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Patientenverbände als Ziel neoliberaler Netzwerke
Es geht weiter auf der Entdeckungstour durch die Untiefen der EU-Lobbyisten und Think Tanks. Wir starten wieder bei dem Beratungsunternehmen PatientView, das, wie schon beschrieben, besonders um gute Beziehung zu Patientenverbänden und Patientenvertreter bemüht ist.
Ende 2005 verschickte PatientView eine E-mail mit einer Befragung zum Thema “Healthcare in 2020: a vision of the future”. Anschreiben und Fragebogen: survey_health_consumer_powerhouse (pdf, 59 KB). Den Inhalt und Sinn der Befragung übergehen wir mal fürs Erste, da Fragen nach dem Gesundheitssystem im Jahr 2020 eher ein Fall für die Kristallkugel sind.
Als Sponsor wird Baxter World Trade Corporation, eine Tochtergesellschaft des Pharmakonzerns Baxter International Inc. genannt. In Auftrag gegeben hat die Sudie Health Consumer Powerhouse. Auf der Internetseite beschreibt die Organisation ihre Aufgabe so:
Klingt gut und nach Verbraucherverband, oder? Health Consumer Powerhouse ist jedoch Teil eines neoliberalen Netzwerks von Lobbygruppen und Think Tanks, die marktradikale Positionen vertreten. Da findet sich auch das Centre for the New Europe (CNE) wieder. Deutsches Mitglied im Stockholm Network ist die Stiftung Marktwirtschaft. Dem Vorstand der Stiftung gehören Prof. Bernd Raffelhüschen und der ehemalige Leiter des Bundestagsbüros von Friedrich Merz, Michael Eilfort, an. Bernd Raffelhüschen und zwei Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung sind auch „Botschafter“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Der ehemalige Vorstand Lüder Gerken ist heute Vorstand der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung, auch und wie Eilfort INSM-Botschafter. Auch die Professoren Eekhoff und Donges aus dem Kronberger Kreis, dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, sind Botschafter der INSM. Zum Thema INSM hat Don Dahlmann gerade einen Beitrag in seinem blog veröffentlicht. Laut wikipedia sind beim CNE und dem Stockholm Network Pfizer und die Pharmaindustrie bedeutende Geldgeber.
Es verwundert nicht, dass die Ergebnisse der Befragung “Healthcare in 2020” auf einer Pfizer-Presseveranstaltung in Brüssel vorgestellt worden sind. Damit werden auch die Ziele deutlich, die mit dieser Befragung von Patientenverbänden erreicht werden sollen: Munition im Lobbykampf für ein dereguliertes Gesundheitswesen.
Vorgestellt wurde die Studie von Johan Hjertqvist, dem Gründer und Präsident von Health Consumer Powerhouse, den wir schon aus dem Anschreiben zu der Befragung kennen. Johan Hjertqvist, früherer Berater der PR-Agentur Burson-Marsteller und international erfahrener Lobbyist, ist immer dabei, wenn die Interessen des freien Marktes im Gesundheitswesen verteidigt werden müssen.
Wo der Weg hinführen soll, konnte man auf einer Veranstaltung der CSU-nahen Hans-Seidel-Stiftung – Screenshot hss (pdf, 161 KB) – in Brüssel sehen, an dem Johan Hjertqvist und andere ausgesuchte Marktbefürworter teilgenommen haben. Wieder ging es um Gesundheit im Jahr 2020, diesmal auf Basis einer Studie, die Siemens in Auftrag gegeben hatte. Ein paar Statements: “das heutige Gesundheitssystem ist als Wirtschafts- und Industriezweig zu betrachten”, “einen Wandel vom schwachen Patienten zum starken Verbraucher”, “die Bürger müssten dazu erzogen werden, Gesundheit als ein Produkt zu sehen, für das ein bestimmter Betrag gezahlt werden müsse”, “ideal sei es, die größten Investitionen in die Prävention zu stecken und nicht nur in Diagnose, Therapie und Nachbehandlung”.
