Ich habe jetzt ein Ziel.
Ich fahre los.
Vom See aus fahre ich zunächst durch eine Art Schlucht ins weite Haupttal in die kleine Stadt.
Kuriosum am Rande: der örtliche Bahnhof ist der einzige Bahnhof im Lande, an dem sich drei Bahnlinien mit drei verschiedenen Spurweiten treffen.
Ich halte mich aber gar nicht auf, überquere den Fluß und dahinter geht’s durch einen Tunnel ins nächste Seitental.
In meiner Phantasie hätte ich dieses Tal für eines von der wildromantischen Sorte gehalten, aber ich bin enttäuscht: Es ist eher breit und langweilig mit einer breiten und gut ausgebauten Straße darin (und einer parallell verlaufenden Bimmelbahn), und ich komme schnell voran.
Dann biege ich ab.
Hier beginnt die Passtraße.
Gleich nach den ersten Kehren komme ich an einer Kirche vorbei. Weiter geht’s, die Straße schraubt sich durch den Wald an einem Seitental entlang, unten in der Tiefe rauscht der Bach und oben… oben sind Berge, die immer höher werden, manche sind sogar noch schneebedeckt.
Dann kommt ein Ort, dann eine Staumauer samt zugehörigem Stausee und dann… mache ich einen Fehler: ich will Pause machen. Ich einem Hinweisschild zu einem vermeintlichen Dorf.
Das Dorf aber ist eine mausetote Geisterstadt – ich fühle mich wie in einem Goldgräbernest im Wilden Westen, nachdem die Karawane weiter gezogen ist.
Hier wird nur im Winter nach Gold schürft – solange der Schnee liegt, werden Skitouristen gemolken, im Sommer hingegen ist der Hund begraben.
Zurück auf die Hauptstraße.
Plötzlich finde ich mich vor einer Schranke wieder.
Eine Zollstation?
Nein, eine Mautstelle.
Also: Rückwärtsgang eingelegt und eine gekonnte Hundertachtziggradwende vollzogen. Ich bin doch nicht blöd!
Interessante Landschaft übrigens: Eine Art Hochmoor, auf tausendfünfhundert Höhenmetern.
Die alte Paßstraße ist mautfrei und enger als mancher Forstweg – eher für Geländewagen geeignet als für tiefergelegte Sportwagenladys, manchmal taste ich mich mit Schrittgeschwindigkeit voran und einmal ist die halbe Straße weggerutscht, zwei Zentimeter jenseits der Beifahrertür geht es ein paar hundert Meter in die Tiefe…
Ich komme dennoch heile auf die andere Seite.
Dort wartet ein landschaftlicher Höhepunkt auf mich: ein Wasserfall – und zwar einer von der größeren Sorte. Genau genommen sind es sogar mehrere Wasserfälle und jeder einzelne von denen ist sehenswert. Über einen uralten Pfad, über den schon mittelalterliche Kaufleute und römische Legionäre gewandert sind führt durch den Wald, gigantisch steil, immer im Zickzack, und ich schnaufe bald wie eine Dampflokomotive und dann… endlich stehe ich am… äh… wie nennt man das jetzt?
Das obere Ende des Wasserfalls?
Der Anfang?
Also halt… Ihr wisst schon… der Punkt jedenfalls, von wo aus das Wasser anfängt, runterzufallen.
Schaut schon gigantisch aus, so’n Wasserfall von oben!
Das Wasser stiebt unter mir davon und regenbögt… oder wie sagt man jetzt? Also es glitzert und funkelt so und wenn ich jetzt ein römischer Dichter wäre… oder ein mittelalterlicher… und meine Harfe dabei hätte… oder meine Minnesängerausrüstung… dann würde ich jetzt was furchtbar schnulziges von mir geben, aber lassen wir das lieber!
Hier oben fängt übrigens ein ganz sanftes Hochtal an mit einem gemütlichen Weg, über welchen seinerzeit die mittelalterlichen Kaufleute…. und vorher die Römer… aber ich wiederhole mich.
Jedenfalls wandere ich wieder hinunter, gönne mir in der Touristenabfütterungsstation am Fuße des Wasserfalls eine Kräuterlimonade…
Gibt’s hier Wlan?
Nee, gibt’s nicht!
Und wo…?
Zehn Kilometer von hier, im übernächsten Dorf gibt’s ein Internetcafe…
Zurück zur Lady, zurück ans Lenkrad und Gas gegeben.
Das Internetcafe ist eine Bäckerei mit einem großen Schild “Internet!!!” mit drei Ausrufezeichen im Schaufenster und das Internet besteht aus einem exzellenten Espresso und einem rostig-rumpeligen PC mit hüpfender Maus, der aber immerhin in der Lage ist, mir eine Unterkunft zu organisieren… ich habe noch ein gutes Stück Weg vor mir!
Durch ein wunderschönes, grünes, weites Tal, durch welches sich auch wieder ein Schmalspurbähnchen schlängelt… dann ein enges, wildromantisches Tal mit richtiger Schnellzugeisenbahn… dann ein kurzer Hupfer auf die Autobahn um eine kaum merkbare Passhöhe zu überqueren… und ein weiteres, breites Tal in der Abenddämmerung.
Die Luft schmeckt nach Freiheit und Abenteuer.
Das Leben ist ein Road-Movie.
Ich folge einfach weiter diesem Tal, das meistens breit und flach – manchmal aber auch dann wieder enger und welliger ist und im letzten Tageslicht erreiche ich mein Nachtquartier.
Es handelt sich um einen rustikalen Landgasthof am Tümpelsee.
Gibt’s hier noch was zu essen für hungrige Cowboys?
Die Pizzeria am Tümpelsee ist noch geöffnet… aber da wird geraucht… also gut, dann halt nur noch ein kleiner Spaziergang zum Tümpelsee… dessen Ufer ist auf der einen Seite von einer Badeanstalt in Beschlag genommen und an der Rückseite ist ein Campingplatz und ein bewaldeter Hügel – oder kleiner Berg – der dieses Tümpelseetälchen vom eigentlichen Haupt-Tal abtrennt… aber inzwischen ist es schon ziemlich dunkel…
Egal. Morgen ist auch noch ein Tag!