Noch immer werden viele HIV-Infektionen spät diagnostiziert. Die erste „European HIV Testing Week“ im November ruft zum HIV-Test auf. Axel Schock sprach mit Christopher Knoll von der Münchner Aids-Hilfe, die sich an der Testwoche beteiligt
Zu spät oder gar nicht diagnostizierte HIV-Infektionen sind riskant: Mit Fortschreiten der Erkrankung steigt zum einen die Sterblichkeitsrate, zum anderen können Betroffene, die nichts von ihrer Infektion wissen, das Virus auf ihre Sexualpartner übertragen. Je nach Land gehören in Europa zwischen 15 und 80 Prozent der HIV-Infizierten zu den „Late Presenters“.
Christopher, du warst als deutscher Vertreter der Organisation „HIV in Europe“ an der Entwicklung der „European HIV Testing Week“ beteiligt. Welches Ziel verfolgt man mit dieser Aktion?
Am Anfang stand die Frage, auf welchen Wegen man die hohe Zahl der „Late Presenters“ senken könnte. Dazu wurden viele interessante Ideen entwickelt, am Ende kristallisierte sich schließlich die europaweite Testwoche heraus. Auf diese Weise hoffen wir, die Leute früher zu einem Test bewegen zu können.
Was ist für euch als Münchner Aids-Hilfe dabei am wichtisten? Ihr hattet euch schon 2012 an Testwochen der DAH-Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU beteiligt und im Frühjahr an den Bayrischen Testwochen.
Wir hoffen, durch Aktionen wie diese vor allem Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), anzusprechen und ihnen eine klare Botschaft zu vermitteln: Wenn ihr sexuell aktiv seid, dann lasst euch regelmäßig testen, am besten einmal im Jahr.
Regelmäßig testen soll für schwule Männer Normalität werden
Was steckt hinter dieser Strategie?
Wir wollen bei dieser Zielgruppe zu einem routinierten Testverhalten kommen, sodass der regelmäßige Test zur Normalität wird. Denn es gibt nur eine Möglichkeit, nicht mehr infektiös zu sein, nämlich sich testen und behandeln zu lassen. In begleitenden Marketingaktionen muss außerdem die Angst vor der Diskriminierung HIV-Positiver angesprochen werden. Aus Umfragen wissen wir, dass das einer der stärksten Faktoren ist, die schwule Männer vom Test abhalten.
Bislang galt die Devise, dass schwule Männer sich testen lassen sollten, falls sie ein Infektionsrisiko hatten.
Für sexuell aktive schwule Männer ist es sehr schwierig, die Risiken jeweils verlässlich einzuschätzen – auch deshalb, weil sie nicht bei jedem Sexkontakt genau darüber nachdenken möchten. Zum anderen wird ein solcher Test dann immer auch als „Konsequenz von Fehlverhalten“ gesehen.
Die Aussage „Geh regelmäßig zum Test, wenn du regelmäßig Sex mit verschiedenen Männern hast“ ist daher weniger problematisch und auch weniger bedrohlich. Dass dieses Konzept funktioniert, wissen wir zum Beispiel durch eine Untersuchung der Universität Edinburgh oder aus Erfahrungen in Spanien. Dort sind die Testzahlen weitaus höher als hierzulande.
Die europäische Testwoche soll also nicht nur viele bisher unentdeckte HIV-Infektionen zutage bringen, sondern auch das Testverhalten verändern helfen?
Ob sie das alles erfüllen kann, wird man noch sehen. Überlegt wird auch, an die Testwoche eine verstärkte Information der Ärzte anzukoppeln. Aus Umfragen weiß man, dass die meisten „Late Presenters“ vor ihrem positiven Testergebnis durchschnittlich drei relevante Arztkontakte hatten, bei denen ein Test medizinisch angezeigt gewesen wäre, der behandelnde Arzt aber keinen gemacht hat.
Woran liegt das?
Zum Beispiel daran, dass der Hausarzt nicht gut genug informiert ist oder in diesem Moment und bei diesem Patienten nicht an HIV denkt – selbst wenn ein lediger Mann Mitte 50 mit einer Gürtelrose zur Behandlung erscheint.
Richtet sich die europäische Testwoche also speziell an Schwule und andere MSM?
Nein, sie richtet sich an alle Menschen. Aber in Deutschland macht eine auf MSM zugeschnittene Kampagne epidemiologisch einfach am meisten Sinn. Die Zahl der Neuinfektionen bei intravenös Drogen Gebrauchenden beispielsweise ist mittlerweile ja erfreulicherweise recht gering.
Welche Unterstützung bekommt ihr von den Initiatioren der Testwoche zur Bewerbung der Aktion?
Das ist derzeit noch nicht ganz klar. Mittel für eine europaweite Plakatierung oder Printkampagne werden sicherlich nicht bereitstehen. Anders sieht es hingegen mit der Bewerbung durch elektronische und Soziale Medien aus. Und auf der Internetseite www.hivtestingweek.eu werden alle Angebote der an der Testwoche Beteiligten zusammengetragen.
Große Chancen auf mediale Aufmerksamkeit für die Aidshilfen
Auf euch kommt also noch eine Menge Arbeit zu, um die Testwoche lokal zu bewerben.
Letztlich ist es ja unser ureigenstes Interesse, möglichst viele Menschen mit diesem Angebot zu erreichen. Daher machen wir uns auch in unserer Stadt dafür stark. Doch allein dadurch, dass es sich um eine europäische Testwoche handelt, haben wir einen guten Aufhänger, um darüber in die Medien zu kommen und dort auf unsere HIV-Testangebote hinzuweisen.
Dieser größere Kontext macht besonders deutlich, wie wichtig das Thema ist. Und diese erhöhte Chance auf mediale Aufmerksamkeit sollten die verschiedenen Einrichtungen auf jeden Fall für sich nutzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch kleinere Aidshilfen dazu ermuntert werden, stärker für den HIV-Test zu werben oder sich überhaupt erst einmal mit einem Testangebot auseinanderzusetzen. Das hat bei den Testwochen von ICH WEISS WAS ICH TU ja bereits sehr gut funktioniert.
Ab November wird man die Öffentlichkeit geballt mit Beiträgen und Infos rund um HIV versorgen. Die „European HIV Testing Week“ liegt direkt vor dem Welt-Aids-Tag.
Wir sind gespannt, ob man gegenseitig von der medialen Aufmerksamkeit profitieren kann oder ob es zu Verwechslungen führt. In anderen Ländern, beispielsweise in Spanien, hat man mit dieser Kombination bislang sehr gute Erfahrungen gemacht.
Regionale Aidshilfen und andere HIV-Einrichtungen, die sich der ersten Europäischen HIV-Testwoche anschließen möchten, können sich unter www.hivtestingweek.eu anmelden.