Was erwarten diese neoliberalen Denkfabriken von Patientenverbänden? Das ist Stoff für ein weiteres Kapitel. Verkürzt: Die Industrie hat schon vor einigen Jahren die wachsende Macht der NGOs erkannt und versucht diese für ihre Zwecke einzuspannen. Im Gesundheitsbereich läuft das unter den Schlagworten: Eigenverantwortung, Patientensouveränität oder Patientenautonomie. Der Wille des Patienten löst das Wohl des Kranken als oberstes Prinzip ab. Die Autonomie des Patienten gewinnt dabei Vorrang vor der der Fürsorge. Bis hin zum Ideal des “mündigen Patienten”, der aufgeklärt, eigenverantwortlich und selbstbestimmt die Richtlinien seiner Behandlung vorgibt und zum Partner des Arztes wird. Traum der neoliberalen industrienahen Lobbygruppen: Kunde statt Patient, Leistungen statt Engagement, Verträge statt Vertrauen.
Dabei sehe ich drei Gruppen, die diese Eigenverantwortung verlangen: Aus dem Bereich der Naturheilkunde, die eine gleichbrechtigtes Nebeneinander und Wahlfreiheit zwischen naturheilkundlicher Behandlung und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhender Medizin fordern, aus dem Lager der Patientenverbände, die das ideal des aufgeklärten Patienten propagieren und aus der Pharmaindustrie, die sich von mehr Verbrauchermacht z.B. die Abschaffung von Werbeeinschränkungen und ein marktnäheres Gesundheistwesen mit mehr Eigenleistungen und Eigenentscheidung des Patienten erhofft. Da es zwischen Naturheilkundlern und Pharmaindustrie verständlicherweise kaum Gemeinsamkeiten gibt, werden die eher dem Prinzip des Verbraucherschutzes verpflichteten Patientenverbände von zwei Seiten in die Zange genommen. Sowohl die naturheilkundlichen Gegner der “Schulmedizin” als auch die Pharmaindustrie versucht diese als Bündnispartner zu gewinnen. Ein echtes Minenfeld. Wenn man sich die Berichte von Anhörungen und Konferenzen durchliest, auf denen Vertreter aller drei Lager anzutreffen sind, hat man das Gefühl, dass die Teilnehmer erschreckend wenig von den Interessen und Netzwerken der mit am Tisch Sitzenden wissen.
Healthcare Consulting ToGo „Arztpraxis“ : Ein Dermatologe möchte die Arbeitsleistung seines Personals intensiver kontrollieren
Das Problem: “Ich bin Dermatologe und arbeite zusammen mit acht Medizinischen Fachangestellten. Mein Wunsch: mehr Kontrolle über das, was meine Mitarbeiterinnen tun. Ich glaube nämlich, dass sie zu wenig arbeiten. Was kann ich tun?” Die Lösung. Praxisinhaber, die den beschriebenen Eindruck haben, tendieren generell dazu, ihr Misstrauen gegenüber ihren Mitarbeiterinnen durch eine verstärkte Kontrolle zu […]
Pharmaindustrie: Fehlverhalten und Justizfälle [akt. 1]
War die $3 Mrd. Busse gegen GlaxoSmithKline ein Einzelfall? Was waren die Bussen der letzten Jahre? Welche Ermittlungen sind im Gange?
Ich bin nicht gegen Pharma, aber ich bin gegen unsaubere Machenschaften und illegale Praktiken. Die Pharmaindustrie vertreibt lebensrettende Medikamente und ist eine wichtige Industrie. Leider aber scheint der Gewinn mit allen Mitteln maximiert zu werden – mit legalen und illegalen.
US Bussen für Big Pharma bis Juli 2012
Bei der Pharmaindustrie hat man manchmal den Eindruck es gehe nur ums Verkaufen – soviel und so teuer wie möglich. Ungeeignete, mittelmässige oder gar nutzlose Medikamente werden nach allen Regeln der Kunst, teilweise illegalen, an den Mann und die Frau gebracht. Es werden Ärzte, Forscher, Studien und Politiker manipuliert. Studien beschönigt, Wissenschaftlichkeit vorgetäuscht, «negative Resultate» unterdrückt, Wirkungen übertrieben. Produktionsprozesse nicht im Griff. Überrissene Preise werden verrechnet. Bestechungsgelder (Kickbacks) an Ärzte für Verordnungen bezahlt(, welche auch angenommen wurden). Kritiker bedroht und eingeschüchtert. Nein, es handelt sich hier nicht um die Mafia.
