Allianz des Schweigens

Drei Brüder

Nur einer der an Hämophilie erkrankten Brüder wird die Aidskrise überleben (Foto: ZDF/ Willi Weber)

Bei dem wohl größten gesundheitspolitischen Desaster der Nachkriegsgeschichte wurden um die 2.000 Bluter mit HIV infiziert. Der Fernsehfilm „Blutgeld“, den das ZDF am 28. Oktober ausstrahlt, arbeitet den fast vergessenen Skandal um verseuchte Blutprodukte auf. Von Axel Schock

Endlich ein ganz normales Leben führen können ­– ohne die ständige Angst, sich zu verletzen und deshalb womöglich zu verbluten. Endlich sollte es möglich sein.

Als Anfang der 1970er Jahre ein neuartiges Medikament auf den Markt kam, brachte es für Hämophile eine außerordentliche Verbesserung der Lebensqualität. „Faktor-VIII“ heißt das Präparat in René Heisigs Spielfilm „Blutgeld“, das auch für die Familie von Marianne Seifert ein Geschenk des Himmels ist.

Endlich können ihre Söhne Ralf, Thomas und Stefan, die alle drei eine vererbte Blutgerinnungsstörung haben, wie andere Jungs in ihrem Alter ganz selbstverständlich Fahrrad fahren und am Sportunterricht teilnehmen.

Szene aus "Blutgeld"

Prof. Schubert (Robert Kowalski) verabreicht die erste Injektion des neuen Medikaments (Foto: ZDF/Willi Weber)

Ein Jahrzehnt später machen sich die inzwischen erwachsenen Söhne immer noch regelmäßig gemeinsam auf den Weg ins Bluterzentrum nach Hannover, um sich bei ihrem Arzt, Professor Schubert (Rudolf Kowalski), der ihnen längst zu einem väterlichen Freund geworden ist, mit dem Medikament zu versorgen.

Dann aber erkrankt Stefan (Fabian Busch) so schwer an einer Lungenentzündung, dass er sich nicht mehr davon erholt. Der Verdacht bestätigt sich: Stefan ist an den Folgen von Aids gestorben, und auch seine beiden Brüder sind mit HIV infiziert – wie fast 90 Prozent aller Bluter, die mit „Faktor-VIII“ behandelt wurden.

Die Ärzte raten, über die Infektion zu schweigen

Mit „Blutgeld“ rollt die Fernsehproduktionsfirma Zeitsprung nach „Contergan“ (2007) einen weiteren deutschen Pharma-Skandal fiktional auf ­– wenn auch nicht mit der ähnlich dramatischen Wucht, so doch gleichermaßen schauspielerisch überzeugend.

In geradezu modellhaften Szenen schildert der Film, welchen Ängsten und Bedrohungen sich die betroffenen Familien ausgesetzt sahen. Die Ärzte raten ihnen, über ihre Erkrankung zu schweigen. Denn Aids, das ist die Krankheit „der Schwulen, Stricher und Junkies“, wie Ralf an einer Stelle betont.

Szene mit David Rott und Jule Ronstedt

Ist Küssen womöglich ansteckend? Szene mit David Rott und Jule Ronstedt (Foto: ZDF/ Willi Weber)

Doch in der Kleinstadt, in der Thomas (David Rott ) mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn lebt, sind längst Gerüchte über die wahre Todesursache seines Bruders Stefan im Umlauf. Freunde sagen mit fadenscheinigen Gründen eine Essenseinladung ab, der Sohn wird von der Schulrektorin zwangsweise vom Sportunterricht entbunden.

Ralf (Max Riemelt) wiederum geht weitaus offener mit seiner Infektion um und bittet seine Ex-Freundinnen, sich auf HIV testen zu lassen. Und er findet in der Krankenschwester Martina (Lavinia Wilson) nicht nur eine seelische Stütze, sondern auch eine Mitstreiterin bei seinem Vorhaben, die Hersteller von „Faktor-VIII“ zur Rechenschaft zu ziehen.

Vermutlich verseuchte Altbestände des Medikaments bleiben im Handel

Denn das Präparat blieb auch dann noch im Handel, als längst bekannt war, dass das darin verarbeitete Blutplasma möglicherweise mit dem HI-Virus verseucht ist. „Aids ist eine Naturkatastrophe. Wer ist schon schuld an einem Erdbeben?“ Mit diesem Satz weist Dobler (Heikko Deutschmann), ein Mitarbeiter des „Faktor-VIII“-Herstellers, skrupellos jegliche Verantwortung des Unternehmens für die Infektion von ca. 2.000 Menschen in Deutschland von sich.

