Psychische Krankheiten sind keine gebrochenen Neurone

Bild: Skulptur von George Segal, 1984. ©: Vards Uzvards from San Francisco, CA

In der Medizin wird gerne von Bewährtem auf Unbekanntes geschlossen. Bewährt ist, dass nach einem Knochenbruch der Knochen ruhig gestellt werden muss, dann heilt er wieder aneinander, und ist danach wieder belastbar.

Unbekannt ist, was bei psychischen Krankheiten wie Ängsten und Depressionen hilft. Hier wird daher gerne im Analogschluss sicherheitshalber auch erst einmal “Schonung!” gerufen.

Aber dieser Analogschluss ist nicht immer richtig. Bei Rückenschmerzen ist das schon seit einiger Zeit bekannt. Wer unter Rückenschmerzen leidet, geht zum Arzt, läßt eine Diagnostik über sich ergehen, bekommt möglicherweise eine passive Therapie verschrieben, wie z.B. Massagen, bekommt vielleicht ein Medikament verordnet, und oft empfiehlt ihm der Arzt: “Schonung!“. Schonung kann auch bei einigen Krankheitsbildern sinnvoll sein, beispielsweise bei Entzündungen oder Reizzuständen, die die Rückenschmerzen verursachen. Aber bei sehr vielen Patienten mit Rückenschmerzen ist Schonung eben gerade nicht richtig, sondern das Gegenteil ist hilfreich: Aktivierung!

Kräftigung der Muskulatur durch vernünftig dosierte Kraftübungen, regelmäßige Aktivierung durch maßvollen Sport und eben gerade keine Ruhigstellung sind oft sehr viel hilfreicher als Schonung, oft selbst bei starken LWS-Beschwerden, die erfahrungsgemäß besonders häufig zur Empfehlung “Bettruhe” führen.

Auch bei Depressionen und Ängsten kann es Phasen geben, in denen Schonung sinnvoll und erforderlich ist. Aber sehr oft und meist schon sehr früh ist gerade bei diesen Krankheiten eine maßvolle Aktivierung hilfreich. Die aktive Teilnahme an den normalen Aktivitäten des Alltages kann sehr viel mehr Gesundheit zurück bringen als eine zu große Zurückhaltung.

Bei Ängsten ist Schonung oft Vermeidung,

bei Depressionen ist Schonung oft Rückzug,

meistens fördert aber Aktivierung am besten die Genesung.

Die Vorstellung, man müsse sich bei Krankheiten meistens schonen, ist ein mechanistischer Analogschluß von gebrochenen Knochen, verschlissenen Apparaten und aushärtendem Sekundenkleber.

Schonung kann bei psychischen Krankheiten phasenweise sinnvoll und notwendig sein. Aber sobald ein Spaziergang in der frischen Luft wieder möglich ist, sollte man ihn unternehmen. Sobald man wieder zu einem Treffen mit Freunden gehen kann, sollte man das tun. Aktivierung heilt hier meist viel besser als Rückzug.

P.S.: Das Foto zeigt nicht einfach einen Menschen mit der Krankheit Depression. Es zeigt einen Ausschnitt eines Kunstwerks mit dem Titel: “The Holocaust”, das im englischen den Titel “Never give up hope” trägt. Ich habe es dennoch für diesen Post gewählt, weil ich es sehr ausdrucksstark finde. 

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