Ich habe einmal eine Zusammenstellung der Bussen der US Justiz erstellt, zusammen mit anderen dokumentiertem Fehlverhalten. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Unternehmen | Grund | Busse Mio $ | Jahr | Referenz |
---|---|---|---|---|
Novartis | Marketingfehlverhalten, Kickbacks (Trileptal) | 422.5 | 2010 | Tagi blog.nytimes USDOJ |
Novartis | Frauendiskriminierung | 250 | 2010 | NZZ |
Roche | Marketingfehlverhalten und Preismanipulation (Rituxan) | 20 | 2011 | Pharmalot |
Pfizer | Marketingfehlverhalten, Schmiergeld (Bextra, Lipitor, Viagra) | 2300 | 2010 | NZZ |
Eli Lilly | Marketingfehlverhalten (Zyprexa) | 1400 | 2010 | NZZ USDOJ |
Branche | Verzögerung, Blockierung von Generika (Bericht EU) | 2008 | NZZ | |
GlaxoSmithKline | Marketingfehlverhalten (Paxil, Wellbutrin, Avandia, Advair, Lamictal, Zofran), Kick-Backs (Imitrex, Lotronex, Flovent, Valtrex), Überzogene Rechnungen | 3000 | 2012 | Blogartikel Tagi Spiegel USDOJ, USDOJ Pharmalot Pharmalot |
GlaxoSmithKline | Marketingfehlverhalten (Wellbutrin SR) | FDA Klage | Offen | Pharmalot |
Merck Serono | Kickbacks (Rebif®) | 44.3 | 2011 | Bloomberg, USDOJ |
Merck KGaA | Produktionsprobleme | FDA Brief | 2012 | Pharmalot |
Merck Serono | Marketingfehlverhalten (Serostim) | 704 | 2005 | USDOJ |
Bayer Healthcare | Marketingfehlverhalten (Xarelto) | Klage | 2012 | Spiegel |
Pfizer | Marketingfehlverhalten (Neurotonin) | 141 | 2010 | Reuters Pharmalot |
Pfizer | Brustkrebs (Prempro) | 45 | 2012 | Bloomberg |
Pfizer | Brustkrebs (Prempro) | 10.4 | 2012 | Bloomberg |
Pfizer | Brustkrebs (Prempro) | 896 | 2012 | Bloomberg Businessweek Bloomberg |
Pfizer | Brustkrebs (Prempro) | 72 | 2011 | Pharmalot |
Pfizer Neu! | Mutmasslich illegaler Freilandversuch an Kindern in Afrika (Trovan), Druck auf Staatsanwaltschaft | 75 | 2010 | Süddeutsche US Cable Guardian |
Merck (MSD) | Marketingfehlverhalten (Vioxx®) | C$ 37 | 2012 | Yahoo |
Merck (MSD) | Marketingfehlverhalten (Vioxx®) | 950 | 2011 | Spiegel USDOJ |
Pfizer | Nichtpublikation negativer Resultate (Reboxetine) | Publ. | 2010 | IQWiG BMJ |
Pfizer (Wyeth) | Ghostwriting (HRT) | Publ. | 2010 | Ärzteblatt |
GlaxoSmithKline | Produktqualität (Avandia, Paxil) und Produktionsmethoden | 750 | 2010 | independent.co.uk |
Elan | Marketingfehlverhalten (Zonegran) | 203 | 2011 | USDOJ USDOJ |
Dey | Preisbetrug | 280 | 2010 | USDOJ |
Forest | Marketingfehlverhalten (Levothroid, Celexa, Lexapro) | 313 | 2010 | USDOJ |
Abott | Marketingfehlverhalten (Depakote) | 1600 | 2012 | USDOJ Pharmalot |
Novo Nordisk | Marketingfehlverhalten (Novoseven) | 25 | 2011 | USDOJ |
Johnson & Johnson | Marketingfehlverhalten (Topamax) | 81 | 2010 | USDOJ |
Johnson & Johnson | Marketingfehlverhalten (Risperdal) | 181 | 2012 | Pharmalot |