Max Riemelt als Ralf

Ralf (Max Riemelt) will die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen (Foto: ZDF/ Willi Weber)

Für den Konzern geht es um Marktanteile und mögliche Gewinneinbußen. Darum sollen auch Altbestände des Medikaments aus der Zeit, bevor das verwendete Blut durch Hocherhitzung und Tests infektionssicher gemacht werden konnte, noch komplett auf den Markt gebracht werden. Das Bundesgesundheitsamt gibt dem Druck nach.

Es sind vor allem die Szenen mit Vertretern der Gesundheitspolitik, der Versicherungsgesellschaften und der Pharmalobby, die das Ausmaß des Skandals in bisweilen zynisch-kalten Dialogen zuspitzen.

Der Pharmakonzern bietet Abfindungen an – als „humanitäre Geste“

Das Medikament vom Markt zu nehmen, könnte als Schuldeingeständnis gedeutet werden. Auf einen langwierigen Prozess werde sich keiner der Betroffenen einlassen: einerseits aus Angst, sich damit öffentlich als HIV-infiziert zu outen, zum anderen, weil sie ein Ende des Prozesses womöglich nicht mehr erleben würden.

Pharmalobbyist aus "Blutgeld"

Pharmalobbyist Dobler (Heikko Deutschmann) leugnet die Verantwortung seines Konzerns (Foto: ZDF/ Willi Weber)

Stattdessen bietet das Pharmaunternehmen eine Einmalzahlung an und bezeichnet diese gönnerhaft als „humanitäre Geste“. Den Krankenkassen rechnet man vor, dass diese Abfindungen an die HIV-positiven Bluter billiger kämen, als ihre reguläre lebenslange Versorgung mit Blutgerinnungsmitteln gekostet hätte.

René Heisig hat seinen Film, der nicht nur auf einem tatsächlichen gesundheitspolitischen Desaster, sondern auch auf einem realen Fall basiert, betont kühl und sachlich inszeniert. Selbst bei hochemotionalen und dramatischen Szenen vermeidet er, bewusst auf die Tränendrüse zu drücken.

„Das waren Ängste, da war seine Bluterkrankheit gar nicht mehr präsent“

Im Abschluss an die Erstausstrahlung von Blutgeld“ am Montag, dem 28. Oktober, zeigt das ZDF eine halbstündige Reportage über die realen Geschichten des „Blut-Aids-Skandals“.

Die Dokumentation porträtiert unter anderem den heute 38-jährigen Michael Diederich und seine Mutter, die sich noch gut daran erinnern kann, als sie von der HIV-Diagnose ihres Sohnes erfuhr: „Das waren plötzlich Ängste, da war seine Bluterkrankheit plötzlich gar nicht mehr präsent. Da hat sich alles nur noch um dieses Thema gedreht.“

Auch der einzige Überlebende der drei Brüder, dessen Geschichte Grundlage des Spielfilms ist, erzählt – anonym – wie er heute mit der Situation und der Infektion lebt.

Darüber hinaus kommen Dr. Ute Braun, Ehrenvorsitzende der Hämophilie-Gesellschaft, und der Münchner Aids-Experte Dr. Hans Jäger zu Wort, und schließlich auch Horst Schmidbauer: Er saß 1993/94 als Obmann der SPD-Fraktion in dem Untersuchungsausschuss, der sich mit der Aufklärung der HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte befasst hatte.

Keiner der Verantwortlichen wurde je für den Skandal juristisch zur Rechenschaft gezogen.

„Blutgeld“.  D 2013. Regie René Heisig, Drehbuch Kai-Uwe Hasenheit, René Heisig, Regine Bielefeldt. Mit Max Riemelt, Lavinia Wilson, Fabian Busch, Charlotte Schwab, Heikko Deutschmann, Jürgen Tarrach, Heio von Stetten, Rudolf Kowalski

„Blutgeld“ – Ausstrahlung am 28.10., 20.15 Uhr im ZDF und am 3.11., 21.45 Uhr bei ZDFneo

„Blutgeld – Die Dokumentation“, 28.10., 21.45 Uhr im ZDF

Weitere Informationen:

robinblood.org – das Netzwerk Robin Blood kämpft für eine Entschädigung von Menschen, die durch Blutprodukte mit HIV oder Hepatitis C infiziert wurden


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