Medizinstudium in Deutschland: Der Weg zum Arzt

Warum die Zugangsvoraussetzungen zum Medizinstudium geändert werden müssen und der Ärztemangel eine ganz natürliche Entwicklung ist

Lara Ilona Schneider

Lara Ilona Schneider

Ich bin 22 und studiere im sechsten Semester Humanmedizin – anders als die kritische Einleitung dieses Textes vermuten lässt, gehöre ich also nicht zu den ewig wartenden Abiturienten, die trotz „schlechter“ Abschlussnote Mediziner werden wollen. Trotzdem, obwohl oder gerade weil ich klar zu den Profiteuren der momentanen Zulassungsregelungen gehöre, soll dieser Text aus Studentensicht erklären, warum über neue Verfahren nachgedacht werden muss. Und dies auch in Hinblick auf den viel beschriebenen Ärztemangel.


Die Vergaberegelung für Studienplätze

In Deutschland werden die Studienplätze für Medizin auf drei Gruppen verteilt. Die 20% mit den besten Abiturnoten erhalten direkt einen Studienplatz – wobei eine Abiturnote von 1,0 in Hessen an eine 1,1, in Bayern nicht unbedingt herankommen kann, da die Abschlussnoten je nach Bundesland anders gewichtet werden. Die nächsten 20% der Studienplätze werden nach Wartesemestern vergeben – wer bereit ist, sechs Jahre zu warten, erhält garantiert einen Studienplatz. 
Soweit die gute Nachricht. Leider darf man in dieser Zeit an keiner Universität immatrikuliert sein, weswegen viele Wartende eine Ausbildung, beispielsweise als Krankenschwester, MTA oder Rettungsassistent, absolvieren.
 Die verbliebenen 60% der Medizinplätze werden schließlich nach hochschulspezifischen Regeln vergeben. So manche Universität macht es sich einfach und verfährt weiterhin nach dem Besten-Ranking. Andere beziehen Leistungskurse, Berufserfahrung oder den „Medizinertest“ in die Bewertung mit ein. 
Unter dem Strich bleibt also übrig: Abiturnote oder jahrelanges Warten.

Wer bekommt denn nun einen der begehrten Studienplätze?

Der typische Medizinstudent ist nach dem Durchlaufen obigen Vergabesystems weiblich, hat ein Abitur zwischen 1,5 und 0,8 (ja, auch das gibt es) und mindestens eine Ärztin oder einen Arzt im engeren Familienkreis.
Die Zahl der männlichen Medizinstudenten nimmt dagegen stetig ab. Als ich mein Studium begonnen habe, waren bereits zwei Drittel der Erstsemester weiblich. Die Erklärung dahinter erscheint einfach: Das deutsche Schulsystem macht es Mädchen und jungen Frauen wohl einfacher, sehr gute Noten zu erhalten. Rückblickend muss ich sagen, dass in meiner gymnasialen Oberstufe vor allem das weibliche Geschlecht die wirklich guten Noten einfuhr – lassen wir mal Sport, Physik und Mathe außen vor. Es ist meine ganz persönliche Erfahrung, dass Mädchen in Sprachen, musisch-künstlerischen Fächern und Geisteswissenschaften zumindest im Teenageralter klar bessere Noten erhalten. Vielleicht legen sie in dieser Entwicklungsphase mehr Fleiß an den Tag oder sie haben einfach mehr Freude an diesen Fächern und beschäftigen sich intensiver damit.
 Es bleibt festzustellen: Um ein wirklich gutes Abitur zu erhalten, muss man in allen Fächern überdurchschnittlich sein – und das ist für junge Männer oftmals (aus welchen Gründen auch immer) schwerer als für Frauen.

An eine Gegebenheit aus einer meiner ersten Vorlesungen kann ich mich noch gut erinnern: All diejenigen sollten in Hand heben, in deren Familie mindestens eine Ärztin oder einen Arzt anzutreffen sei. Fast jeder meiner Kommilitonen hob seine Hand, viele hätten sogar beide heben müssen. 
Vielleicht ist mir dieses Bild so lebendig vor Augen geblieben, weil ich selbst meine Hand nicht gehoben habe. Dass Kinder aus Akademikerfamilien vermehrt selbst studieren, war mir klar. Aber diese Häufung von Familien in ein und demselben Fachgebiet wunderte mich schon sehr. 
Vielleicht liegt es ganz einfach an der Unterstützung und Ermutigung aus dem Elternhaus? Immerhin dauert so ein Medizinstudium mindestens sechs Jahre. Vielleicht aber sind Ärztekinder so stark im ärztlichen Umfeld verwurzelt, dass auch sie sich nur ein solches Leben vorstellen können? Ich möchte es hoffen…