Johnson & Johnson Manager | Nichtgenehmigte Studien mit Todesfolge | Gefängnis 2×9M + 4M | 2011 | Pharmalot |
Sanofi-Aventis | Preisbetrug | 190 | 2007 | USDOJ |
Novo Nordisk | Kauf von Patientendaten (Novolin, Novolog) | 1.7 | 2011 | USDOJ |
AstraZeneca | Off-Label Marketing, Kickbacks (Seroquel®) | 520 | 2010 | NYimes NYTimes USDOJ |
AstraZeneca | Marketingfehlverhalten (Seroquel®) | 26 | 2012 | Pharmalot |
AstraZeneca | Marketingfehlverhalten, Irreführung bei Nebenwirkungen, Nichtveröffentlichung negativer Resultate (Seroquel®) | 68.5 | 2011 | Pharmalot |
Bristol-Myers Squibb | Marketingfehlverhalten | 515 | 2007 | NYTimes Pharmalot |
Bristol-Myers Squibb | Bilanzmanipulation (Channel stuffing) | 300 | 2005 | Bloomberg |
Bristol-Myers Squibb | Bilanzmanipulation (Channel stuffing) (Erbitux, Vanlev) | 300 | 2004 | Bloomberg |
Bristol-Myers Squibb Manager | Bilanzmanipulation | 0.17 | 2012 | Pharmalot |
Bristol-Myers Squibb Manager | Bilanzmanipulation | 0.4 | 2010 | Pharmalot |
Fresenius Kabi | Bedrohung (HES) | 2012 | Spiegel | |
GlaxoSmithKline | Bedrohung (Avandia) | 1999 | US Senate | |
Pfizer, Ranbaxy | Generikaverzögerung, Kartellabsprache («Pay for Delay») (Lipitor) | Klage | 2012 | BloombergBusinessNews |
Deutsche Homöopathie-Union (DHU), Biologische Heilmittel Heel, Staufen Pharma, WALA Heilmittel, Weleda, Hevert | Journalisten Diskreditierung | 2012 | Süddeutsche | |
Teva Pharma | Übertreibung der Wirkung und Sicherheit (Copaxone®) | FDA Warning | 2012 | FDA Letter Pharmalot |
Teva Pharma | Anwendungsrisiken (Propofol) | 250 | 2012 | Bloomberg Pharmalot |
Teva Pharma | Anwendungsrisiken (Propofol) | 500 | 2010 | Pharmalot |
Ungenannt | Erpressungsversuche der Inserenten bei Ärztezeitung | Artikel | 2011 | SÄZ |
GlaxoSmithKline | Unterdrückungsversuch kritischer Meinung (Avandia) | Editorial | 2010 | Euro. Heart Journal |
Pfizer | Korruption | 60 | 2012 | Pharmalot SEC Pharmalot |
Teva | Korruption | Untersuchung (Subpoena) | 2012 | Pharmalot |
Bristol-Myers Squibb | Korruption | Untersuchung (Subpoena) | 2012 | Pharmalot |
Johnson & Johnson | Korruption | 70 | 2011 | Pharmalot |
Bayer | Verletzung von Branchenrichtlinien (ABPI Code bei Xarelto) | 2012 | InPharm | |
Bayer | Sammelklage (Yasmin) | 402.6 | 2012 | Bloomberg |
Bayer | Sammelklage (Yaz) | 610.5 | Offen | Bloomberg |
Johnson & Johnson | Marketingfehlverhalten (Risperdal) | 2200 | Offen | Bloomberg Pharmalot |
Johnson & Johnson | Marketingfehlverhalten (Risperdal) | 158 | 2012 | Pharmalot |
Johnson & Johnson | Marketingfehlverhalten (Risperdal) | 327 | 2012 | Bloomberg |
Johnson & Johnson | Marketingfehlverhalten (Risperdal) | 258 | 2010 | Bloomberg Pharmalot |
