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Österreich: Pharmaunternehmen sammeln Patientendaten
In Österreich gelangen Pharmaunternehmen durch die zunehmende Praxis der Direktbelieferung von Apotheken und Ausschaltung des Pharmagrosshandels an die Daten von Parienten und Ärzten. Wie die Presseagentur APA berichtet lassen Pharmakozerne wie Abbott oder Wyeth (jetzt Pfizer) für hochpreisige Biologika die Lieferungen von Logistikunternehmen abwickeln. Die Apotheken müssen das Rezept als Einzelbestellung zu den Logistikern faxen. Das Pharmaunternehmen bekomme dafür die Daten von Patienten und des verschreibenden Arztes (inklusive der Grundes für die Verschreibung). Der Pharma-Grosshandel werde dabei ausgeschaltet. Damit ist ein Datenschutzmechanismus aushebelt. Beim klassischen Weg über den Grosshandel erhält ausschliesslich die Krankenkasse die personenbezogenen Daten. Eine Rolle spielt die Angst vor Parallelexporten. Der Grund für die Einschaltung der Logistik-Unternehmen sei zunächst einmal, dass diese Produkte besonders interessant für Parallelexporte seien, zitiert die APA in dem Artikel einen “Insider aus der Pharmaindutrie”.
Das ist nachvollziehbar, ist doch der Parallelhandel in der EU den Pharmakonzernen ein besonderes Ärgernis, den die Unternehmen auch in anderen Ländern mit Direktvertrieb begegnen. Beispielsweise vertreiben in Grossbritannien Pfizer und 16 andere Hersteller ihre Präparate exklusiv an die Apotheken oder haben den Vertrieb eingeschränkt. Auch die Kampagnen zu der Gefährlichkeit von Arzneimittelfälschungen zielen zum Teil auf die Kontrolle des Vertriebs ab. Wenn, wie vom EU-Parlament diese Woche beschlossen, demnächst Arzneimittelpackungen und Blister vom Apothekentresen bis zum Hersteller zurückverfolgt werden können, hilft das den Unternehmen, Quellen der Importeure auszutrocknen.
Weiter wird vom Insider” die Haftungsfrage angeführt, wenn in der Kühlkette etwas schief läuft würde es immer am Pharmakonzern hängenbleiben. Aber auch die Informationen sind begehrt:
Den Pharmakonzernen fallen damit erstklassige Daten zur Steuerung ihres Marketings und des Pharmaaussendienstes in die Hände. Nicht von ungefährt werden als Beispiele “Enbrel®” oder “Humira®” genannt – monoklonale Antikörper aus der Klasse der TNF-alpha-Blocker, die in Deutschland die beiden ersten Plätze bei den erfolgreichsten Neueinführungen in den letzten 10 Jahren anführen.
Auf europäischer Ebene hatte der Europäische Gerichtshofs (EuGH) hatte schon 2008 entschieden, dass Pharmaunternehmen ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen, wenn sie sich weigern, bestimmte Grosshändler zu beliefern, um auf diese Weise Parallelexporte zu verhindern. Allerdings hatten die EU-Richter den Konzernen einen Spielraum eingeräumt, um ihre geschäftlichen Interessen zu schützen. Die Definition dieses Freiheitsgrades ist jedoch den Mitgliedstaaten überlassen.
In Deutschland war in den letzten Jahren ebenso ein Trend zum Direktvertrieb zu beobachten. In den ersten sechs Monaten 2009 wurden 3,2 Millionen Packungen mit Originalpräparaten unter Ausschaltung des Grosshandels vertrieben. Der Trend scheint in Deutschland jedoch gebrochen zu werden. Mit der Novelle des Arzneimittelgesetzes haben Grosshändlern im letzten Jahr einen Belieferungsanspruch gegenüber den Pharmaherstellern bekommen.
Informationen von Ärzten oder Patienten werden hierzulande beim Direktvertrieb nicht von den Apothekern an die Pharmaunternehmen geliefert. Aber mit dem Aspekt des Sammelns von Arzt- und Patientensdaten für das Marketing hat das Thema zumindest in Österreich eine neue Dimension.
Vorteils-Maximierung
Dienstwagenaffäre belastet Arzneimittelprüfer. Da hat man das Gefühl, das Ziel aller Beteiligen im Gesundheitssystem sei einzig das Maximieren der eigenen Vorteile und Gewinne.
Multiple Sclerosis Research Blog von Prof. Gavin Giovannoni
Gibt es auch Professoren oder Ärzte, die über Medizin bloggen? Was ist deren Motivation? Welche Haltung vertreten sie?
