Der Darm ist darüber hinaus …
- ein wesentlicher Bestandteil des Immunsystems, denn seine Darmflora und seine Schleimhaut sind in die Abwehr von Krankheiten und Fremdstoffen eingebunden (mehr dazu lesen Sie hier).
- in das Nervensystem eingebunden und steht ständig in regem Informationsaustausch mit dem Gehirn (mehr darüber lesen Sie hier).
- für das Hormonsystem von Bedeutung, indem er Signale sendet, um Hunger, Appetit, die Freisetzung der Verdauungsenzyme (z. B. Sekretin, Cholecystokinin) und Ähnliches zu regulieren, er bestimmt über solche Signalstoffe auch die Stimmung des Menschen mit (über Serotonin, mehr dazu lesen Sie hier).
- am Recycling von Sexualhormonen beteiligt.
- ein Regulator seiner eigenen Bewegungen (Peristaltik). Entsprechend der Nahrungsaufnahme bewegt sich der Darm, damit der Nahrungsbrei darin fortbewegt wird. Diese Bewegungen sind jedoch nicht nur vom Darm und seinem Nervengeflecht abhängig sondern sie werden vom sogenannten vegetativen Nervensystem (Parasympathicus und Sympathicus) mitbestimmt.
Wenn sich die Aufgaben widersprechen
Dabei hat der Darm Aufgaben zu lösen, die sich gegenseitig widersprechen: Auf der einen Seite soll er zum Beispiel Nährstoffe aus unserem Essen so gut wie möglich durch die Darmwand in den Körper aufnehmen und so für die Energiegewinnung und als Baumaterial für Körpergewebe und -organe nutzbar machen. Gleichzeitig soll er uns vor schädlichen Stoffen schützen, die entweder über die Ernährung in den Darm gelangen oder sich dort durch Gärung o.Ä. bilden können. Diese Stoffe sollen die Darmwand nicht passieren.
Damit der Darm diese widersprüchlichen Dinge leisten kann, besitzt er ein ausgeklügeltes System an Transportmechanismen und Schutzbarrieren, die er selbst reguliert, wie es gerade gebraucht wird. Ein wichtiger Teil solcher Schutzbarrieren sind die sogenannten „tight junctions“ – zu Deutsch: enge Verbindungen. Sie sitzen in den Spalten zwischen den Darmzellen und bilden dort feine aber feste „Wülste“ aus Proteinen, die um jede Zelle herum reichen. So werden die klitzekleinen Spalte zwischen den Zellen abgedichtet. Doch da es manchmal wichtig ist, dass etwas durch die Spalte hindurch geht, dafür hat der Darm das Zonulin. Es ist der „Generalschlüssel“ für alle tight junctions und öffnet sie, wenn es nötig ist [1]. Dabei gilt, je mehr Zonulin da ist, desto stärker durchlässig ist der Darm.
Leaky-gut – zu viel Zonulin schadet
Nun kann es vorkommen, dass zu viel Zonulin vorliegt und das womöglich über einen längeren Zeitraum. Die Folgen kann sich jeder ausmalen: Die Spalte zwischen den Darmzellen bleiben lange geöffnet. Der Darm wird löchrig und durchlässig: das Leaky-gut-Syndrom! So kommen dauerhaft Substanzen in den Körper, die eigentlich besser vom Darm ausgeschieden würden. Das betrifft einfach alles aus dem Nahrungsbrei im Darm, was den Zellzwischenraum passieren kann:
- Besonders große Moleküle wie zum Beispiel Proteinstücke aus dem Nahrungsbrei können auf diese Weise problematisch werden: Auf sie reagiert das Immunsystem mit Antikörperbildung, so kann es zu Nahrungsmittelallergien kommen.
- Durch solche Vorgänge bildet der Körper außerdem Entzündungen aus, die sich – je länger der Zustand des Leaky-gut anhält – verstärken. Entzündungen erzeugen verstärkt Radikale im Körper und können damit den betroffenen Geweben schaden.
- Durch vermehrte Immunsystemaktivität erhöht sich die Gefahr für eine „falsche“ Immunreaktion auf eigene Proteine. Daher steigt durch ein Leaky-gut die Gefahr für Autoimmunerkrankungen.
Bedenklich: Gliadin lässt Zonulin ansteigen
Weizen und andere glutenhaltige Getreide werden von vielen Menschen nicht gut vertragen. Dennoch hält sich weiterhin hartnäckig der Glaube, dass Vollkorn-Getreide(produkte) unbedingt in eine gesunde Ernährung gehören. Inzwischen ist eine Ursache der schlechten Verträglichkeit gefunden: Gliadin (ein Teil des Glutens) in der Nahrung lässt Zonulin im Darm ansteigen [2, 3]. Das bedeutet, dass glutenhaltige Getreide –allem voran Weizen – langfristig den Darm löchrig machen können. Auch bei Gesunden ist ein Anstieg des Zonulins nach dem Genuss von Weizen zu beobachten. Es ist also für jeden Menschen ungünstig, täglich Weizen zu sich zu nehmen. Wer schon Ärger mit seinem Darm hat, sollte möglichst ganz darauf verzichten. (mehr dazu lesen Sie hier).
Zonulin im Labor bestimmen
Zonulin ist also in der Praxis ein wertvoller Anzeiger (Marker) für eine erhöhte Durchlässigkeit des Darmes geworden. Er leistet sowohl bei der Diagnose als auch im Therapieverlauf des Leaky-gut-Syndroms und damit assoziierter Erkrankungen hervorragende Dienste.