Johnson & Johnson | Marketingfehlverhalten (Risperdal) | 1100 | 2012 | SF.tv Handelszeitung Pharmalot |
Bayer | Marketingfehlverhalten (Aspirin) | 15 | 2012 | Businessweek |
Pfizer | Marketingfehlverhalten (Zithromax) | FDA Warnung | 2012 | Pharmalot |
Sanofi-Aventis | Überzogene Rechnungen in Algerien (Overbilling) | 25 | 2012 | La Tribune Pharmalot |
Sanofi-Aventis | Überzogene Rechnungen in Kanada (Quadrace, Pentacel) | 2.5 | 2012 | Pharmalot |
Roche | Verheimlichung von Nebenwirkungen | EMA Untersuchung | Offen | DRS1 Neu!Pharmalot EMA |
Fresenius Medical Care | Selektive Information (GranuFlo) | FDA Untersuchung | Offen | NY Times Pharmalot |
Johnson & Johnson | Fehlerhafte Hüftimplantate | 0.6 | 2012 | Businessweek |
AstraZeneca | Irreführung bei Nebenwirkungen (Seroquel®) | 46 | 2012 | PharmaGossip |
Eli Lilly | Zahlung ohne Schuldeingeständnis, Vorwurf Marketingfehlverhalten (Zyprexa) | 45 | PharmaGossip | |
Bristol-Myers Squibb | Manager lügt vor Gericht | Memoiren schreiben | 2012 | WSJ Pharmalot |
Abott | Produktregelverstösse | 100 | 1999 | Pharmalot |
TAP Pharmaceutical (joint venture Abbott and Takeda Pharmaceutical) | Manipulation Medicaid und Medicare | 875 | 2001 | Pharmalot |
Cetero | CRO: Datenmanipulation und Studienfälschung, Teva betroffen | Konkurs | Pharmalot Pharmalot | |
Cypress Pharmaceutical | Marketingfehlverhalten (Hylira, Zaclir, Zacare) | 2.8 | 2012 | Pharmalot |
GlaxoSmithKline | Marketingfehlverhalten (Avandia) | 90 | 2012 | Staatsanwalt Maryland |
Novartis | Anklage wegen Bestechung (Kickbacks) von Apothekern für Nierentransplantations-Medikament (Myfortic) Neu! | Anklage | 2013 | NZZ Tagesanzeiger justice.gov |
Novartis | Anklage wegen Bestechung von Ärzten im Falle von Bluthochdruck (Lotrel, Valturna) und Diabetes (Starlix) Neu! | Anklage | 2013 | NZZ Tagesanzeiger Blick dailypress |
Novartis | Untersuchung (Gilenya®, Glivec®) Neu! | Untersuchung | 2013 | SonntagOnline |
Pfizer | Marketingfehlverhalten (Rapamune) Neu! | 491 | 2013 | Forum Gesundheitspolitik DOJ |
Auflistung von Fehlverhalten und Bussen der Arzneimittelindustrie (Big Pharma und Homöopathie) der letzten Jahr. USDOJ = US Departement of Justice. Stand: 31.08.2012
Von 1987 bis 2011 zahlte die Pharmaindustrie für $30 Mrd. Bussen (DOJ, DOJ, Pharmalot, Pharmalot), davon in den Jahren 2009 und 2010 je $3 Mrd. Im Jahre 2012 zahlt allein GlaxoSmithKline eine Busse von $3 Mrd.
Die Bussen sind meistens als Vergleiche zwischen der US Justiz und den entsprechenden Pharmaunternehmen zustande gekommen. Die Bussen wurden also ausgehandelt. Dies ist in der US Justiz möglich. Leider sind in den wenigsten Vergleichen, interne Dokumente veröffentlicht worden, die weitergehende Einblicke in das Geschäftsgebaren gezeigt hätten.
