Am 31.8. gedenken Freunde, Angehörige und Selbsthilfeorganisationen der Opfer von Überdosierungen. Ihre Botschaft: Viele Drogentodesfälle lassen sich vermeiden. Die Mittel sind bekannt – was fehlt, ist Unterstützung. Von Axel Schock, Dirk Schäffer und Holger Sweers
Auch wenn im vergangenen Jahr in Deutschland so wenige Menschen an den Folgen des Rauschmittelkonsums starben wie seit 25 Jahren nicht mehr – 944 „Drogentodesfälle“, der größte Teil davon als Folge einer nicht gewollten Überdosierung, sind 944 zu viel. Europaweit wurden 2011 rund 6500 Todesfälle aufgrund von Überdosierungen registriert, hauptsächlich im Zusammenhang mit Opioiden.
Seit 2001 ist der 31. August all jenen Menschen gewidmet, die durch eine Überdosis ihr Leben verloren oder schwere Schäden erlitten. Der International Overdose Awareness Day, von der Managerin eines Spritzentauschprogramms der Heilsarmee in Melbourne ins Leben gerufen, soll aber zugleich auch die Öffentlichkeit für die Notwendigkeit einer besseren Prävention sensibilisieren.
Die Mittel, um Drogentodesfälle zu vermeiden, sind bekannt, häufig fehlt es aber an der Unterstützung der Politik und auch des Gesundheitssystems:
1. Drug-Checking
Wer Heroin, Kokain oder andere Drogen kauft, kennt in der Regel ihren Reinheitsgrad nicht und weiß nicht, ob Substanzen beigemischt sind (und wenn ja, welche und in welcher Dosierung). Das erhöht das Risiko gefährlicher Wechselwirkungen und von Überdosierungen. Wenn illegal erworbene Substanzen auf ihre Inhaltstoffe und deren Gehalt getestet werden, zum Beispiel in Konsumräumen, Drogenberatungsstellen oder mittels mobiler Drug-Checking-Projekte, kann der potenzielle Gebraucher Vergiftungen, Überdosierungen und unerwünschte Effekte vermeiden und sich gegebenenfalls gegen den Konsum dieser Substanz zu entscheiden.
In Deutschland gibt es bislang nur wenige praktische Erfahrungen mit Drug-Checking. Im Hamburger Drogenprojekt Freiraum musste ein solches Projekt 1997 nach drei erfolgreichen Jahren auf Druck der Behörden abgebrochen werden. In Berlin führte der überwiegend in der Party- und Technoszene tätige Verein Eve and Rave e.V. von Februar 1995 bis September 1996 in Zusammenarbeit mit dem Gerichtsmedizinischen Institut der Humboldt-Universität (Charité) ein Drug-Checking-Programm für betäubungsmittelverdächtige Substanzen durch, die auf der Straße und in Clubs als Ecstasy-Pillen und -Kapseln verkauft wurden. Die Analysenergebnisse sollten regelmäßig veröffentlicht werden, um eine wissenschaftliche Grundlage für die Aufklärung, Beratung und Prävention zu schaffen. Zugleich sollte auf diese Weise den Ecstasy-Gebrauchern verdeutlicht werden, welche Risiken sie beim Konsum der bunten Pillen für ihre Gesundheit eingingen. Insgesamt wurden dabei über 150 Proben analysiert. Nach einer Anzeige wegen des Verdachts auf unbefugten Besitz von Betäubungsmitteln und den darauf folgenden Aktivitäten von Polizei und Justiz musste das Pilotprojekt eingestellt werden. Die positiven Erfahrungen in den Nachbarländern, zum Beispiel in den Niederlanden oder in Österreich, und deren wissenschaftliche Evaluationen werden in der politischen Diskussion in Deutschland bisher leider kaum berücksichtigt.