Seit bekannt ist, dass Zonulin hinter der verstärkten Durchlässigkeit der Darmschleimhaut steht, wird immer öfter entdeckt, dass eine Erhöhung dieses Regulators der „engen Verbindungen“ in Blut- oder Stuhlproben eine Begleiterscheinung von verschiedenen schweren Krankheiten ist. Zu hohe Zonulin-Werte wurden zum Beispiel gefunden bei Patienten mit:
- entzündlichen Erkrankungen des Darmes [4]
- Autoimmunerkrankungen [5] wie Zöliakie [6], Typ-1-Diabetes [7] und rheumatoider Arthritis (inkl. Morbus Bechterew) [8]
- Erkrankungen des Nervensystems wie Schizophrenie [9, 10], Multiple Sklerose [11], Neuromyelitis optica (eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems mit Entzündung des Sehnervs) [12] und das Guillain-Barré-Syndrom (Nervenentzündung mit Lähmungserscheinungen) [13]
Es ist zu vermuten, dass diese Liste längst nicht vollständig ist. Auch Asthma, Allergien und bestimmte Vorgänge bei Krebserkrankungen scheinen mit einem erhöhten Zonulin und damit mit einer erhöhten Durchlässigkeit des Darmes in Verbindung zu stehen [14]. Viele gute Gründe, mithilfe einer Laboruntersuchung auf Zonulin ein bestehendes Leaky-gut-Syndrom aufzuspüren und rechtzeitig zu behandeln – bevor der löchrige Darm zu Schlimmerem führt.
Autor: Dr. Rainer Mutschler
Bildquelle: berlinrob / Clipdealer
Quellen:
[1] Wang, W.; Uzzau, S.; Goldblum, S. E.; Fasano, A.: „Human zonulin, a potential modulator of intestinal tight junctions“; Journal of Cell Science 2000, 113, pp. 4435-4440
[2] Clemente, M. G.; De Virgiliis, S.; Kang, J. S.; Macatagney, R.; Musu, M. P.; Di Pierro, M. R.; Drago, S.; Congia, M.; Fasano, A.: „Early effects of gliadin on enterocyte intracellular signalling involved in intestinal barrier function“; Gut 2003, 52, pp. 218-223
[3] Thomas, K. E.; Sapone, A.; Fasano, A.; Vogel, S. N.: „Gliadin stimulation of murine macrophage inflammatory gene expression and intestinal permeability are MyD88-dependent: role of the innate immune response in Celiac disease“; Journal of Immunology 2006, 176, pp. 2512-2521
[4] Fasano, A.: Biological perspectives: physiological, pathological, and therapeutic implications of zonulin-mediated intestinal barrier modulation, Living Live on the Edge of the wall“; American journal of pathology 2008, 173, pp. 1243-1252
[5] Fasano, A.: „Zonulin, regulation of thight junctions, and autoimmune diseases“; Annual NY Academy of Science 2012, 1258(1), pp. 25-33
[6] Fasano, A.: Biological perspectives: physiological, pathological, and therapeutic implications of zonulin-mediated intestinal barrier modulation, Living Live on the Edge of the wall“; American journal of pathology 2008, 173, pp. 1243-1252
[7] Sapone, A.; de Magistris, L.; Pietzak; M.; Clemente, M. G.; Tripathi, A.; Cucca, F.; Lampis, R.; Kryszak, D.; Carteni, M.; Generoso, M.; Iafusco, D.; Prisco, F.; Laghi, F.; Riegler, G. Carratu, R.; Counts, D.; Fasano, A.: „Zonulin upregulation is associated with increased gut permeability in subjects with type 1 Diabetes and their relatives“; Diabetes 2006, 55, pp. 1443–1449
[8] Fasano, A.: „Zonulin and its regulation of intestinal barrier function: the biological door to inflammation, autoimmunity, and cancer“; Physiological Review 2011, 91, pp. 151–175
[9] Wan, C.; La, Y.; Zhu, H.; Yang, Y.; Jiang, L.; Chen, Y.; Feng, G.; Li, H.; Sang, H.; Hao, X.; Zhang, G.; He, L.: „Abnormal changes of plasma acute phase proteins in schizophrenia and the relation between schizophrenia and haptoglobin (Hp) gene“; Amino Acids 2007, 32, pp. 101–108
[10] Maes, M.; Delanghe, J.; Bocchio Chiavetto, L.; Bignotti, S.; Tura, G. B.; Pioli, R.; Zanardini, R.; Altamura, C. A.: „Haptoglobin polymorphism and schizophrenia: genetic variation on chromosome 16“;
Psychiatry Research 2001, 104, pp. 1–9
[11] Takeoka, T.; Shinohara, Y.; Furumi, K.; Mori, K.: „Impairment of blood-cerebrospinal fluid barrier in multiple sclerosis“; Journal of Neurochemistry 1983, 41, pp. 1102–1108
[12] Bai, S.; Liu, S.; Guo, X.; Qin, Z.; Wang, B.; Li, X.; Qin, Y.; Liu, Y. H.: „Proteome analysis of biomarkers in the cerebrospinal fluid of neuromyelitis optica patients“; Molecular Vision 2009, 15, pp. 1638–1648
[13] Gutowski, N. J.; Pinkham, J. M.; Akanmu, D.; Chirico, S.; Murphy, R. P.: „Free radicals in inflammatory neurological disease: increased lipid peroxidation and haptoglobin levels in Guillain Barré syndrome“; Irish Journal of Medical Science 1998, 167, pp. 43–46
[14] Fasano, A.: „Zonulin and its regulation of intestinal barrier function: the biological door to inflammation, autoimmunity, and cancer“; Physiological Review 2011, 91, pp. 151–175
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