Die vollständige Liste der Übereinkommen der US Justiz mit Unternehmen: Corporate Integrity Agreements
Weitere Fälle sind in Bearbeitung der US-Justiz, z.B. womögliche weitere $2.2 Mrd. Busse für Johnson & Johnsohn (Bloomberg). Stay tuned – wie die Amerikaner zu sagen pflegen.
Die grössten Pharmakonzerne der Welt
# | Unternehmen | Sitz | Umsatz (in Mrd. USD) |
---|---|---|---|
1 | Pfizer | USA, New York | 57.7 |
2 | Novartis | Schweiz, Basel | 54.0 |
3 | Merck & Co., Inc. (MSD) | USA, New Jersey | 41.3 |
4 | Sanofi-Aventis | Frankreich, Paris | 37.0 |
5 | Hoffmann-La Roche | Schweiz, Basel | 34.9 |
6 | GlaxoSmithKline | Großbritannien, London | 34.4 |
7 | AstraZeneca | Großbritannien, London | 33.6 |
8 | Johnson & Johnson | USA, New Jersey | 24.4 |
9 | Abbott | USA, Illinois | 22.4 |
10 | Eli Lilly and Company | USA, Indianapolis | 21.9 |
Off-Label Marketing
Eines der häufigsten Marketingfehlverhalten ist das Off-Label Marketing. Medikamente müssen wissenschaftliche geprüft werden und werden danach von den Gesundheitsbehörden zugelassen. Die Zulassung gilt dann für die untersuchte Krankheit. Ärzte sind frei in der Anwendung der Medikamente. Sie dürfen das Medikament also auch für ungeprüfte Krankheiten einsetzen (was auch gut ist). Die Pharmaunternehmen dürfen solche nicht geprüfte Anwendungen in den US jedoch nicht vermarkten, das wird als Off-Label Marketing bezeichnet. Beispielsweise wenn die Wirksamkeit für ein Medikament nur in einer bestimmten Krankheitskonstellation nachgewiesen wurde, das Medikament aber später als allgemein wirksames Medikament anpreisen und verkauft wird.
Untergraben der Wissenschaft
Die Hersteller von pharmazeutischen Produkten haben kommerzielle Interessen. Die Wissenschaft ist dabei ein notwendiges Übel, die Wahrheitssuche nicht das eigentliche Ziel. Es sind Fälle dokumentiert, wo dem «wissenschaftlichen» Nachweis «nachgeholfen» wurde. Es wurden «negative Ergebnisse» nicht publiziert. Von fünf Studien wurden nur 2 publiziert, 3/4 der untersuchten Patienten wurden unterschlagen. Das Medikament erschien so als wirksam, was aber mit allen Daten nicht nachgewiesen werden kann. (IQWiG BMJ)
Die Wissenschaft wurde noch auf vielfältige andere Arten verzerrt und verfälscht. Dokumentierte Fälle werde ich in einem separaten Artikel behandeln.
Lobbying
Die Pharmaindustrie nimmt mit druckvollem Lobbying Einfluss auf die Gesetzgebung. In den USA gibt es in Washington zweimal so viel Lobbyisten wie Parlamentarier (USA Today). Die Pharma-Lobbyorganisation PhRMA verfügt über gut gefüllte Kassen.
Auch in der Schweiz sieht die Sache nicht besser aus: Interpharma hat direkten Zugang zum Schweizer Parlament.
Lobbying wird bei den Pharmaunternehmen wahrscheinlich unter Marketing abgebucht. Novartis hat allein im letzten Jahr 15 Mrd. USD für Marketing ausgeben (Marketing Novartis).
Hilfreiche und wirksame Gesetze werden so verhindert oder verwässert.