Der Ärztemangel in Deutschland


Jedes Jahr nehmen über 10.000 junge Menschen ein Medizinstudium auf und müssen sich dabei gegen vier bis fünf andere Bewerber durchsetzen. Diese Zahl ist in den vergangenen Jahren relativ konstant geblieben – ebenso die Zahl der Absolventen. 
Trotzdem gibt es, traut man den Medien, immer weniger Ärztinnen und Ärzte. Der Grund liegt wohl bei den Absolventen selbst. Viele möchten sie sich nicht mit der hohen Arbeitsbelastung in deutschen Krankenhäusern zufrieden geben. Sicherlich ist die Bezahlung in Deutschland per se nicht schlecht – bricht man sie aber auf die Arbeitszeit und die Verantwortung herunter, so ist sie alles andere als angemessen. 
Folglich finden immer mehr deutsche Ärztinnen und Ärzte den Weg in ausländische Kliniken mit angenehmeren Arbeitszeiten, weniger Leistungsdruck und besserer Bezahlung. 
Oder sie lassen den Arztberuf komplett hinter sich. Ein junger Mediziner ist ausdauernd, stresserprobt und belastbar – diese Fähigkeiten werden auch in anderen Branchen wie Industrie und Forschung gerne gesehen.

Jene Entwicklung wird gerade auch durch die Zugangsregelungen provoziert. Ein junger Mensch mit Einser-Abitur und abgeschlossenem Medizinstudium hat sich als äußerst ehrgeizig und fleißig erwiesen und möchte nicht selten Karriere machen. Wenn dies im Krankenhaus oder in der Praxis nicht möglich ist, werden andere Optionen in Betracht gezogen – und die gibt es reichlich.
 Anders ist es bei denen, die auf ihren Studienplatz gewartet haben und mittlerweile examinierte Krankenschwester oder Pfleger geworden sind. Diese – zugegebenermaßen auch älteren – Studenten, wissen sehr viel genauer, auf was sie sich einlassen und entscheiden sich sehr bewusst für das Medizinstudium. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass für diese Absolventen viel seltener ein Wechsel in eine andere Sparte in Betracht kommt.

Spätestens jetzt stellt sich die Frage, ob die deutschen Zulassungskriterien eigentlich das hervorbringen, was sie hervorbringen sollen: Ärztinnen und Ärzte. Ist es in Anbetracht des Ärztemangels nicht notwendig, andere Regelungen als die Abiturnote für die Studienplatzvergabe zu finden?

Leider sind die momentanen Vergaberegelungen relativ gut darin, etwas anderes zu garantieren: den Studienerfolg. Einser-Abiturienten sind in der Lage, bessere Studienleistungen und einen Abschluss in Regelstudienzeit zu erreichen. Die Gründe liegen auf der Hand: Wer ein Einser-Abitur hat, hat bereits viel Fleiß gezeigt, den er sich auch im Studium bewahren wird. Weiterhin sind viele (naturwissenschaftliche) Grundlagen aus dem Schulunterricht viel präsenter als nach mehrjähriger Wartezeit. 
Berechtigterweise darf man dagegenhalten, dass ausgebildete Krankenschwestern und 
–pfleger bereits wertvolle Erfahrungen im Klinikalltag gesammelt haben und ihr Patientenumgang souveräner ist. Doch diese Fähigkeiten lassen sich in Klausur- und Examensnoten nicht messen.
Ein Medizinstudium verursacht Kosten im sechsstelligen Bereich – jedes Semester zählt also. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es  verständlich, dass an den Notenregelungen festgehalten wird. Die Vergabe der Studienplätze ist einfach und die Universität erhält fleißige Erstsemester mit guten schulischen Vorkenntnissen.


Fazit

Soll das Medizinstudium das Hauptziel haben, Ärztinnen und Ärzte für deutsche Krankenhäuser und Praxen auszubilden, muss die Angst vor Veränderung außen vor gelassen werden. 
Wir müssen die Zugangsvoraussetzungen durchdenken. Sind Noten wirklich das, was uns an einem zukünftigen Medizinstudenten und Arzt wichtig ist? Kann eine Eignungsprüfung besser herausfinden, wer Arzt werden soll? Oder ist der einzige Weg ein persönliches Aufnahmegespräch? Vielleicht ist auch das Bachelor-Master-System der Weg zu motivierten Ärzten?
Wir sollten auch den Aufbau des Medizinstudiums überdenken. Scheinbar lässt es den Arztberuf nicht so attraktiv erscheinen, wie es möglich wäre. Warum sonst fällt vielen die Entscheidung immer leichter, etwas ganz anderes nach dem Studium oder spätestens nach der Facharztausbildung anzustreben?
Wir sollten uns Gedanken darüber machen, was das Arbeiten im Ausland attraktiver macht und wie sich Deutschland in dieser Beziehung weiterentwickeln kann.
 Schließlich lautet die Frage, wie viel wir bereit sind, zu investieren.

Lara Ilona Schneider studiert Humanmedizin an der Universität Gießen im 6. Semester. Im Young Lions Gesundheitsparlament ist Frau Schneider Mitglied im Ausschuss Demographie.

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