2. Konsumräume
Druckräume oder Fixerstuben, wie die niedrigschwelligen und akzeptanzorientierten Konsumräume auch genannt werden, bieten Drogengebrauchern einen enormen Schutz: Weil sie dort unter hygienischen Bedingungen und medizinischer Begleitung konsumieren können, sind Infektionen mit HIV und Hepatitis fast ausgeschlossen, und im Krisenfall kann umgehend geholfen werden. Darüber hinaus bieten Druckräume Möglichkeiten, um mit Drogenkonsumenten ins Gespräch zu kommen, ihnen Beratung und medizinische Hilfe bis hin zu Impfungen und HIV- bzw. Hepatitis-Tests anbieten zu können.
Drogenkonsumräume sind für viele Konsumenten der erste Kontakt zum Hilfesystem. Von dort wird dann an andere Angebote wie Wohnprojekte oder die Substitutionsbehandlung verwiesen. Dennoch sind Konsumräume weiterhin politisch wie gesellschaftlich umstritten, obwohl Aids- und Drogenhilfen, Wissenschaft und Wohlfahrtsverbände sich einhellig für sie einsetzen. Die Folge: Derzeit gibt es Konsumräume lediglich in 15 deutschen Städten.
Die Mehrzahl der Bundesländer (zehn) verweigert ihre Einrichtung, meist aus ideologischen Gründen. Darunter ist auch der Freistaat Bayern, der 2012 bundesweit die höchste Steigerung bei den Drogentodesfällen gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen hatte – und das von einem überproportional hohen Niveau aus (+ 20 Prozent von 177 auf 213), während die Zahlen in fast allen anderen Ländern sanken.
3. Naloxon
Naloxon wird als Gegenmittel bei Atemlähmung oder stark herabgesetzter Atmung durch eine Opioidüberdosis eingesetzt. Es kann intravenös, in den Muskel oder unter die Haut gespritzt und auch in Sprayform über die Nase aufgenommen werden. Wer keine Drogen konsumiert hat, spürt keine Naloxon-Wirkung (bei langjährigen Drogenkonsumenten kann es aber zu Entzugserscheinungen kommen).
Idealerweise sollte also Naloxon in Reichweite sein, wenn es zu einem Drogennotfall kommt. In Großbritannien zum Beispiel gibt es mehrere Projekte, die Drogengebraucher, ihre Angehörigen und Mitarbeiter von Drogenberatungsstellen, Konsumräumen, Wohn- und Pflegeprojekten im Umgang mit Drogennotfällen schulen und Naloxon an sie ausgeben.
Auch in Deutschland gab es ein ähnliches Modellprojekt in Berlin, durchgeführt vom Verein Fixpunkt. Vom Dezember 1998 bis zum Dezember 2002 wurden über 1.000 professionelle Helfer, aber auch Angehörige geschult. Außerdem konnten über 500 Drogengebraucher fortgebildet werden. Über die Hälfte von ihnen bekam dann auch Naloxon, das bei 100 Notfällen zum Einsatz kam – in gut einem Viertel der Fälle übrigens bei Fremden, die der Drogengebraucher gar nicht kannte.
Leider gab es nach dem Modellprojekt keine angemessene Folgefinanzierung. Hinzu kommt, dass viele Ärzte das Medikament nicht verschreiben (Naloxon ist verschreibungspflichtig, wird aber von den Kassen nicht erstattet): Häufig werden hier rechtliche Bedenken genannt, obwohl eine Stellungnahme der Bundesärztekammer von 2002 die Verwendung von Naloxon im Notfall durch einen „rechtfertigenden Notstand“ gedeckt sieht und auch das Bundesgesundheitsministerium 2008 zu dem Schluss kam, dass die Verabreichung von Naloxon durch qualifizierte Laienhelfer nicht ausgeschlossen ist. Häufig trauen die Mediziner Drogenkonsumenten einfach auch nicht zu, dass sie Notfälle richtig erkennen und Naloxon richtig einsetzen.
Weiterführende Links:
Englischsprachige Seite zum International Overdose Awareness Day
Deutsche Facebook-Seite zum Overdose Awareness Day
Drogen- und Suchtbericht 2013 (Drogenbeauftragte der Bundesregierung)
Europäischer Drogenbericht 2013
Informationen von Fixpunkt e.V. über Naloxon