Verzögern von Generika («Pay for delay»)
Ein weiterer Trick der Pharmaindustrie zum Abkassieren bei den öffentlichen Gesundheitssystemen ist es den Start von Generika nach Patentabläufen zu verzögern. Wie geht es? Patente sind zeitlich begrenzte Monopole. Nach dem Patentablauf kann der Markt spielen. Generika werden daher zu viel billigeren Preisen verkauft. Die Patentinhaber haben nun Absprachen mit den Generikaherstellern gemacht, damit diese noch zuwarten mit dem Verkauf ihrer Medikamente und können dabei die Monopolgewinne untereinander aufteilen (NZZ). Eine Win-Win-Situtation für die Pharmaindustrie auf Kosten der Prämien- und Steuerzähler. Das sind Absprachen gegen den freien Markt, also ein Kartell. Das ist ein Sakrileg in einer kapitalistischen Marktordnung.
Korruption
Neben den subtileren Methoden gibt es noch die ganz plumpe Korruption, z.B. mit Kickback-Zahlungen an Ärzte. Die Ärzte bekommen im Nachhinein eine «Provision» für die Verschreibung. Je mehr Medikamente ein Arzt also verschreibt, desto mehr verdient er. Alte Patienten und chronisch kranke Patienten sind dafür besonders geeignet.
Kommentar
Die Pharmabranche präsentiert sich als grosse Wohltäterin der Menschheit. Bei genauerem Hinsehen ist vieles nicht so sauber wie es aussieht und die grossen Gewinne sind teilweise illegalem Verhalten zu verdanken. Die Bussen, obwohl sie hoch erscheinen, sind leider in keinem Verhältnis zu den Gewinnen der Pharmaunternehmen. Die Bussen werden wahrscheinlich einfach in die «Betriebskosten» miteinkalkuliert.
Die Manager der Pharmaindustrie gehören zu den bestbezahlten der Welt überhaupt. Hohe Löhne scheinen in umgekehrtem Verhältnis zu ethischem Verhalten zu stehen.
Die obigen Beispiele zeigen das grosse manipulative Verhalten der Pharmaindustrie. Die fast unerschöpflichen finanziellen Mittel der Pharmaindustrie können eine korrumpierende Wirkung entfalten. Finanzielle Beiträge sind immer und überall willkommen.
Patientenorganisationen müssen sehr vorsichtig im Umgang mit der Pharmaindustrie sein. Die Unabhängigkeit muss gewahrt werden. Gefällikeiten durch die Industrie sind gefährlich. Die Glaubwürdigkeit kann sonst schlecht aufrecht erhalten werden. Das gleiche gilt auch für Ärzte und Wissenschaftler.
Das Sponsoring muss überdacht werden. Was nützt es einem Läufer, wenn er schneller laufen kann, dafür aber in eine verkehrte Richtung? Ein Rennen wird er sicher nicht mehr gewinnen.
Bei Inseraten oder Sponsorings sollten die Mitglieder und Betroffenen auf das unrechtmässige Verhalten des Sponsors hingewiesen werden, z.B. auf die Fehlverhalten innerhalb der letzten fünf Jahre. Auch die Inseratetarife für solche Sponsoren sollten angepasst werden, z.B. 10× den ordentlichen Tarif.
[Aktualisierung 23.11.2012: Die US Bürgerorganisation Public Citizen hat eine umfassende Analyse der Justizfälle erstellt: Pharmaceutical Criminal and Civil Penalties: An Update, Public Citizen, 27. Sep. 2012. Sie haben detaillierte Auswertungen gemacht. Dieser Bericht ist eine sehr gute Quelle.]
[Aktualisierung 06.03.2013: Ich habe einen Artikel über die teils massiven Qualitätsprobleme bei Medikamenten und Implantaten der Pharmaindustrie, insbesondere Johnson & Johnson, geschrieben.]
[Aktualisierung 27.04.2013: Anklage gegen Novartis in zwei Fällen wegen Bestechung von 1) Apothekern NZZ Tagesanzeiger, 2) Ärzten Tagesanzeiger]
[Aktualisierung 09.08.2013: 491 Mio $ Busse gegen Pfizer wegen Marketingfehlverhalten (Rapamune) hinzugefügt. Ref: Forum Gesundheitspolitik, DOJ]