community in Russland“ tun. Der Berliner Senat wird darin aufgefordert, die Städtepartnerschaft mit Moskau auszusetzen.
Mehr als 350.000 Menschen haben bereits eine internationale Protestnote an die Adresse der russischen Regierung unterzeichnet. Eine weitere Petition fordert den Deutschen Olympischen Sportbund auf ein deutliches Zeichen gegen Homophobie in Russland zu setzen.
Etwas eigenwilliger wird in der Facebook-Gruppe „LGBT against Putin“ protestiert: Hier zeigt man den Verantwortlichen in Russland kollektiv den Stinkefinger. Und bei „Draw dicks on Vladimir Putin“ wird Putin auf kreative Weise und durch massiven Einsatz von Photoshop als Schwanz- und Männerliebhaber enttarnt.
„Open your Mouth“ – Demo in Berlin
Die lebensbedrohliche Situation der Schwulen, Lesben, Trans- und Intersexuellen in Russland war vor knapp drei Wochen auch Gesprächsthema bei einem Spieleabend einer Berliner Freundesclique. „Da sagte jemand von uns: ‚Wenn ich bloß etwas unternehmen könnte …’ Und da war die Idee geboren: Wir organisieren ne Demonstration!“, erzählt Alfonso Pantisano. „Am nächsten Morgen haben wir mit der Planung begonnen.“ „Enough is enough – Open your Mouth“ lautet das Motto dieser Demonstration, zu der Menschen aus ganz Deutschland erwartet werden.
Anfangs haben Alfonso und seine Freunde mit vielleicht 200 bis 300 Teilnehmern gerechnet. Sicherheitshalber gaben sie bei der Demoanmeldung 2000 an. Wie es scheint, dürften sich am Samstag, den 31. August sogar weit mehr Leute am Kurfürstendamm/ Ecke Bleibtreustraße versammeln, um ab 12 Uhr gemeinsam vor die Russische Botschaft Unter den Linden zu ziehen. Die bisherige Resonanz auf die Protestkundgebung hat das Team um Alfonso völlig überrascht. „Wir bekommen täglich Emails und Anrufe von Menschen aus ganz Deutschland, die uns unterstützen wollen. Sie spenden dem Projekt Geld, damit wir die Kosten für eine gut organisierte Demonstration tragen können. Wenn Gelder übrig bleiben, dann werden wir diese an LGBT-Projekte nach Russland schicken. Die Energie, die aus diesem Projekt durch die Community geht, überwältigt uns!“
Auch die Drag Queen Barbie Breakout, die vor kurzem mit ihrem schockierenden Protestvideo (sie nähte sich den Mund zu) für bundesweites Aufsehen gesorgt hatte, ist an den Planungen beteiligt.
„Viele von uns opfern gerade ihren Jahresurlaub für die Organisation unserer Demonstration. Wir fangen morgens um 7.30 Uhr an und beenden den Tag gegen Mitternacht. Oft vergessen wir, dass wir zwischendurch vielleicht was essen sollten. Es ist Wahnsinn!“, erzählt Alfonso begeistert. Auf der Internetseite zu „Enough is enough“ gibt es übrigens ein Videoaufruf, der über die sozialen Medien geteilt werden darf als auch Banner und Profilbilder für Facebook und Gayromeo.
Am 8. September wird die Russische Botschaft in Berlin noch einmal unerwünschten Besuch bekommen, und zeitgleich alle anderen russischen Botschaften und Konsulate des Landes rund um den Globus. Also auch in Berlin, Bonn, Frankfurt, Hamburg und München. „To Russia With Love“ heißt dieser im Netz organisierte globale Kiss-In. Punkt 15 Uhr wird dann hoffentlich in Scharen vor den Botschaften geknutscht. In Russland wäre dies sehr sicher Anlass für eine Massenverhaftung