Seit längerem verfolge ich den Multiple Sclerosis Research Blog. Er hat den Blog wohl als Reaktion auf die CCSVI-Bewegung gestartet. Niemand scheint vor ihm die schulmedizinische Sichtweise bei Multiple Sklerose in den sozialen Medien vertreten zu haben. Es ist ein aktiver Blog. Neben Gavin Giovannoni schreiben noch andere MS-Forscher. Häufig wird ein wissenschaftlicher Artikel angegeben und kommentiert. Der Blog ist wissenschaftsnah. Als Leser ist man über die aktuellen, grossen Themen der MS-Forschung orientiert.
Der Blog wird vom Neurologen Gavin Giovannoni betrieben. Gavin Giovannoni studierte in Südafrika Medizin und ist Professor der Neurologie in London. Er ist Nachfolger von William Ian McDonald. Jener McDonald, dessen Name für die heute gültigen MS-Diagnose-Kriterien steht und die wohl die meisten kennen, die mit MS zu tun haben. Gavin Giovannoni ist ein engagierter Mensch. Ihm liegt sehr viel am Wohl der MS-Betroffenen. Gavin Giovannoni gehört zur „obersten Liga“ der MS-Forscher.
I was quite shocked by their paternalistic attitude. I actively fight paternalism, which is very common, if not the norm, amongst healthcare professionals: ‚Let’s not tell them about how bad MS can be, because they will find it too much to deal with‘. Gavin Giovannoni
Das schöne an Gavin Giovannoni ist, dass er gegen den Paternalismus in der Medizin antritt. Die Betroffenen sollen nicht bevormundet werden. Er enthält keine Informationen vor, nur weil er denkt, diese dürfen den Betroffenen nicht zugemutet werden.
Als bekannter MS-Forscher wird er häufig als Redner eingeladen. Seit langem stellt er seine Präsentationen konsequent auf dem Blog zur Verfügung.
Als Forscher arbeitet er mit der Pharma-Industrie zusammen. Leider ist es heutzutage so, dass in der Medizin nichts ohne Pharmaindustrie geht. Sie haben Geld. Die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie führt zur Interessenkonflikten. Gavin Giovannoni ist sich seiner Interessenkonflikten bewusst und pflegt einen transparenten Umgang damit. Im angelsächsischen Raum scheinen sich die Forscher generell des Problems bewusster zu sein.
Viel gelesen und beachtet wird der Blog, insbesondere wegen den Informationen zu PML (progressive multifokale Leukenzephalopathie). Auch von Neurologen weltweit. Gavin Giovannoni aktualisiert regelmässig die Risikoberechnung für PML: ClinicSpeak: natalizumab PML update – Q4 2014. Zur PML-Berechnung hat er kürzlich eine eigene Webapplikation für Betroffene gemacht: Understand your risk of PML with Tysabri
Um mehr Zeit für den Blog und die Online-Informationen zu haben, hat Gavin Giovannoni sich sogar ein halbes Jahr von der Klinik und vom Hochschulunterricht frei genommen (Sabbatical).
Gavin Giovannoni hat und setzt grosses Vertrauen in die MS-Medikamente. Er vertritt den Ansatz, die stärksten Medikamente sollten schon zu Beginn der MS-Erkrankung eingesetzt werden (frühe aggressive Behandlung), bis keine MS-Symptome mehr sichtbar sind (NEDA – No evience of disease activity).
Ich teile seine Ansichten diesbezüglich nicht. Doch schadet es nicht, sich mit gegensätzlichen Meinungen auseinander zu setzen.
Gavin Giovannoni vermutet die Ursache von MS sei ein Virus oder Virusüberresten im menschlichen Erbut (HERV).1 Er glaut nicht, dass der Körper sich plötzlich selbst attackiert (Autoimmun-Hypothese). Aktuell macht er sich Gedanken, ob er ein Crowd-Funding-Projekt für eine Pilotstudie zu seiner Hypothese starten soll.
Über die Dauer des Blogs kann bei Gavin Giovannoni ein Lernprozess festgestellt werden. Er lernte beispielsweise Verhaltensweisen von besser Betroffenen nach zu vollziehen2.
Fazit
Der Multiple Sclerosis Research Blog ist lehrreich. Man lernt das Denken eines klinischen Neurologen kennen. Man erfährt was in der MS-Forschung läuft. Die ClinicSpeak-Artikel von Gavin Giovannoni können allen mit einem tiefgreifenden Interesse an Multiple Sklerose empfohlen werden.
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Natural killers cells and the action of daclizumab, 05.02.2015 ↩
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Who has seen the Dallas Buyers Club?, 10.02.1014 ↩